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Entwickelungen

Full text: Max Liebermann / Scheffler, Karl (Public Domain)

ZENTWICKELUNGEN 
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lernte Anschauungsfähigkeit mehr als Anschauungsergebnisse und er bemühte 
sich wirklich so lange, die Natur durch ein Temperament, durch sein 
eigenes zn sehen, bis es ihm gelang, obgleich es seiner Klugkeit nicht 
verborgen bleiben konnte, daß es größere und reichere Temperamente 
neben ihm gab. Er wollte lieber ein echter Bergkristall sein als ein 
unechter Diamant. 
Ein Beweis für die Konsequenz der Selbsterziehung Liebermanns 
liegt in dem Umstand, daß er auf einem bestimmten Punkt innehielt. 
Er ist mit Millet und Courbet zu Manet und weiter zu Degas gegangen; 
aber vor dem Neo-Impressionismus hält er ein. Er hat, was er braucht; 
und mehr wollte er nie. Denn keinem deutschen Künstler ist die Technik 
so untrennbar von der Anschauung als ihm. Liebermann ist mit dem 
Verlangen geboren worden und damit groß geworden, eine Anschauungs- 
form des Lebens zu gewinnen und in zweiter Linie dann sie künstlerisch 
darzustellen. Er hat sich nie darüber Sorgen gemacht, ob diese An- 
schauungsform auch genial genug wäre. Mit dem Kunststück, über den 
zigenen Schatten wegzuspringen, hat er sich nicht abgegeben; er nahm 
vielmehr immer das ihm von der Natur Gegebene als etwas hin, woran 
zu rütteln Wahnsinn wäre. Dieses Gegebene aber vollständig und ganz 
klar auszusprechen, seine Anschauungsform als notwendig erscheinen zu 
lassen: darin besteht seine Lebensarbeit. Er schuf sich eine Sprache, die 
seinen Zwecken genug tun kann; aber brotlose Sprachkünsteleien, artistische 
Spielereien zu treiben, .das liegt ihm ganz fern. Er ist sachlich und nichts 
anderes. Mehr als einmal hat er, der Erdgefesselte, Ikarus aus stolzer, 
luftiger Höhe herabstürzen sehen. Und wenn sich unsere Phantasie, 
unsere Teilnahme vor allem gern dem Jüngling zuwendet, dessen tragisches 
Genieschicksal dem Tiefsten in uns zum Symbol wird, so spricht eine 
andere Stimme noch vernehmlicher von dem Ruhm des sich weise 
Beschränkenden, der so viel und so Nützliches erreichen konnte und nach 
anderer Richtung zu einem Vorbild reinen Künstlertums geworden ist. 
Die soliden kraftvollen Tugenden haben Liebermann, den Inter- 
nationalen, zu einem Maler gemacht, der unter den Deutschen als einer 
der deutschesten steht. Auf die Vorstellungen, Empfindungen, Gemüts- 
kräfte und Gefühlseigenheiten, die als spezifisch deutsch gelten, kann er 
nicht mehr Anspruch erheben, als mancher andere nationale Maler; aber 
er scheint nun reicher auch an diesen Eigenschaften zu sein als die meisten 
seiner Kollegen, weil er seinen Besitz vollständig ausdrücken kann. Seine
	        
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