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Die Impression

Full text: Max Liebermann / Scheffler, Karl (Public Domain)

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MAX LIEBERMAN7” 
vielmehr sie sucht das Wahre auf einer Stufe, wo es verklärt scheint durch 
eine höhere Notwendigkeit, was eben dann das Schöne ergibt. Um den häß- 
lichen leidenden Lebensstoff auf dieses Niveau zu erheben und ihn unter der 
Diktatur eines Müssens, einer Gesetzlichkeit zu zeigen, galt es, die künst- 
lerischen Ausdrucksmittel zu finden, die diesen synthetischen Gedanken 
klar machen können. Der moderne Maler fand das ihm Notwendige in 
der Darstellung der Atmosphäre. Wer da glaubt, der Impressionismus 
sei entstanden, weil ein paar Maler die wissenschaftliche Entdeckung ge- 
macht hätten von den Reizen, die Luft und Licht in ihrer Begegnung 
mit dem Stofflichen erzeugen, verkennt die "Tiefe der impressionistischen 
Kunstbewegung. Die optische Entdeckung ist erst die Folge seelischer 
Antriebe gewesen, das Resultat angestrengter Forschung nach einem Medium, 
das das häßlich Passive unter einer höheren Einheitsidee zeigen könnte. 
Nur dadurch, daß das Einzelne des Lebensstoffes, das unter dem Dasein 
Leidende vom Atmosphärischen, von den Stimmungen des Lichtes um- 
geben, in eine höhere Betrachtungsweise gerückt erscheint, wird es erträglich, 
ja wird es schön. Das Gegenständliche mußte erst ganz seine Bedeutung 
verlieren und untergehen im Zuständlichen, bevor es eine tiefere Be- 
deutung — nämlich die als Relativwert innerhalb eines Ganzen — erlangen 
zonnte. 
Nur die Kunst des Malers ist geeignet, nach diesem Prinzip den 
leidenden Stoff in der schönen Kunstform zu verklären. Denn das Licht, 
die Atmosphäre und deren stimmungshafte Beweglichkeit ist nicht durch 
die Linie, sondern nur durch Valeurs und Farben auszudrücken. Niemand 
erfährt das in mehr tragischer Weise als der moderne Bildhauer, den seine 
Weltgefühle auf dasselbe Ziel weisen wie den Maler, und der doch nur 
zu halben Resultaten kommt, weil sein Material ganz die bestimmte zeich- 
nende, also aktive Form verlangt. Der Maler ist darum zum vornehmsten 
Vertreter des modernen Weltgefühls in der Bildenden Kunst geworden. 
Wo früher die Linie Willensregungen umschrieb, da schildern die farbigen 
Flecken des Impressionisten nun das Zuständliche. In dem Kapitel über 
„Entwickelungen“ sind bereits ein paar Worte über den prachtvollen Kampf 
zwischen Linie und Farbe, der ein Kampf zwischen zwei Weltanschauungen 
ist, gesagt worden. Künstler wie Daumier und Millet standen mitten 
darin; sie wurden nach beiden Seiten zugleich gezogen. In ihren Bildern 
herrscht zum Teil noch das Prinzip der Aktivität. Freilich ist es schon 
eine Aktivität der Verzweifelung, die sich in grotesk erhabenen Gebärden
	        
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