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Full text: Verrücktes Klima - behinderte Lösungen / Stecher, Fred (Rights reserved)

Konzeption und Redaktion: Fred Stecher, Lea Dehning Illustration und Layout: Tristan Marie Trotz info@TristanMarieTrotz.de Lektorat und Korrektorat: Leonie De Abrew textivityls@gmail.com Beratung: Dante Davis, Lea Fraider, Sarah Schalthöfer, Anne Hartl, Jemila Nesredin-Said Herausgeberin: Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. Kaiserin-Augusta-Allee 5 10553 Berlin V.i.S.d.P.: Julian Reimann Druck: Printzipia Max-von-Laue-Straße 31 97080 Würzburg Auf der Seite der BUNDjugend findest du: • ein barrierefreies PDF zum Herunterladen. • Quellen und weiterführende Literatur. • weitere Broschüren zum bestellen. Vorwort........................................................................................... .. 4 Bevor es losgeht........................................................................ ...... 6 Was ist Ableismus?...................................................................... ..... 8 Unterdrückung behinderter Menschen durch Folgen des Klimawandels ................................................ ..... 13 Ableismus und Klimakrise........................................................... ..... 19 Behindert durch die Klimakrise................................................... ..... 25 Klimaaktivismus - eine ableistische Bewegung oder Teil einer ableistischen Welt? ............................................ ..... 33 Anregungen für ein barrierearmes Klimacamp................................... 38 Plastikstohhalme für alle ............................................................ ..... 40 Behinderte Aktivist*innen in der Klima- und Umweltbewegung .................................................. ...... 45 Klimawandel und Ableismus ...................................................... ...... 49 Mit uns - nicht gegen uns........................................................... ...... 53 Die Tauben auf Musikfestivals ..................................................... ..... 56 Über die Anstrengung, im Rollstuhl zu sein und die Beschränkungen, ohne Rollstuhl zu sein ............................. 60 Masking..................................................................................... ..... 64 Normal, nimm mal wahr.............................................................. ..... 66 Orphans of the Woods................................................................. ..... 68 Was ist das Gegenteil von Übertreibung? .......................................... 69 Warum wir inklusiven Klimaschutz brauchen .................................... 73 Crip Time........................................................................................ 78 Wer steckt hinter diesem Heft?........................................................ 82 Was macht die BUNDjugend? ........................................................... 83 Darum geht es: Sichtbarkeit und Darstellung von behinderten Menschen, ADHS, Einsamkeit von Fae Vorbrüggen Ich wurde gefragt, ob ich Lust habe das Vorwort für diese tolle Broschüre zu schreiben. Ich habe mich super geehrt gefühlt und zugesagt. Nach guter ADHS-Manier habe ich erst danach darüber nachgedacht, wie so etwas geht und ob ich das kann. Wie kann ich in Worte fassen, wie viel mir diese Broschüre bedeutet? Wie viel die Sichtbarkeit die Klimaaktivist*innen mit Be_hinderung durch diese Broschüre bekommen, mir bedeutet? Warum ist Sichtbarkeit so wichtig? Was ist Sichtbarkeit? (rhetorische Fragen) Als bei mir in der Grundschule ADHS diagnostiziert wurde, hätte das mein Leben deutlich einfacher machen können. Ich sagte können, denn auch wenn ich die Diagnose hatte, sagte mir niemensch, was sie wirklich bedeutete. Mir wurde von vielen suggeriert (indirekt gesagt), ich solle nicht darüber reden. Es war von Nachteil, wenn andere Menschen erfuhren, dass ich ADHS hatte. Noch weniger sollte ich darüber reden, dass mich das ADHS in dieser Gesellschaft krank machte. Es machte mich psychisch krank, irreversibel krank. Ich bin etwas, das Menschen (ernsthaft) seelisch be_hindert nennen. Aber das war jetzt mein Geheimnis. Es überrascht nicht, wenn ich sage, dass ich damals unfassbar einsam war. Da ich nicht darüber redete, redete kein Mensch mit mir darüber. Nach meinem Gefühl, war ich ganz alleine damit. Kein Mensch, so glaubte ich, könne verstehen, wie das ist, sich so anders zu fühlen. Fast schon wie ein Alien oder eher wie ein Fantasiewesen, dass seine Identität geheim hält. Ich habe unsichtbare Be_hinderungen. Aber auch Menschen mit sichtbaren Be_hinderungen, fühlen sich oft ähnlich, ähnlich einsam, ähnlich alleine auf der Welt. Es fehlt gesellschaftlich an Sichtbarkeit. In Film und Medien sind Menschen mit Be_hinderung selten vertreten. Sie sind also unsichtbar. Wenn sie auftauchen, dann ist be_hindert sein oft ihre gesamte dargestellte Persönlichkeit. Solche Darstellungen machen etwas: Sie eliminieren den Menschen hinter der Be_hinderung. Was machen Menschen also außer im Straßenverkehr Noise-Canceling Kopfhörer aufhaben müssen, mit dem Rollstuhl fahren, oder sich mit einem Assistenzhund durch die Welt navigieren lassen? Was machen sie außer in Behinderten-Werkstätten zu arbeiten? (rhetorische Fragen) Eine Sache, die einige von uns machen, ist auf jeden Fall zu versuchen, die Welt vor einem Klimakollaps zu bewahren. Wir bringen uns ein. Wir haben etwas zu sagen. Wir sind vielfältig. Einige Einblicke in die Welt von Menschen mit Be_hinderung könnt ihr durch ihre Texte bekommen, die sie uns zugesendet haben und die wir hier abdrucken dürfen. Für mehr Sichtbarkeit Darum geht es: Hinweise zu Barrierearmut, Dankbarkeit von Fred Als erstes möchten wir uns für Texte und Bilder bedanken, die uns geschickt wurden. Wir sehen es als eine große Wertschätzung, dass Menschen uns ihre Erfahrungen, Gefühle und Wissen anvertrauen. Die Beiträge zeigen: Es gibt viele verschiedene Sichtweisen auf das Thema BeHinderung. Darum gibt es auch verschiedene Schreibweisen innerhalb dieser Broschüre. Verschiedene Schreibweisen sollen verschiedene Aspekte von Behinderungen und Behindert Werden sichtbar machen oder betonen. Diese Broschüre gibt es auch aufgrund der langjährigen Arbeit und Kämpfe von beHinderten und verRückten Menschen. Wir bauen auf ihren