Rede des fünften Opponenten, Herrn Prof, v. Hansemann.
so würde sich heute noch die Sonne um die Erde drehen. Das ist
unmöglich, daß man heute in dieser Weise Naturwissenschaft treibt.
Hier liegt wieder ein Mißverständnis von seiten des Redners vor.
Wenn auch die endgültige Entscheidung darüber, was vom theo-
logischen Standpunkt aus annehmbar ist, der höchsten kirchlichen
Lehrautorität zusteht (s. oben im 3. Vortrage S. 35), so folgt dar-
aus doch keineswegs, daß man über die Entwicklungstheorie über-
haupt vorher keine Meinung äußern dürfe, da es sich um eine
mannigfaltig gemischte Frage handelt. Daher habe auch ich in
meinen Vorträgen mich darüber ausgesprochen trotz der Bedenken
des Herrn v. Hansemann. Seine Bemerkung über Kopernikus be-
ruht ebenfalls auf einer Verkennung der richtigen Sachlage. Der-
selbe hat bekanntlich sein Werk «De revolutionibus orbium coelestium»
1543 dem Papste Paul IIL. gewidmet, und dieser hat die Widmung
angenommen. Es handelte sich in jenem Werke um eine astro-
nomische Frage, nicht um eine theologische. Daher hat v. Hanse-
mann durch seine Zitierung des Kopernikus eigentlich gar nichts
bewiesen.
Der Redner geht hierauf zur Autorität Virchows über und
findet es erfreulich, daß P. Wasmann diese Autorität bei Beurteilung
des Pithecanthropus erectus und des Neandertalers anerkannt habe.
Im Jahre 1874 hätten Wasmanns Kollegen ganz anders über Virchow
geurteilt, als er über die Stigmatisierung der Louise Lateau kein
Gutachten habe abgeben wollen; da habe man Virchow «verleumdet
und mit Schmähschriften überhäuft>».
Es ist schwer einzusehen, was die «Stigmatisierung der Louise
Lateau» mit meinen Berliner Vorträgen zu tun haben soll. Sie ge-
hörte jedenfalls nicht in diese Diskussion hinein.
Nun geht v. Hansemann zur Kritik der christlichen Weltanschauung
über. Was soll die christliche Weltanschauung? so fragt
er. Man müsse doch bedenken, es seien naturwissenschaftliche An-
Schauungen schon dagewesen, und zwar, wie sich immer mehr heraus-
gestellt hat, den Tatsachen recht entsprechende naturwissenschaft-
liche Anschauungen, lange bevor es eine christliche Weltanschauung
gab. Die Griechen, die alten Agypter, die Inder1, die Chinesen
hätten sehr gute Weltanschauungen naturwissenschaftlicher Art ge-
habt. Also das habe alles mit der Religion, mit der christ-
lichen Weltanschauung nichts zu tun. Wenn diese Fragen von
der christlichen Weltanschauung abhängig wären, was sollten dann
? Schade, daß der Herr Professor nicht den phantastischen indischen Schöpfungs-
Mythus etwas näher verglichen hat mit dem einfach.edlen biblischen Schöpfungs-
berichte !