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Stoff und Form

Full text: Max Liebermann / Scheffler, Karl (Public Domain)

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- MAX LIEBERMAN! 
einer sozialen Kultur sind, und worin sich eine Ueberwindung der rohen 
Notdurft zugunsten ästhetischer Formen kundgibt. Wie sehr das Kostüme 
die Ziele des Malers unterstützen kann, veranschaulichen die Porträts von 
Tizian und Velasquez, oder Bilder aus der Heiligengeschichte von Rem- 
brandt. Wie Schiller einst fein in einem Brief an Goethe bemerkte, 
daß der Vers mit dichten helfe, so-kann man auch sagen, das Kostüme, 
die Legende, kurz der schon veredelte Stoff hilft mit malen. Alles, was 
heute „Gehalt“ genannt wird, und wovon wir in den Kunstdebatten soviel, 
als von dem angeblichen Ziel. jeder Kunstübung hören müssen, ist recht 
eigentlich der Geist der überlieferten, inhaltvollen Sujets oder‘ der sozial 
erhöhten Stoffe. Daß die Malerei dauernd auf diesen Gehalt nicht ver- 
zichten kann, beweist nichts so sehr wie der Umstand, daß gerade bei 
den leidenschaftlichsten Persönlichkeiten unserer Malerei der Versuch nicht 
ruhen will, „große“ Stoffe zu konstruieren, da diese sich von selbst nicht 
mehr anbieten. Zum Schaden der Malkunst, die diesen ungeheuren An- 
strengungen für etwas, das Voraussetzung sein muß, nicht gewachsen ist. 
Da historisch entwickelte, auch innig geglaubte oder für moderne Um- 
deutungen geeignete Legenden ganz fehlen, machen sich genialische 
Individuen wie Böcklin oder Klinger daran, solche Legenden dichtend zu 
arfinden. Das gelingt nicht und kann nie in befriedigender Weise gelingen, 
weil der Einzelne unmöglich zu vollbringen vermag, was Sache eines ganzen 
Volkes, einer Zeit ist. Durch diese Anstrengungen an falscher Stelle gerät 
die Malerei auf Abwege, weil sie zur Dienerin einer, wenn auch erhabenen 
Stoffidee gemacht wird, zum ausführenden Organ ringender Sujetgedanken; 
weil der große Stoff leicht Selbstzweck und Endziel wird und dadurch 
eine unerfreuliche und mehr oder weniger unkünstlerische Vermischung 
von Poesie, Philosophie und Malerei entstehen muß. 
In diesen Fehler der dichtenden Romantiker ist Liebermann bei 
seinem Versuch nicht verfallen. Er hat einen der wenigen Stoffe des 
alten Testaments gewählt, die sich zur Not noch in moderne Lebens- 
begriffe übersetzen lassen. Ferner ist er von einer Anschauungsform aus- 
gegangen, hat nicht von einer abstrakten Gedankenhöhe herab die Natura- 
lisation gesucht, sondern das Natürliche zum legendarischen Symbol zu 
erhöhen sich bemüht. Aber wenn man zweifeln darf, daß selbst dem 
Genialsten auf diesem allein legitimen Wege heute etwas Vollkommenes 
hätte gelingen können, weil sich auch der Simsonstoff dem Künstler nicht 
als durch die moderne „Volksphantasie hindurchgegangen und von ihr um-
	        
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