Diskussionen und (Miss-)Erfolgen auf. Danke an unsere beHinderten und verRückten Freund*innen, Geschwister und Vorfahren. Außerdem möchten wir Tristan Marie Trotz und Leonie De Abrew danken. Leonie hat die Texte lektoriert und Tristan Marie hat das Layout und die Illustration gemacht. Durch die Zusammen·arbeit mit Tristan Marie und Leonie haben wir viel gelernt. Beide haben viel Expertise eingebracht und uns zum Beispiel zum Thema Barriere·armut beraten. Das haben wir gemacht, um die Broschüre möglichst barriere·arm zu gestalten: Die Broschüre ist im DIN A4 Format. Sie hat große, schlichte Schrift und die Buchstaben haben deutlich unterschiedliche Formen. Die Bilder haben deutliche Hell·dunkel·kontraste. Damit Leute sie erkennen können, egal wie sie Farben sehen. Die Farben sind leuchtend und klar. Für manche Menschen ist das toll und anregend. Für andere Menschen ist das am Bildschirm vielleicht überfordernd. Wenn dir die Farben zu grell sind, kannst du die Broschüre zum Beispiel im Nachtmodus lesen. Es gibt ein barrierefreies PDF zum Herunterladen. Geschlechter·vielfalt sichtbar zu machen, ist uns wichtig. Auf Empfehlung des Deutschen Blinden- und Sehbehinderten·verbands haben wir uns für den Gender·stern entschieden, z.B.: Aktivist* innen. Es gibt Inhalts·angaben. Die Inhalts·angaben sind über jedem Text zu finden. Die Inhalts·angaben sollen eine Einladung an dich sein, achtsam mit dir selbst zu sein. Sieh dir die Inhalts·angaben an, bevor du die Texte liest. Bereite dich darauf vor, auf welche Themen du gleich stößt. Vielleicht entscheidest du dich auch dazu, einen Text nicht (jetzt) zu lesen, weil darin ein sehr aufwühlendes Thema vorkommt. Du kannst dich auch dazu entscheiden, den Text mit einer anderen Person zusammen zu lesen. In allen Texten geht es in verschiedenen Formen um Ableismus. Dafür gibt es keine Inhalts·angabe. Was Ableismus ist, wird im nächsten Text erklärt. Wir haben auch auf die Sprache geachtet. Und wir kennzeichnen, wie schwierig die Sprache in den Texten ist: Manche Texte in der Broschüre sind in einfacher Sprache geschrieben. Das bedeutet: Die Sätze sind kurz. Es kommen wenig schwierige Wörter vor. Unbekannte Wörter werden erklärt. Diese Texte sind mit einem grünen Kreis gekennzeichnet. Manche Texte sind in eher schwieriger Sprache geschrieben. Es gibt lange Sätze und einige schwierige Wörter. Diese Texte sind mit einem blauen Viereck gekennzeichnet. Manche Texte beschreiben persönliche Erfahrungen. Dort gibt es wenige schwierige Wörter. Trotzdem sind die Sätze manchmal länger. Diese Texte sind mit einem roten Dreieck gekennzeichnet. Manche Texte sind Gedichte. Sie haben viele sprachliche Bilder. Und die Texte sind mehrdeutig. Bei Gedichten ist ganz normal: Jede*r versteht sie ein bisschen anders. Vielleicht versteht kein Mensch sie ganz. Aber viele Menschen finden darin etwas, das für sie etwas bedeutet. Diese Texte sind mit einem lila Ring gekennzeichnet. Darum geht es: Erklärung von Ableismus, gesellschaftliche Ungerechtigkeit, Beispiele für Behindert werden, Selbstbezeichnungen, Kämpfe und Erfolge von behinderten Menschen von Fred und Tristan Marie Hallo, wir sind Fred und Tristan Marie. Wir werden beHindert. Und erleben Ableismus. In dieser Broschüre geht es um Ableismus. Darum erklären wir das Wort jetzt. Das Wort Ableismus kommt aus dem Englischen. To be able bedeutet: etwas können. Ableismus bedeutet: Die Gesellschaft teilt Können ein. In nützlich und störend. Nützliches Können ist zum Beispiel: • freundlich lächeln • lange stehen • deutsche Laut·sprache sprechen • schwierige Erklärungen verstehen Störendes Können ist zum Beispiel: • sehr langsam reden • Gefühle mit dem ganzen Körper zeigen • Roll·stuhl fahren • den Alltag immer genau planen Im Ableismus achtet die Gesellschaft nur darauf: Was ein Mensch kann. Sie bewertet Menschen nach ihrem Können. Und behandelt sie darum besser oder schlechter. Für Menschen mit nützlichem Können ist in der Gesellschaft mit·machen leicht. Aber die Gesellschaft schließt Menschen mit störendem Können aus. Diese Menschen haben es schwer, ihre Talente voll zu entwickeln. Aber kein Mensch sucht sich aus, was er gut kann. Und was nicht. Wir sagen dazu: Die Gesellschaft beHindert Menschen. Wir schreiben beHindert. Mit einem großen H. Das H zeigt: Die Gesellschaft macht mit·machen schwierig. Das macht sie zum Beispiel so: • Es gibt an vielen Orten Treppen statt Rampe oder Fahr·stuhl. • Viele Veranstaltungen finden nur in deutscher Laut·sprache statt. • Die Stühle auf Veranstaltungen sind für wenige Menschen gut: dünne, mittel·große und nicht·beHinderte Menschen. • Vor Filmen und Texten gibt es selten Inhalts·angaben. • Viele Orte sind sehr laut und bunt. Trotzdem denken nicht·beHinderte Menschen oft: Das Problem sind beHinderte Menschen. Fast alle Menschen werden in ihrem Leben einmal beHindert. Zum Beispiel: • Ein Mensch hat eine Depression. Vielleicht möchte er raus·gehen. Aber er kann sich nicht über·winden. • Ein Mensch bricht sich den Fuß. Vielleicht möchte er raus·gehen. Aber er braucht Krücken. Und kann damit kaum Treppen steigen. Manche Menschen werden beHindert, wenn sie alt sind. Zum Beispiel: • Ein Mensch wird vergesslich. • Ein Mensch kann seine Gelenke schlecht bewegen. Manche Menschen werden beHindert, wenn sie jung sind. Zum Beispiel: • Ein Mensch hat ständig Entzündungen im Körper. • Ein Mensch über·lebt etwas Lebens·bedrohliches. Manche Menschen werden ihr Leben lang beHindert. Zum Beispiel: • Ein Mensch wird blind geboren. • Ein Mensch ist klein·wüchsig. Es gibt viele verschiedene BeHinderungen. Deshalb denken beHinderte Menschen ganz verschieden über BeHinderung. Und beschreiben sich selbst mit verschiedenen Wörtern. Zum Beispiel: • beHinderter Mensch oder be_hinderter Mensch • Mensch mit Behinderung • verRückter Mensch oder ver_rückter Mensch • Autist*in • tauber Mensch • Mensch mit Down-Syndrom Und viele mehr. BeHinderte Menschen suchen sich ihre Wörter selbst aus. Wie sie für sie selbst richtig sind. Und andere Menschen sollen auch diese Wörter verwenden. Wenn sie von ihnen reden. Achtung. Oft sind beHinderte Menschen einfach nur: • Freund*in • Kolleg*in • Eltern·teil • Aktivist*in • Chef*in • Mit·bewohner*in • Wissenschaftler*in • Lieb·haber*in Manche Manche Manche Manche BeHinderte Menschen sind Frauen. sind queer. sind