MAX LIEBERMANN £
formen für die Erkenntnis des ewigen, in aller Gestaltung und Umgestaltung
unveränderlichen Lebenswillens haben, und nach der Stärke, womit dieser
dunkle Lebenswille, dessen Kreaturen wir alle sind, im Künstler zur
Selbstbesinnung gekommen ist. Das Genie greift nun immer zu den An-
schauungsformen, die in diesem Sinne den größten Nutzen haben, also
die höchsten sind; es sieht in aller Gestaltung und Umgestaltung — woran
das Talent nicht vorbei kann, obgleich auch es das Dauernde meint —
das „ewig Eine, das sich vielfach offenbart‘. Darin liegt seine Erhabenheit
über den Wandel der Zeiten; und darin, daß das Talent im Wechselnden
das Bleibende nicht genügend aufzuzeigen vermag, liegt die größere
Endlichkeit seiner Werke begründet. Alle unteren Stufen, worauf das
Talent wirkt, begreift das Genie, wenn auch sehr summarisch, schon in
sich. Denn das Höhere bezeichnet ohne weiteres immer auch das Tiefere,
nicht aber umgekehrt. Auf der andern Seite wird das reine Werk des
Talentes aber nicht beeinträchtigt von dem des Genies. Wie das Kleinste
and Einfachste in der Natur vom Dasein des Größten und Kompliziertesten
nicht in Frage gestellt wird, so besteht auch das Kunstwerk, das eine
geringere Anschauungsform rein und vollständig zum Ausdruck bringt,
selbständig neben dem Werk, das eine höchste Anschauungsform verkörpert.
Die frühere Sterblichkeit eines Kunstwerkes bezeichnet die Relativität
seines Wertes für die Menschheit, aber nicht seine Wertlosigkeit. Auch
das "Talent höheren Grades schafft Etwas, das in gleicher Form noch nie
vorhanden war und nie wieder ebenso zustande kommen könnte, etwas
Unnachahmliches und Originelles. Freilich tut es dieses nur innerhalb
der Grenzen einer Regel, die das Genie gesetzt hat. Es vermag diese
Regel zu bereichern, zu variieren und vor allem zu erweitern, aber nicht
zu ‚schaffen. Zu solcher urschöpferischen Arbeit fehlt es ihm an seelischer
Vitalität, sein Gefühlsleben kann sich nur anlehnend manifestieren; bei
ihm überwiegt die Rezeptivität im Gegensatz zur leidenschaftlichen Spon-
taneität des Genies.
Aber es ist von diesem nicht artverschieden. Es gibt Grenztalente,
die zum Teil, in einigen Werken, genial scheinen, und die in andern
Werken und als ganze Kunsterscheinungen doch ihre Abhängigkeit von einer
schon gesetzten Regel deutlich zeigen. MNach der bisher gebräuchlichen
Methode einer strengen Trennung von Genie und "Talent müßte man
Maler wie Pieter de Hoogh oder Terborch, wie Israels oder Liebermann
penial nennen, weil in ihren Werken Etwas ist. das unnachahmlich und,