ENTWICKELUNGEN
am
L
Entwickelung als eine Kurve der Notwendigkeit, Ueber alle Hemmungen
fort wird nun die welthistorische Tendenz erkannt, die ein großes Kunst-
schicksal von Volk zu Volk weitergibt und ein Soll schafft, dem sich an-
zuschließen, den modernen Künstlern jeder Nationalität zur Lebensfrage wird.
In diesen befruchtenden Strom der Zeit hat sich nun Liebermanns
Talent still hinabgleiten und zu seinen Zielen tragen lassen. Dieser be-
wußte Künstler ist, an der Hand eines Zeitsollens, Schritt für Schritt
vorwärts gegangen, hat nie ungeduldig das Letzte vorweg zu nehmen ge-
strebt und immer. mit voller Hingabe das Nächste getan.
Das ist, so allgemein gesprochen, freilich weniger ein Charakteristikum
Liebermanns als vielmehr eines jeder echten Malerbegabung. Wer ein Talent
hat, das nicht nur pathologisch äußerlich der Natur anhaftet, sondern fest
mit dem ganzen Wesen verbunden ist, nimmt stets auch die natürlichen
Interessen dieses Talentes wahr. Die Begabung für Malerei hat aber andere
Interessen als etwa die für Poesie. In der Dichtkunst sehen wir in der
Regel bei der Entfaltung der jungen Begabung ein jähes Aufflammen, ein Stürmen
leidenschaftlicher Begeisterung und wilde Temperamentsausbrüche. Selbst der
genialste Maler aber, so lehrt die Geschichte, beginnt mit handwerklicher
Bedächtigkeit, ja, oft mit Übungen unpersönlicher, konventioneller Art. Wenn
der Poet in der Jugend heiß ist und im Alter kühler wird, so wird der
große Maler gerade mit dem zunehmenden Alter leidenschaftlicher und
umfassender in seinem Wollen. Der Grund ist, daß der junge Dichter
kaum etwas anderes ausdrücken kann als den Ilyrischen Überschwang, weil
er, in dem Maße wie sich seiner Jugend eine klare und besonnene Ob-
jektivität noch versagt, diesen Mangel durch eine Schilderung subjektiver
Empfindungen, die ihm am nächsten liegen, ersetzen muß. Das zu tun
hindert ihn nichts, weil er mit einem Kunstmittel arbeitet, das ihm in
die Wiege gelegt wird, das er nicht zu erlernen, sondern nur zu ver-
edeln braucht: mit der Sprache. Der Maler aber kann nur Empfindung
ausdrücken — und das zu tun, ist seine Mission wie die des Dichters —,
wenn er vorher die Fähigkeit erworben hat, die Objekte der sichtbaren
Welt so darzustellen, daß sie im Bilde erscheinen, wie die Empfindung sie
sieht. Eine schwer zu erwerbende Geschicklichkeit muß vorhergehen, bevor
er überhaupt ausdrücken lernt, was ihm der Mitteilung wert erscheint, und
je heftigere Leidenschaften des Herzens er darstellen will, desto mehr muß