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MAX LIEBERMANN ©-
Stifte und Schulen und endlich vor allem die feuchte, einhüllende und
einigende Atmosphäre des Küstenlandes; das alles sprach deutlicher als
etwas anderes zu ihm und forderte seine Eigenart zu Manifestationen auf.
Der von Paris Kommende und zur Selbständigkeit Erwachende fand in
diesem Lande Rembrandt’s und Frans Hals’ am deutlichsten Gegenbilder
der ihm eingeborenen Impressionsart, und es wurde ihm dort verhältnismäßig
leicht, Anschauung in Form zu verwandeln. Den nicht neutralisierbaren,
an sich schönen Stoff flieht er scheinbar. Im Häßlichen oder Gleichgiltigen
die Lebenspunkte und darin das Schöne zu zeigen, das allem Lebendigen eben
um seines Lebens willen anhaftet, ist seine ganze Künstlerlust. In diesem
Aufsuchen der gebrochenen, leidenden Schönheit ist er ganz ein Zögling
des modernen sozialen Lebensgedankens. Er sucht zu demonstrieren, wie
das trivialste Objekt, und sei es ein Schweinekoben, im Lichte eines
immaterialisierenden Gefühls schön, poetisch, ja hier und dort sogar
romantisch erscheinen kann. Das an sich Bedeutende geniert ihn vielleicht
nur darum, weil es Empfindungen in ihm weckt, woran der Intellektuelle
nicht recht glaubt, oder weil er fühlt, daß es einer andern Kraft bedürfte,
um es mit derselben Meisterschaft zu erhöhen, wie er das Unbedeutende
erhöht. Das Schöne muß er gewissermaßen erst häßlich machen, um das
Bedeutende in seinem Sinne daraus hervorzuholen. Keine andere Anschau-
ungsform vermag er anzuerkennen, als die ihm vom Schicksal eingeborene,
keine andere Erhabenheit zu fühlen, als die passiv groteske, keine andere
Schönheit. zu lieben, als die charakteristische. Bringt Madame Recamier
in Liebermanns Atelier, und er wird ein Etwas daraus machen, daß alle
Verehrer von Frauenschönheit aufschreien. Aber was er bietet, wird trotz-
dem immer Bedeutung haben. Er wird nicht das Engelsgesicht dieser
amoureusen Frau malen, auch nicht ihr Dirnengesicht — jeder Mensch
hat ein Dutzend und mehr „Gesichter“ — wie Daumier oder Lautrec
es vielleicht getan hätten; sondern er wird nur studieren, wie sie als
Objekt unter der Einwirkung von Luft und Licht, aufgesogen sozusagen
von der Gewalt des Raumes und der Atmosphäre, erscheint. Darin liegt
sicherlich eine Art von Beschränktheit; zugleich aber auch weise Beschränkung
angesichts der Grenzen, die Zeit und subjektive Anlagen dem Künstler
gezogen haben.
Hier und da hat Liebermann einmal versucht, diese Grenzen zu
durchbrechen. Niemals leidenschaftlicher als mit dem Bild „Simson und
Dalila“, Auch ihn, der so gern das Dogma von der Gleichgültigkeit des