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Die Impression

Full text: Max Liebermann / Scheffler, Karl (Public Domain)

DIE IMPRESSION 
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Pr 
und - ägyptische, islamitische, selbst gotische Stilformen erscheinen dem 
Lebenden oft geradezu häßlich. Und doch ist eben diese Häßlichkeit ein 
sehr wesentliches Ingredienz der Stilideen. Würde das, was vom schwanken- 
den Gefühl der Gegenwart in der neuen Stilbildung immer als häßlich 
und darum als verdammungswürdig betrachtet wird, nur daran gemessen, 
ob es Form der Notwendigkeit oder der Willkür ist, ob es das Müssen 
unserer Seelen ausdrückt und nichts anderes, so würden sich die ängstlichen 
Fragen nach der Grazie und Schönheit erübrigen. Alle diese Himmels- 
geschenke fallen dem in den Schoß, der] sich nicht darum kümmert und 
nur das tut, was er seiner Natur und Bestimmung nach nicht lassen kann. 
Für die moderne Kunst, in diesem Zusammenhange also vor allem für die 
Malerei, handelt es sich nur um die Frage, wie das zum Schicksal ge- 
wordene Lebens- und Naturgefühl künstlerisch ausgedrückt werden kann. 
Gelingt der Ausdruck, so brauchen wir um das Schöne nicht zu sorgen; 
reine Form, als Ausdruck des Wahren, ist immer schön — für Die wenigstens, 
die daran glauben. Eine Normalschönheit, gültig für alle Zeiten und 
Länder, gibt es nicht. Es gibt bestenfalls immer wiederkehrende Lösungen 
für immer wiederkehrende Gefühlsbedürfnisse; aber auch sie haben nur 
Wert, wenn sie jedesmal aus Erlebnissen neu geschaffen werden, so, als 
wären sie noch gar nicht vorhanden. 
So plausibel dem anschauenden Gefühl die Empfindungswerte der 
Stile sind und so leicht es der Betrachtung wird, das Gemeinsame in den ver- 
schiedenartigsten Werken einer Epoche wahrzunehmen, so schwierig wird es 
dem kritischen Wort, nachzuweisen, aus welchen Gefühlselementen sich eine 
Stilidee zusammensetzt. Im Museumssaal, wo viele Bilder einer Schule 
vereinigt sind, erlebt man spontane Erkenntnisstimmungen, wie es etwa 
im Umgang mit Menschen geschieht. Wie hier der Instinkt viele Züge 
des Gegenübers schnell erfaßt, sich vom wechselnden Gesichtsausdruck, 
von den Bewegungsnuancen, vom "Tonfall, kurz von den geringfügigsten 
Eigentümlichkeiten impressionieren läßt und daraus, schnell assoziierend, 
synthetisch ein Urteil bildet, so ergibt sich auch dort eine Wahrnehmungs- 
summe, woraus die Synthese entsteht. Ganze Völker, repräsentiert durch 
ihre Kunst, treten vor einen hin wie Individuen. Welche Kompliziert- 
heit aber: diesem Vorgang, der dem Gefühl so einfach scheint, zu- 
grunde liegt, zeigt sich, wenn das so Erlebte nun anälysiert werden soll. 
Bei der Diskussion über die Stilfrage der Gegenwart ist man noch be- 
sonders gut daran, weil viele notwendige Elemente als bekannt voraus-
	        
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