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Die Impression

Full text: Max Liebermann / Scheffler, Karl (Public Domain)

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MAX LIEBERMANK 
schaft mit den im Bild dargestellten Objekten dem Betrachter gar nicht 
nötig ist, um sich eine begründete Meinung über die Wirkung zu bilden. 
Das Leben inmitten der Natur zu jeder Minute, die sich täglich er- 
neuernden Anschauungserlebnisse, die unwillkürlichen Wahrnehmungen jeder 
Stunde stärken den Sinn für die Gesetzlichkeit optischer Wirkungen so 
sehr, daß auch vor Bildern, die Niegesehenes darstellen, gesagt werden kann, 
ob das bildhaft übersetzte Leben im tieferen Sinne wahr ist oder nicht. 
Verderben kann ein einziger falscher Tonwert ein Bild, weil mit der 
Richtigkeit im höheren Sinne die innere Wahrheit und damit die Schön- 
heit vernichtet wird. Ein MFalsches dieser Art findet man nun bei 
Liebermann niemals. Aber die Valeurs sind in seinen Bildern auch nicht 
immer mit unfehlbarer Sicherheit gegeben. Ein leises Schwanken um den 
richtigen Punkt herum ist zuweilen wahrnehmbar. Er weiß, was sein soll 
und sein muß; doch läßt ihn das Auge hier und da mit Nuancen im 
Stich. Man spürt manchmal unreine Intonationen in der Höhe und 
Tiefe. Seine Methode ist an den besten Mustern gebildet und von 
feinster Empfindlichkeit organisiert. Doch ist die Treffsicherheit nicht 
unbedingt zuverlässig. Am sichersten ist er vielleicht als Zeichner. 
Diesem ist es oft gelungen, eine stupende Richtigkeit der Valeurs zu geben, 
so daß man die fehlende Farbe vollständig vergißt und in dem graphischen 
Resume, in den Abstufungen von Hell und Dunkel, das ganze farbige Leben 
der Natur zu empfinden glaubt. Liebermann hat sich mit unendlicher 
Anstrengung vor der Natur, in lebendigen Begegnungen von Impression und 
Darstellungsmittel und durch immer wiederholtes Probieren eine eigene 
Skala geschaffen, wie jeder echte Künstler es tut. Diese enthält genau 
soviel Klangwerte, wie die Seele des Künstlers gebraucht, um sich voll- 
ständig aussprechen zu können. Da Liebermanns Innenleben nun aber, 
so stark und konzentrisch es sein kann, doch nicht eben vielfältig genannt 
werden darf, so kommt es, daß die dargestellten Stoffe zuweilen Forderungen 
erheben, die der Maler nicht im ganzen Umfange erfüllen kann. Er 
vermag zwar jedesmal mit seiner Skala den Natureindruck kunstgemäß zu 
übersetzen, aber er vermag ihn nicht immer zu erschöpfen. Wo Manet 
hundert Nuancen beherrscht, da muß Liebermann mit zwanzig aus- 
zukommen suchen. Er kommt damit aus; aber es fehlt seiner Kunst infolge- 
dessen oft an Saftigkeit und sinnlicher Fülle. 
Es wäre ein großer Irrtum, diese Begrenztheit aus der Farblosigkeit 
der Liebermannschen Bilder zu erklären. Der klassische Impressionist,
	        
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