Schwarz, Indigen oder Menschen of Color. sind jüdisch oder muslimisch. Manche haben wenig Geld. Für sie macht die Gesellschaft Mit·machen noch schwieriger. Oder sie vergisst sie. Das ist sehr ungerecht! BeHinderte Menschen erleben viel Gewalt. Diese Gewalt hat eine lange Geschichte. Und beHinderte Menschen kämpfen dagegen. Immer wieder haben sie kleine und große Erfolge. Zum Beispiel: • Der Verein Mensch zuerst setzt sich für Leichte Spache ein. Er hat das erste Wörter·buch für deutsche Leichte Sprache gemacht. Und fordert ein Recht auf Leichte Sprache. Heute müssen Ämter Web·seiten in Leichter Sprache haben. • Es gibt das Projekt #AbleismusTötet. Dort arbeiten Wissenschaftler*innen und Journalist*innen. Sie sammeln Informationen über Gewalt in Wohn·heimen für beHinderte Menschen. Sie haben Vorschläge, um die Gewalt zu bekämpfen. Und sie haben einen Rat·geber für Betroffene von Gewalt geschrieben. • Die Initiative Barrierefrei Feiern fordert: Mehr barriere·freie Konzerte, Parties und Vorträge. Sie haben viele Icons gestaltet. Damit können Veranstalter*innen Barriere·freiheit schnell kenn·zeichnen. Viele beHinderte Aktivist*innen fordern: Alle Menschen lernen mehr über Ableismus. Und wie sie sich mit beHinderten Menschen verbünden. Auch beHinderte Menschen mit·einander. Wir wollen das auch. Wir schreiben diesen Text. Aber wir lernen selbst noch dazu. Vielleicht schreiben wir etwas falsches. Vielleicht fühlen sich andere BeHinderte Menschen verletzt. Weil wir ihre Sicht·weise vergessen haben. Wir sind uns sicher: Bei unserem nächsten Text wissen wir ein bisschen mehr. Oder denken anders. Wir hoffen: Du möchtest auch mehr wissen. Du informierst dich weiter über Ableismus. Die Broschüre hilft dabei. Aber sie ist nicht vollständig. Wir fassen zusammen: Ableismus bedeutet: Die Gesellschaft bewertet Menschen nach ihrem Können. Und behandelt sie darum besser oder schlechter. Manche Menschen werden von der Gesellschaft beHindert. Fast alle Menschen werden irgendwann in ihrem Leben beHindert. Manche Menschen werden ihr ganzes Leben lang beHindert. Es gibt viele verschiedene BeHinderungen. Und BeHinderte Menschen machen ganz verschiedene Erfahrungen. Wir verbünden uns. Wir lernen voneinander. Und verändern etwas. Gemeinsam. Fred studiert Politikwissenschaft und arbeitet in der politischen Bildung. Mie interessiert sich für Themen wie Queerfeminismus, Kolonialismus und Anti-Diskriminierung. In mies Freizeit trinkt Fred gerne Tee, schreibt kreative Texte und begleitet Kinder. Fred hat Trauma-Erfahrung, ist Fett und gehbehindert. Tristan Marie wirkt als Künstler*in, Gestalter*in und Texter*in. Glücklich ist nin beim Tanzen. Mut schöpft nin in solidarischen Strukturen und beim miteinander*voneinander Lernen. Denn nin denkt: den Weg zu einer gerechteren Welt können wir nur gemeinsam er*finden. Unterwegs dahin empowern nin stylische Mobilitätshilfen. Darum geht es: Flutkatastrophe, Klimakrise, weltweite Ungerechtigkeit, Kolonialismus, Armut, Krankheit, Bildung, Mobilität, Wohnraum, Lösungen / Handlungsvorschläge ein Überblick von Andrea Klimagerechtigkeit wird bisher noch wenig mit behinderten Menschen in Verbindung gebracht. Sowohl in Umweltbewegungen, als auch in der Bildung und Wissenschaft oder Medienbeiträgen zum Thema Klimakrise wird Menschen mit Behinderung kaum zugehört und die Klimawandelfolgen für ihre Lebensrealitäten meist nicht benannt. Ein kurzer Überblick. Während der Flutkatastrophe im Ahrtal sind in einer Behinderten­ einrichtung in Sinzig 12 behinderte Menschen ertrunken, weil sie nicht rechtzeitig gewarnt und evakuiert wurden. Viele Menschen waren entsetzt und fragten sich: Wie konnte diese „Tragödie” passieren? Tatsächlich war es keine Tragödie, sondern das Ergebnis der Missachtung behinderter Menschen im Katastrophenschutz, Warnsystemen und in Diskussionen über die gesellschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels. Intersektionale Klimagerechtigkeit für behinderte Menschen Wie bei allen Diskriminierungsformen wirken sich die Folgen des Klimawandels auch bei behinderten Menschen intersektional aus. Intersektionalität bedeutet, dass verschiedene Faktoren, die zu strukturellen Benachteiligungen führen, zusammenwirken. Das führt zu verschiedenen, neuen Formen der Benachteiligung 1. Faktoren, die hier eine besondere Rolle spielen, sind zum Beispiel die Geographie (Ist meine Heimat besonders gefährdet durch Klimaveränderungen?), die Nationalität (Komme ich aus einem privilegierten Land des „Globalen Nordens” mit finanziell starken Mitteln oder nicht? Welche Möglichkeiten haben Menschen vor Ort sich vor den Folgen des Klimawandels zu schützen oder nicht?), Geschlecht, die Zugehörigkeit zu einer indigenen Bevölkerungs·gruppe, die finanzielle Situation, Alter, jegliche Arten von „Ismen” wie Rassismus, Antisemitismus und vieles mehr, das noch gar nicht wahrgenommen wird. Der Klimawandel ist auch eine der historisch weitreichendsten Folgen der kolonialen Ausbeutung. Durch den Raub von Rohstoffen, Gütern und dem Land der indigenen Bevölkerungen weltweit für die Fabriken und Luxusgüter der Länder des Globalen Nordens, ist der CO2-Anstieg enorm angestiegen. Diese Zweiteilung in ausbeutende und ausgebeutete Länder hat das Konzept des sogenannten „Globalen Nordens” und „Globalen Südens” erst konstruiert. 80 Prozent aller Menschen mit Behinderungen weltweit leben im Globalen Süden, also durch den Kolonialismus und seine Folgen benachteiligten Ländern. Aufgrund der Ausbeutung der Menschen, dem erschwerten bis fehlenden Zugang zur Gesundheits·versorgung und Bildung, sowie der nach wie vor stattfindenden Verseuchung und Ausbeutung der Wohngebiete indigener Bevölkerungen, gibt es hier auch mehr behinderte Menschen2. Laut den Vereinten Nationen werden sich die Auswirkungen des Klimawandels am meisten auf die Menschen auswirken, die am meisten von Armut gefährdet sind. Dazu gehören im Globalen Norden auch Menschen mit geringem Einkommen und obdachlose Menschen, wodurch das Risiko für behinderte Menschen statistisch gesehen besonders hoch ist. Sie sind über·durchschnittlich gefährdet, arm und dadurch wohnungslos zu werden 3. Folgen des Klimawandels Die Auswirkungen des Klimawandels und die bereits erwähnten Diskriminierungsformen verstärken sich gegenseitig und haben so neue Folgen für verschiedene Lebensbereiche. Ein