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MAX LIEBERMANN
die Gefühlseinheit. Der erste Eindruck vor Liebermanns Bildern ist oft,
als stände man vor einer etwas grauen Palettenfarbe; nach einigem Ver-
weilen aber vertieft sich der Eindruck, die Gegenstände rücken von ihrem
Platz, stellen sich in Relation zueinander, der Raum wird lebendig und
die scheinbare Manier wird zur Natur. Man erkennt sofort: das ist ein
Liebermann, Daß man immer wieder dasselbe Grün, Rot und Braun
trifft, beweist nichts gegen die Natürlichkeit der Farbe. Wie jeder Musiker
im "Tonfall seiner Melodien erkennbar ist, so jeder selbständige Maler an
der Eigenart einer feststehenden Skala. Auch mit persönlich determinierten
Mitteln läßt sich das Allgemeine aussprechen, wenn diese Mittel nur eine
Quintessenz des gesetzlich Notwendigen darstellen. Es charakterisiert
Liebermann, daß er erst mit den Jahren — wie viele Maler neben ihm —,
mit zunehmender Sicherheit seine Koloristik ausgebildet hat. Seine Malerei
ist farbiger geworden in dem Maße, wie er das zeichnende Silhouettenprinzip
Millets verlassen und sich den Manetschen rein malerischen Grundsätzen
angeschlossen hat. Die Verbindung zwischen Valeur und Farbe ist um so
besser gelungen, je mehr er die Impression als ein unteilbares Ganzes
erkennen gelernt hat,
Dieser völligen Hingabe an den Eindruck verdankt er das Beste seiner
Meisterschaft. Sie hat ihn sachlich gemacht im feineren geistigen Sinne,
und seinen „Naturalismus“ stilkräftig erhöht. . Was die Menge, die seine
Kunst realistisch nennt und ihrer selbst damit spottet, sie weiß nicht wie,
vor seinen Bildern ärgert und verstimmt, ist eben der Stil und was sie an den
Werken, die sie der Kunst Liebermanns als Muster gegenüberstellt, schätzt und
liebt, ist eben der Naturalismus im üblichen, landläufigen Sinne. Diese einfache
Hingebung an das Objekt der Anschauung ist unserm Publikum noch zu
ungewohnt; es bemerkt nicht darin die große Einfachheit und Selbstver-
ständlichkeit und in dieser Einfachheit dann wieder nicht die Kompliziertheit
der künstlerischen Psychologie. Die Menge fürchtet sich noch vor dem
Müssen ihrer Entwickelung, wählt ein bequemeres Wollen, und so setzen
sich bei ihr Verstand und Instinkt in Widerspruch und erzeugen die end-
losen Halbheiten unserer Zeit. Um Liebermann trotzdem als den Maler
der nächsten Jahrzehnte zu bezeichnen, bedarf es keiner Prophetengabe.
Wäre die Impression, deren treuester Schüler er in Deutschland ist, eine
geistreiche Klügelei weniger Künstler, so wäre kein Wort zu verlieren;
da sie aber die Wirkungsform eines allgemeinen Zeitschicksals ist, so wird
ihr Künder notwendig zum Exponenten der fortschreitenden Kunstidee,