Zweiter Teil, Diskussionsabend.
Haeckel habe gar nicht die Absicht gehabt, dogmatische Stamm-
bäume aufzustellen, er habe nur ganz bescheidene Hypothesen geben
wollen. Da sagt aber Haeckel selbst das Gegenteil in Bezug auf
den von mir im dritten Vortrag kritisierten «Stammbaum der Pri-
maten», den er, notabene, hier schon aufgestellt hat (S. 35).
Wir lesen also auf S. 22:
«Die allgemeinen Grundzüge des Primatenstammbaumes von den
ältesten eocänen Halbaffen bis zum Menschen hinauf liegen inner-
halb der Tertiärzeit klar vor unsern Augen; da gibt es kein wesent-
liches ‚fehlendes Glied‘ mehr. Die phyletische Einheit des
Primatenstammes vom ältesten Lemuren bis zum Menschen
hinauf ist eine historische Tatsache.»1
Das steht hier, und zwar ist der letzte Satz von Haeckel: selbst
gesperrt. gedruckt. So sprach eben Haeckel, wenn es für weitere
Kreise berechnet war. Allerdings hat er sich auch da, namentlich
in den letzten Jahren, vielfach in seiner Ausdrucksweise etwas ge-
bessert. (Heiterkeit.) Das gebe ich gern zu. Aber trotzdem: was
ich gesagt habe, bleibt bestehen.
{n Bezug auf das biogenetische Grundgesetz hat Herr
Schmidt mir vorgeworfen, ich hätte dasselbe unvollständig wieder-
gegeben; aber ich konnte mich neulich doch nur ganz kurz fassen,
indem ich bemerkte, die Wiederholung der Stammesentwicklung sei
durch Anpassung zugleich verändert. Übrigens wird Herr Dr Schmidt
das Nähere in der neuen Auflage meines betreffenden Werkes?
sehen, daß nämlich Palingenese und Cänogenese auch von mir unter-
schieden, aber als unvereinbar in jenem «Grundgesetze» nach-
gewiesen wurden. Ich habe in meinem Vortrage das biogenetische
Grundgesetz als wesentlich bekannt vorausgesetzt und es deswegen
nicht mehr in seinen Einzelheiten wiederholt, da ich hier in Berlin
vor einem akademisch gebildeten Publikum sprach.
1 Daß dieses Zitat völlig genau ist, wird jeder, der es vergleicht, bestätigen
können. Ebenso wird jeder bestätigen können, daß in diesem Zitate der Stammbaum
der Primaten «bis zum Menschen hinauf» als historische Tatsache von
Haeckel hingestellt wurde. Trotzdem hat ein Referent über meine Schlußrede in der
«Berliner Morgenzeitung» vom 20. Febr. 1907 mir hier «Fälschungen» des
Haeckelschen Zitates vorgeworfen, Er behauptet, ich hätte in diesem Zitate dasjenige,
was Haeckel «über den Stammbaum der Affen gesagt hat, als seine Lehre über
den Stammbaum des Menschen» ausgegeben. — Entweder wußte der Referent
nicht, daß er als Mensch auch zu den «Primaten» Haeckels gehöre, oder er hat
mir aus andern Gründen, die sich der Kritik entziehen, Fälschungen einfach vor-
yeworfen.
? Biologie und Entwicklungstheorie? S. 458