paar Beispiele: • Bildung: Weltweit sind behinderte Menschen, davon insbesondere Frauen und indigene Menschen aus dem Globalen Süden, von tiefer struktureller Ausgrenzung und oft einem teilweisen oder gar kompletten Ausschluss von Schulsystemen betroffen. Damit ist ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben für sie kaum möglich und Maßnahmen, wie Katastrophenwarnungen, schwer einschätzbar oder, im schlimmsten Fall, komplett unverständlich. • Gesundheit: Durch den Anstieg der weltweiten Temperaturen breiten sich Krankheiten, wie beispielsweise das Dengue Fieber, weiter aus. Zusätzlich steigt die Gefahr neuer Pandemien durch die Zerstörung von Lebensräumen aller Tierarten weltweit, da sie das Risiko von Zoonosen verstärkt. Eine Zoonose entsteht, wenn Krankheiten von Tieren auf den Menschen übertragen werden können. Dieses Risiko steigt, wenn Menschen in die Lebensräume wilder Tierarten ein­ dringen. Eine Zoonose wird auch bei der Entstehung von Covid-19 vermutet. Daher ist die Covid-19-Pandemie auch eine Folge des Klimawandels. Da die Länder des Globalen Südens nicht die gleichen finanziellen Rücklagen besitzen wie Länder des Globalen Nordens, können sie sich Impfstoffe, wie im Fall der Covid­ 19-Pandemie, häufig nicht leisten. Im Globalen Norden gab es für die Bevölkerung Priorisierungen, welche Personen zuerst geimpft werden sollten. Hier wurden behinderte Menschen, obwohl sie übermäßig von den Folgen einer Infektion bedroht sind, nicht beachtet. Gleichzeitig erhalten behinderte Menschen im Fall einer Triage-Situation 4 im Krankenhaus weniger wahrscheinlich eine Behandlung als Nichtbehinderte. • Mobilität: Der öffentliche Nahverkehr in Deutschland, zum Beispiel Bus und Bahn, ist nicht barrierefrei. Wird Barrierefreiheit bei neuen Verkehrskonzepten nicht eingeplant, werden behinderte Menschen noch mehr aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Dies ist auch beim 9-Euro-Ticket passiert, da die Kapazitäten des Nahverkehrs nicht ausgebaut wurden, gleichzeitig aber mehr Menschen den Nahverkehr nutzten. Dies führte dazu, dass insbesondere körperbehinderte Menschen den Nahverkehr dann gar nicht mehr nutzen konnten. Mobilität und barrierefreie Transportmöglichkeiten spielen auch bei Flucht- und Migrationsbewegungen eine sehr große Rolle. Von Naturkatastrophen, wie Wirbelstürmen, Dürren und Starkwetter·ereignissen, sind insbesondere Menschen des Globalen Südens betroffen. Dadurch verlieren Menschen ihre Lebensgrundlage und sind gezwungen ihren Wohnort zu verlassen. Da Fluchtwege nicht barrierefrei sind, ist es für behinderte Menschen noch schwerer, einen unsicheren Wohnort zu verlassen. • Wohnraum: Nur 2 Prozent des Wohnraums in Deutschland sind barrierefrei zugänglich. Bei Naturkatastrophen wie der Flut im Ahrtal im Juli 2021 bedeutet dies, dass ihr Wohnraum, sowie lebensnotwendige Hilfsmittel nicht mehr genutzt werden können. Gleichzeitig ist es aber schwierig, schnell Ersatz zu finden. Für Geflüchtete mit einer Behinderung stellt sich die Frage, inwieweit Unterstützungssysteme und Unterkünfte für sie zugänglich sind. Was muss getan werden? • Behinderte Menschen in Debatten um Klimagerechtigkeit, im Aktivismus, den Medien, in Bildungssystemen, der Gesellschaft und Politik wahrnehmen • Informationen zu den Folgen des Klimawandels und zum Katastrophenschutz, sowie Warnsysteme in jeder Weise barrierefrei gestalten • Wissenschaftliche Forschung zu den Folgen des Klimawandels für Menschen mit Behinderungen fördern und fordern • Behinderte Menschen in alle Entscheidungsprozesse auf aktivistischer, wissenschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer Ebene und als Medienschaffende einbeziehen • Barrierefreiheit und Inklusion sind Klimagerechtigkeit. Das müssen wir wahrnehmen und klar benennen. Andrea studiert Geschichte und arbeitet als Journalistin und Speakerin. Sie interessiert sich für Erinnerungskulturen, Klimagerechtigkeit, AntiDiskriminierung und Protestbewegungen. In ihrer Freizeit liest sie gerne, fährt Rad und liebt Musik, Astronomie und Fotografie. Endnoten: 1 Intersektionalität – einfach erklärt: Es bedeutet Menschen werden mehrfach diskriminiert. Ein Beispiel, das die Auswirkungen zeigen soll: Eine Frau mit FluchtErfahrung und Behinderung erfährt Diskriminierung. Sie wird diskriminiert, weil andere glauben, dass sie als Frau weniger wert ist. Daher bekommt sie beispielsweise bestimmte Berufe nicht oder schlechter als Männer. Als Frau mit Flucht-Erfahrung ist sie auch von Rassismus betroffen. Auch wegen ihrer Behinderung wird sie diskriminiert und bekommt bestimmte Arbeitsplätze nicht, weil sie nicht barrierefrei sind. Je nachdem welche Merkmale eine Person hat oder nicht hat, macht sie in verschiedenen Lebensbereichen andere Erfahrungen mit Diskriminierung als Personen ohne diese Merkmale. Siehe: https://diversity-arts-culture.berlin/diversity-arts-culture/woerterbuch/ intersektionalitaet-leichte-sprache 2 Siehe: https://truthout.org/articles/indigenous-people-with-disabilities-are-on­ the-front-lines-of-the-climate-crisis/ , letzter Abruf: 25.11.2022. 3 Armutsrisiko und Wohnungslosigkeit von Menschen mit Behinderung, https://www. bundestag.de/resource/blob/595250/26c01f5df7926904b78ea22b69bb297e/WD­ 6-126-18-pdf-data.pdf 4 Definition Triage: „Triage, das soviel wie ‚sortieren‘, ‚aussuchen‘, ‚auslesen‘ bedeutet, bezeichnet ein Verfahren zur Entscheidung, wer medizinische Hilfeleistungen bekommt. Während normaler Zeiten dient es der schnellen Zuordnung von Patient*innen zu den richtigen medizinischen Ressourcen. Bei unerwartet hohem Aufkommen an Patient*innen z.B. in Folge von Naturkatastrophen oder Unfällen wird die Triage angewendet um schnellstmöglich festzustellen welche*r Patient*in am nötigsten medizinische Hilfe benötigt und in welcher Reihenfolge die Ressourcen verteilt werden.