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Die Persönlichkeit

Full text: Max Liebermann / Scheffler, Karl (Public Domain)

DIE PERSÖNLICHKEIT - 
licher Abstraktionskraft zugleich, was vor allem durch eine tendenzvolle 
Hingabe an Zeitideen getan werden kann, ihres gleichen. Durch diese 
Eigenschaften erreicht der jüdische Geist eine bewunderungswürdige mittlere 
Höhe; aber es fehlen ihm dafür die großen Höhen und Tiefen. Individuen 
wie Moses Mendelssohn, Heine, Börne, Mendelssohn-Bartholdy, Meyerbeer, 
Israels, Liebermann scheinen höchste Punkte einer Volkskraft zu bezeichnen, 
lie als Ganzes freilich schon durch ihre Unzerstörbarkeit genialisch wirkt, die 
im Künstlerischen aber im wesentlichen rezeptiv ist. Wo die höchste künstle- 
rische Schöpferkraft nicht ist, da fehlen naturgemäß auch die starken seelischen 
Pubertätsbeunruhigungen genialer oder doch für Genialität prädestinierter 
Naturen. Der Entwicklungsgang des semitischen "T’alentes pflegt klar, einfach 
und folgerichtig zu sein und ohne wilde Zickzackbewegungen einer universal 
gerichteten Sehnsucht zu verlaufen. Auch erwacht und reift die Begabung 
meistens in frühen Jahren und ist mit bedeutenden äußeren Fähigkeiten, 
mit manueller Geschicklichkeit verbunden. Daraus ergeben sich relativ 
früh schon fertige Resultate; und diese verstärken durch den geheimen 
Zwang ‚des Erfolges noch die einseitige Richtungskraft. Alle diese Er- 
scheinungen sind typisch auch für Liebermanns Talent. Sicher, unbeirrbar 
und ohne vulkanisches Getöse hat er sich entwickelt, wie nach einem 
Plan und mit relativ geringen Anstrengungen einen Grad erreicht, zu dem 
2in Germane nur gelangen könnte, wenn er den Weg durch Himmel, 
Hölle und Welt nimmt. 
Fehlte es von dieser Seite an Hemmungen, so wurde die Logik der 
persönlichen Entwickelung noch mehr durch den Umstand gesichert, daß 
Liebermanns "Talent das Produkt einer aristokratischen Familienkultur ist. 
Auf zwei Wegen geht die künstlerisch gestaltende Energie aus dem Volks- 
tum hervor: entweder sie bricht phänomenisch direkt aus der ewig bewegten 
Gestaltlosigkeit des Demos heraus, als das Resultat scheinbar zufälliger 
Geschlechtsbegegnungen; oder sie erscheint als Zuchtresultat intensiver 
Familienkulturen. Auf dem ersten Wege, wo das Individuum auf seiner 
kurzen Wanderung zwischen Wiege und Grab alles zu durchleben hat, 
was zwischen den Tiefen und Höhen liegt, und gewaltige Widerstände 
brechen muß, was hohe Spannungen und starke Wärmeentwickelung erzeugt, 
finden wir in der Geschichte öfter das gewaltsam Geniale; auf dem zweiten 
Wege aber entsteht vorwiegend das kultivierte, leistungsfähige T’alent. Wo 
immer man die Schicksale exklusiver großer oder kleiner Familienkreise 
verfolgt, wird man sehen, daß die sich von Generation zu Generation
	        
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