“ (Zitat, von Ability Watch zur Kampagne Mensch ist Mensch: https://abilitywatch.de/menschistmensch/) Darum geht es: Wirtschaftssystem, Kapitalismus, Barrieren, Verantwortung für den Klimawandel, Obdachlosigkeit, Gesundheitssystem, Corona, alternatives Wirtschaftssystem ein anonymer Beitrag Der Zusammenhang von Ableismus und Klimawandel ist mir bekannt. Dennoch habe ich eine Weile gebraucht, um meine Ideen und Gedanken in Worte zu fassen. Ich brainstorme in eine eher philosophische Richtung. Ich denke auch über die emotionale Aufladung von Begriffen und Wörtern nach und darüber, wie sie sich im Laufe der Zeit verändert. Bei „Klimawandel“ denken die meisten an die negativen Auswirkungen auf die Menschheit und die Natur. Bei „Kapitalismus“ verbinden einige das Wort vielleicht mit einer negativen Konnotation, aber viele denken an die wirtschaftlichen Möglichkeiten und sehen es im Allgemeinen als etwas Positives. Ich diskutiere in diesem Essay jedoch nicht, ob der Kapitalismus schlecht oder gut ist, sondern möchte einige andere persönliche Perspektiven und Gedanken dazu vorstellen. Sowohl Ableismus als auch Klimawandel können als Zweige desselben Baumes betrachtet werden: Kapitalismus. Ableismus ist ein diskriminierendes soziales Konstrukt, das durch jahrelange Praxis verankert wurde. Der Klimawandel wiederum bezieht sich auf die vom Menschen verursachte Veränderung des Klimas. Beides sind Neben­ produkte des europäischen sozio-ökonomischen Systems. Sehr oft wird auf den Klimawandel verwiesen, ohne die Hauptursache dafür zu erwähnen: das derzeitige konsumorientierte, ausbeuterische und gewalttätige Wirtschaftssystem. Ein System, das teilweise auf Kolonialismus und Imperialismus zurückgeht, also die gewaltvolle Besetzung fremder Gebiete zur Vergrößerung des eigenen Machtgebiets und Ausbeutung des Landes sowie der dort lebenden Menschen. Klimawandel und Ableismus überschneiden sich. Das bedeutet, dass Menschen, die Ableismus erleben, auch gleichzeitig anfälliger für die direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels sind. Je mehr eine Person marginalisiert wird, desto verwundbarer ist sie. Wenn also eine Person nicht nur Ableismus, sondern auch Rassismus und Queerfeindlichkeit erlebt, wird sie die Auswirkungen des Klimawandels noch stärker spüren. Direkte Auswirkungen könnten sein, eher von Temperaturextremen oder Naturkatastrophen betroffen zu sein. Indirekte Auswirkungen könnten darin bestehen, dass Informationen über Schutz vor den Folgen des Klimawandels nicht in einer Form präsentiert werden, die für alle zugänglich ist, beispielsweise selten in Braille-Schrift oder Leichter Sprache. Klima-Aktivismus ist ein weiteres Beispiel, bei dem Barrierefreiheit oft nicht berücksichtigt wird. Wir beziehen uns oft auf den Klimawandel, als sei er ein neutrales Phänomen, das für humanitäre Krisen verantwortlich gemacht werden kann. Wir betonen die Ursachen der Klimakrise nicht genug. Dadurch wird ein Teil der Verantwortung vom derzeitigen konsumorientierten Wirtschaftssystem weggelenkt, welches für den Klimawandel verantwortlich ist. Tatsächlich sind diejenigen, die für einen sehr großen Teil der Kohlendioxidemissionen verantwortlich sind, einige wenige Unternehmen und Personen. Sie stellen auch das reichste Prozent der Bevölkerung dar und sind meist im Globalen Norden angesiedelt. Über den Klimawandel zu reden, ohne die tatsächlichen Verantwortlichen zu benennen, ist eine sehr gute Strategie, um sich vor der Verantwortung zu drücken. Auf lange Sicht profitiert die Menschheit nicht von unserem derzeitigen sozioökonomischen System, doch einige wenige Menschen profitieren kurzfristig enorm davon, weil es ihr Einkommen steigert. Das führt zu einem Interessenkonflikt. Das gleiche Wirtschaftssystem hat aufgrund seiner ableistischen Natur auch negative Auswirkungen auf alle Menschen. Die Überschneidung von Ableismus und Klimakrise ist nur ein kleiner Teil des Gesamtbildes. Wie würde ein Wirtschaftssystem aussehen, dass sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert anstatt an Profit? Wir sprechen über die Klimakrise, als wäre sie etwas, das von alleine passiert, ignorieren die Menschen, die durch unsere Wirtschaft aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, und schieben die Verantwortung lieber auf einzelne Menschen, statt die bekanntermaßen quasi Alleinverantwortlichen 70 Firmen zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Widersprüchlichkeit zwischen Ursache, Wirkung und Verantwortung stellt nur einen kleinen Teil des Gesamtbildes dar. Die Art und Weise, wie wir Probleme angehen und über dieses Thema sprechen, prägt unser Verständnis davon. Die Art und Weise, wie wir über das aktuelle sozio-ökonomische System, über Ableismus und den Klimawandel sprechen, kann die Menschen verwirren. Dieser Informationsmangel oder diese Desinformation kann uns davon abhalten, die richtigen Maßnahmen zur Bewältigung des Problems zu ergreifen. Ein bildliches Beispiel wäre, dass wir nicht versuchen, die Symptome zu heilen, sondern vielmehr die Ursache der Symptome. Wir sprechen nicht genug über die Auswirkungen einer kapitalistischen Gesellschaft auf unsere Psyche und darüber, dass das derzeitige sozio-ökonomische System für viele, meist „pathologisierte“ Zustände verantwortlich ist. Einige dieser „Pathologien“ sind ganz natürliche Reaktionen auf eine Gesellschaft, in der das Leben nicht als natürliches Recht, sondern als eine Ressource betrachtet wird, die wie Erdöl für den Profit ausgebeutet werden kann. Das Leben unter Bedingungen, in denen Menschen sich ständig durchsetzen müssen, in denen Menschen sich nicht richtig ausruhen können, in denen es ein tragisches Ende nehmen kann, wenn Menschen nicht arbeiten können. Menschen, die nicht dazu in der Lage sind, eine Tätigkeit auszuüben, die ihnen den Lebensunterhalt finanzieren kann, werden daran behindert zu leben. In vielen Ländern gibt es keine oder nur sehr begrenzte finanzielle Mittel zur Unterstützung von Menschen, die nicht arbeiten können, zum Beispiel aufgrund einer Behinderung. In Bulgarien beispielsweise beträgt die höchstmögliche Sozialhilfe für Menschen mit Behinderung 197 Euro pro Monat, was natürlich bei weitem nicht ausreicht, um die Grundbedürfnisse zu decken. Viele Obdachlose sind ebenfalls behindert, was wiederum zeigt, dass viele der grundlegenden Menschenrechte nur den privilegierten Nichtbehinderten vorbehalten sind. Auch Krankenversicherungen können ableistisch sein: Wenn bestimmte psychische Krankheiten oder körperliche Behinderungen diagnostiziert werden, gefährdet dies den Zugang zur gesamten Gesundheitsversorgung. Mit anderen Worten: Es ist für die Krankenversicherungen nicht profitabel, Menschen zu versorgen, die teure medizinische Hilfe benötigen. Wir leben in einer Gesellschaft, die uns ständig unterdrückt und aufreibt und uns dann diagnostiziert, wenn wir uns unterdrückt und müde fühlen. Es ist grauenhaft, keine medizinische Versorgung, kein Essen, keine Unterkunft und keine finanzielle Unterstützung zu erhalten, nur weil es nicht möglich ist, einem traditionellen Beruf nachzugehen. Das ist ein ziemlich düsteres Bild und eine Realität, die es zu akzeptieren gilt und die sicherlich einen Tribut an unsere Psyche fordert. Auch in den Unternehmen des Gesundheitswesens auf der ganzen Welt kann Ableismus gesehen werden. Sie konzentrieren sich auf Gewinnmaximierung, selbst wenn diese mit Menschenrechten kollidiert. Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Die großen Produktionsfirmen von COVID-19-Impfstoffen weigerten sich, das Patent für den Impfstoff mit Ländern des Globalen Südens zu teilen, nur um keine Gewinne zu verlieren. Pandemien können manchmal auch indirekt durch den Klimawandel verursacht werden. Es kommt häufiger zu Extremwetterereignissen und Menschen zerstören und übernehmen zusätzlich unnötig zuvor unberührte Regionen und Lebensräume. Durch diese neu entstehenden Kontakte zwischen Menschen und Wildtieren kommt es zu Infektionen und Mutationen verschiedener Krankheitserreger. Die Krise des Klimawandels besteht nicht nur aus wärmeren Wintern oder mehr Wirbelstürmen, sondern auch in der Verknappung von Arbeitsplätzen, der Verschwendung von Lebensmitteln, dem Verlust von indigenem Land, der Abholzung von Wäldern usw. Der Klimawandel hat nicht nur Auswirkungen auf das Abschmelzen der Eiskappen und das Ausmaß gefährlicher Wetterereignisse, sondern auch auf unsere Wirtschaft, die Landwirtschaft und das tägliche Leben. Der Klimawandel und die derzeitigen landwirtschaftlichen Praktiken, die auf Monokulturen und Abholzung beruhen, schaffen das Potenzial für mehr Erreger, die von Tieren auf Menschen übertragen werden, wie zum Beispiel COVID-19. Die Pandemie von 2019 war das erste Mal, dass auf globaler Ebene darüber gesprochen wurde, wie zerbrechlich unsere kapitalistische Wirtschaft ist. Es war das erste Mal, dass Arbeit und bürokratische Kommunikation über Online-Portale und Homeoffice zugänglicher gemacht wurden. Dies war nur möglich, weil die Pandemie auch die privilegiertesten Teile der Gesellschaft betraf und weil sie viele Unternehmen bedrohte, die Umsatzeinbußen hinnehmen mussten. In gewisser Weise dienten diese Änderungen eher als Puffer für die Unternehmen, als dass sie unsere Welt ein wenig zugänglicher machten. Das Lesen und Nachdenken über dieses Thema ist nicht nur ziemlich komplex, sondern auch mit viel emotionaler Arbeit verbunden. Es ist keine leichte Aufgabe, darüber nachzudenken, wie grausam die Welt ist, in der wir leben. Das Problem ist, dass denjenigen, die am stärksten von Ableismus und dem derzeitigen sozio-ökonomischen System behindert werden, meist nicht die Möglichkeiten und Plattformen gewährt werden, um sich mitzuteilen. Die Art und Weise, wie unser derzeitiges sozio-ökonomisches System strukturiert ist, führt nicht nur zu Klimakatastrophen, sondern auch zu einer Veränderung unserer Denkweise und Selbstwahrnehmung. Es fördert den Ableismus auf institutioneller Ebene, aber auch in uns selbst und in der Art, wie wir über andere denken. Ableismus entmenschlicht uns und reduziert uns auf eine austauschbare Einheit in einem System. Würde unser Verdienst nicht auf unserer Fähigkeit beruhen, marktfähig zu sein, wäre das Leben einfach weniger grausam und gewalttätig. Eigentlich sollte es überhaupt keinen Verdienst in Bezug auf uns geben, denn wir sind Menschen und keine Produkte. Unser derzeitiges sozio-ökonomisches System bevorzugt einige wenige Menschen, die über riesige Mengen an Ressourcen verfügen, und der Preis dafür ist, dass die Mehrheit zu kämpfen hat. Es gibt dem Einzelnen Vorrang vor der Gemeinschaft. Ich glaube, dass sich dies ändern wird, wenn auch nur langsam. Ich denke, ein wichtiger Schritt ist es, mehr Informationen darüber bereitzustellen und das Verständnis dafür zu fördern, wie kontraproduktiv unser derzeitiges sozio-ökonomisches System ist und wie es gegen uns und unsere grundlegenden Menschenrechte funktioniert. Meiner Meinung nach sollten wir darauf hinarbeiten, gemeinschafts­ basierte Unterstützung in den Fokus zu stellen und die derzeitigen Machtstrukturen abzubauen. In einer utopischen Gesellschaft, in der es statt Kapitalismus ein alternatives Wirtschaftssystem gibt, würden wir alle als unterschiedlich anerkannt und gefeiert werden - körperlich, geistig, mit unterschiedlichen Bedürfnissen, ohne jegliche damit verbundene Machtdynamik. Darum geht es: Soziale Normen, Eugenik, Nationalsozialismus, Mord, Ausbeutung, Kapitalismus, Kolonialismus, MAPA (most affected people and areas), kreative Lösungen von SchwarzRund Behindertenfeindlichkeit ist, wie die meisten Unterdrückungskategorien, eng verwoben mit anderen Machtverhältnissen. Zunächst: Wie sieht Behindertes5 Leben aus? Vielfältig - denn die Gruppe der Behinderten, ver_rückten6, tauben und autistischen Menschen ist riesig, verwoben und vor allem unfassbar different. Different, also unterschiedlich, heißt aber nicht zwangsläufig im Widerspruch zueinander. Audre Lorde 7 erklärte in ihren Essays und Reden, dass Differenz existiert. Ob wir das nun gut oder schlecht finden, ist für ihr Vorhandensein irrelevant. Trotzdem existieren Normen. Normen, die einfordern als wichtiger, richtiger und schützenswerter verstanden zu werden, ganz ohne sich selbst als bedürftig oder besonders zu identifizieren. Im ersten Abschnitt dieses Beitrags wird diese Norm genauer erklärt. Darauffolgend ordne ich den Diskurs um Klimaschutz vs. Behindertes Leben in die eugenische Idee 8 ein. Zuletzt dann stelle ich mithilfe von MAPA und den Gedanken der Schwarzen Denkerin Audre Lorde (auf Seite 29) die Frage nach kreativen Veränderungen der Klimabewegung durch Differenz. Mythische Norm, Mythische Mehrheit Lorde bezeichnet die vermeintliche Norm, die es nicht wirklich gibt, als mythische, also ausgedachte, unwirkliche Norm. Niemensch erfüllt tatsächlich das, was wir als Otto-Normal-Menschen kennen. Aber diese Norm ist so etwas wie ein Richtwert; wer weiter davon entfernt ist, ist weniger Norm, muss also weniger mitgedacht werden. „Wir können ja auch nicht alles mitdenken” rutscht uns allen mal über die Lippen, aber das verlangt auch keine*r. Es geht eher darum, dieses nicht Mitdenken nicht zu ritualisieren, ihm keine Berechtigung zuzumessen, nur weil es der mythischen Norm näher zu sein scheint. Diese mythische Norm wird stets verändert und neu gefüttert - sie verleibte sich Geschlechter-Binarität, Rassismus, Sexismus und vieles andere ein. Die mythische Norm beinhaltet eine wage Idee des „richtigen”, „normalen” Seins. Dieses wird „selbstverständlich” immer mitgedacht, aber vor allem bevorzugt behandelt. Schließlich ist es die Norm und in einem egalitären9 Sinne erreicht die Erfüllung der Bedürfnisse dieser mythischen Normbürger*innen die größte Anzahl an Menschen. Die mythische Norm ist also begleitet von der Vorstellung die mythische Mehrheit zu sein. Das ist aber nicht der Fall, also ist auch die Mehrheit, genauso wie die Norm, ein Mythos, also eine mythische Mehrheit. Der Begriff „die mythische Mehrheit” wird in diesem Text verwendet, um zu beschreiben, auf welchen Gewaltebenen Differenz aktiv vergessen wird, um Behindertes Leben zu missachten. Warum die Welt Behindertes Leben nicht als wertvoll betrachtet Die eugenische Idee stammt - trommelwirbel - nicht aus Deutschland! Sie wurde von dem Briten Sir Francis Galton in den 1880ern erdacht und manifestiert. Doch nicht zu früh freuen: In den USA und UK gab es zwar die ersten Publikationen und juristischen Umsetzungen, zum ideologischen Verkaufsschlager wurde sie aber durch die Nazis. Diese nutzten Eugenik als ideologische Grundlage für den massenhaften Mord, die Verstümmelungen und Zwangssterilisierung von Menschen, die nicht der mythischen Norm der Nazis entsprachen. In »Frauen der Unterwelt - Queerfeministische Antworten auf Psychiatriegewalt, Sexismus und Ableismus« 10 werden Biographien queerer Frauen nacherzählt, die Psychatriegewalt erlebten. Eugenik ist auch mit der kapitalistischen Idee des stetigen Wachstums durch Produktion verkettet. Im Kapitalismus gilt es Kapital zu erwirtschaften, im Gleichschritt. Dies ist eine wichtige Ergänzung, denn es geht nicht nur um die Menge des erwirtschafteten Gutes, sondern auch um die stetige Reproduzierbarkeit des Arbeitsablaufes. Somit ist die mythische Norm - sowohl des Körpers als auch des Geistes, des sogenannten Bodyminds - besonders relevant. Es braucht Durchschnittsmenschen, um Durchschnittsarbeiter*innen zu haben, um einen stetig wachsenden Durchschnitt produzieren zu können, durch mehr Vereinheitlichung, Spezifizierung und Schnelligkeit der Maschinen. Also ist der Körper, der der mythischen Mehrheit nicht entspricht oder sich nicht in die enge Schablone zwingen lassen möchte, schädlich. Durch die Stigmatisierungen von allen außerhalb der mythischen Mehrheit soll verhindert werden, dass sie ihre Gene weitergeben. Bis diese Menschen weniger werden, bis es sie irgendwann nicht mehr gibt. Hier reichen sich neoliberale Klimapolitiken und die mythische Norm die Hand, gemeinsam mit dem eugenischen Denken. Wenn wir möglichst schnell, möglichst gleichzeitig, möglichst viel Erde retten wollen, stören Behinderte Bodyminds den Prozess. Die Gefahr liegt also in der Doktrin der Dringlichkeit, die nicht-Behinderte aber selber verursacht haben. Zunächst ignorieren sie die Hinweise marginalisierter Menschen(gruppen) bezüglich der zerstörerischen Kraft kapitalistischer Wirtschaft und neo-kolonialer 11 Ausbeutung bis sie nicht mehr zu ignorieren sind. Dann nutzen sie die nun vorhandene Dringlichkeit, um selbst die angebliche Rettung der Welt ausschließlich an ihren Bedürfnissen auszurichten. Gleichzeitig sind diese Ansprüche (möglichst schnell, möglichst gleichzeitig, möglichst gleich) Hinweise für eine kollektive Verweigerungshaltung der Mächtigen, eigene Privilegien anzuerkennen. Sie verweigern sich, die Differenzen zwischen Menschen, Lebensräumen, Möglichkeiten, Handlungswegen und kulturellen Konzepten wahrzunehmen. Audre Lorde stellte fest: Institutionalized rejection of difference is an absolute necessity in a profit economy which needs outsiders as surplus people. As members of such an economy, we have all been programmed to respond to the human differences between us with fear and loathing and to handle that difference in one of three ways: ignore it, and if that is not possible, copy it if we think it is dominant, or destroy it if we think it is subordinate.12 (Lorde: Age, Race, Class, S. 115) Diese institutionalisierte Ablehnung von Differenzen ist eben nicht nur eine kleine Charakterschwäche eines einzelnen Menschen. Sie trägt einen Namen: Eco-Ableism, also Öko-Behindertenfeindlichkeit. Zu leugnen, dass die Ansprüche differenter oder als different wahrgenommener Personen abgewertet werden, ist bereits ein kapitalistisch geprägter Akt der Unterdrückung. Differenzen stehen nicht nur für marginalisierte Perspektiven. „Different” ist auch, wer mehr Schuld am Zustand der Erde trägt und wer die größten Vorteile daraus zieht. Wer hat wie viel Klimalast durch die Ausbeutung welcher Personen und Gebiete verursacht? Eine Frage, die Angst auslöst, noch vor ihrer Beantwortung. MAPA - Most Affected People and Areas Diese Gruppe wagt es innerhalb der FFF 13-Bewegung (auf Seite 49) und darüber hinaus zu fragen: Wie sähen Reperationssysteme aus für jene Gebiete und Menschen, die durch die Klimaschäden am negativsten betroffen sind? “Reparationen, warum das denn? Wir sind doch alle gleich Schuld!” Das stimmt so nicht ganz. Kolonialismus zum Beispiel, in seiner heutigen Form des Neo-Kolonialismus, bedeutet auch: Klimalast wird verrechnet wo sie entsteht, nicht dort wo der Profit aus diesen Klimaschäden hinfließt. „Alle Länder müssen das gleiche leisten zur Rettung der Welt!” scheitert an der kolonial strukturierten Realität: Die Rohstoffminen in Mittelamerika liegen noch immer zum großen Teil in den Händen von Europäer*innen, Kanadier*innen und dem globalen Westen14. Die Klimaschuld wird dann in Statistiken z.B. der dominikanischen Republik angelastet, während sich Länder wie Deutschland selber schönrechnen. MAPA denkt radikal weiter, was Audre Lorde bereits in den langen 1980ern des Black Gay Thoughts formulierte: For as long as any difference between us means one of us must be inferior, then the recognition of any difference must be fraught with guilt. (...) Refusing to recognize difference makes it impossible to see the different problems and pitfalls facing us (...).15 (Lorde: Age, Race, Class S. 118) Audre Lorde (Gambda Adisa) bei ihrer letzten Lesung in Berlin, September 1992 Differenz heißt auch: sich einzugestehen, dass selbst so etwas Allumfassendes wie die Klimakrise unterschiedliche Menschen unterschiedlich benachteiligt. Die Sterberate für Behinderte, alte und junge Menschen bei hohen Temperaturen ist überproportional hoch. Neurodivergente, Behinderte und queere Menschen sind stärker als andere von Obdachlosigkeit bedroht, wodurch Kältetode öfter auftreten. Während es sich bewahrheitet, dass Starkwetterphänomene häufiger und heftiger werden, sterben wir überproportional oft, sind eingeschränkter in der sozialen Teilhabe und können weniger am Arbeitsmarkt und im Sozialleben teilnehmen. Und dann sterben wir durch undurchdachten Klimaaktivismus, der uns wortwörtlich den letzten Strohhalm raubt 16. Die mythische Mehrheit nimmt dies aber als persönliche Schwäche wahr, statt es als strukturelle Unterdrückung einzuordnen. Kreativer die Welt retten human difference as a springboard for creative change.17 (Lorde: Age, Race, Class S. 115) Diese kreative Veränderungsleistung beschreibt Piepzna-Samarasinha (auf Seite 62) in „Care Work - Dreaming Disability Justice” 18. In den Wohnküchen, Schlafzimmern und Couchlandschaften jener, die aktivistisch tätig, aber wohnungsgebunden sind. Jene, die durch Behindertenfeindliche Weltgestaltung und Klimakrise besonders bedroht sind. Sie suchen kreative Orte, Lösungen und Arbeitsmodelle, um die Gesellschaft zu verändern, ohne in ableistisch konstruierten Aktivismus-Kontexten auszubrennen. Diese kreative Leistung ist Alltag für Behinderte Bodyminds. Genau der kreative Veränderungswille, den die großen Klimabewegungen fürchten, da er an ihren eigenen Bequemlichkeiten nagt. Es gibt Behinderte Stimmen, Ideen und Arbeitsstrukturierungen zu übernehmen, zu unterstützen und zu verstehen: In einer Welt, die von Tag zu Tag unbewohnbarer für Menschen wird, sind diejenigen Expert*innen, die schon immer in Kontexten über_lebten, die nicht für sie geschaffen wurden. SchwarzRund (keins/they/@) ist Schwarze Deutsche Dominikaner*in. SchwarzRund arbeitet und macht Kunst zu Mehrdimensionalen Lebensrealitäten (unter anderem auf schwarzrund.de). SchwarzRund studierte Kulturwissenschaften und Gender Studies, promoviert derzeit in den Geschichtswissenschaften zu Audre Lordes Politikverständnis in der Erfurter Forschungsgruppe „Contested Democracy“. Endnoten 5 „Behindert” wird hier großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es keine festgelegte physische Grundlage gibt die eine Person behindert oder nicht behindert macht. Vielmehr ist dies das Ergebnis einer sozialen und kulturellen Aushandlung. 6 „ver_rückten” wird hier so geschrieben, um sowohl neurologische Differenzen wie auch gesellschaftliche Konsequenzen von Unterdrückung für das Individuum zeitgleich zu benennen. 7 Audre Lorde, Kurzbiographie: http://www.audrelorde-theberlinyears.com/ deutsch/audre_de.html. Auf Englisch gibt es dieses tolle Kinderlied um Audre kennenzulernen: https://www.youtube.com/watch?v=jm_xrNV5M2U 8 Eugenik ist eine philosophische Idee. Sie wurde von Darwins Vetter entwickelt, der hieß Galton. Das Wort (Eugenik) kommt aus dem Altgriechischen, es bedeutet ungefähr „die edle Abstammung verstärken”. Eugeniker*innen wollen, dass es weniger Behinderte und ver_rückte Kinder gibt. In Deutschland zur Nazizeit und darüber hinaus wurden Menschen wegen der Eugenik ermordet, zwangssterilisiert und entrechtet. Mehr dazu hier: https://www.gedenkort-t4.eu/de/wissen/was­ heisst-eugenik 9 egalitär bedeutet „auf politische, soziale Gleichheit gerichtet” 10 Frauen der Unterwelt - Queerfeministische Antworten auf Psychiatriegewalt, Sexismus und Ableismus (2021), herausgegeben von Tine Rhel Völker in Edition Assemblage. 11 Europäische Länder haben zum Beispiel Mittelamerika lange ausgebeutet. Sie haben die Menschen dort umgebracht, Menschen aus Afrika dorthin verschleppt und versklavt. Sie haben die Natur verändert und ihr mehr Rohstoffe entzogen, als sie ihr wieder gegeben haben. Dadurch wird die Natur über die Jahrzehnte hinweg immer kränker. Manche sagen, diese Zeit sei vorbei. Diese Zeit hieß Kolonialismus. Doch Forscher*innen aus Lateinamerika sagen das stimmt nicht! Sie sagen auch heutzutage macht Europa Gewinne mit dem Land und den Menschen in Mittelamerika. Das nennen sie den neuen Kolonialsmus, also Neo-Kolonialismus. 12 Deutsche Übersetzung: „Die institutionelle Ablehnung von Differenzen ist eine absolute Notwendigkeit in einer Profitwirtschaft, die Außenseiter*innen als menschliche Überschussware benötigt. Als Mitglieder eines solchen Wirtschaftssystems werden wir alle darauf programmiert unseren menschlichen Unterschieden mit Angst und Abscheu zu begegnen und sie auf eine von drei Arten zu behandeln: Wir ignorieren sie, und wenn das nicht möglich ist, kopieren wir sie, wenn wir glauben, dass sie dominant sind und zerstören sie, wenn wir meinen, sie seien uns untergeordnet.” 13 Fridays for Future, Klimabewegung junger Menschen 14 Siehe hierzu die Miene Pueblo Viejo in der Dominikanischen Republik: https:// www.blickpunkt-lateinamerika.de/artikel/wie-der-bergbau-eine-gemeinde-spaltet/ Neo-Kolonialismus und der CO2 Ausstoß nach Land: https://www.ak-umwelt.at/ schwerpunkt/?article=394&issue=2015-01 15 Deutsche Übersetzung: „So lange jegliche Unterschiede zwischen uns bedeuten, dass eine*r von uns unterlegen sein muss, wird die Anerkennung von Differenzen mit Schuld belastet sein. Unterschiede zu ignorieren macht es unmöglich die verschiedenen Probleme und Schwierigkeiten zu sehen, die uns bevorstehen.” 16 https://www.eater.com/2018/7/19/17586742/plastic-straw-ban-disabilities 17 Deutsche Übersetzung: „Menschliche Differenzen als Sprungbrett für kreativen Wandel” 18 Care work: Dreaming disability justice (2018) von Leah Lakshmi PiepznaSamarasinha in arsenal pulp press. Nachweis Audre Lorde: Audre Lorde (1980): Age, Race, Class, and Sex: Women Redifing Difference. In: Audre Lorde und Cheryl Clarke (Hg.): Sister outsider. Essays and speeches. Revised edition (2007). Berkeley: Crossing Press (The Crossing Press feminist series), S. 114–124. Zum Weiterlesen: Ali Uddman, Elleonora (2021): Eco-Ableism in Society and the Climate Movement. In: Newsletter - Fridays For Future, 14.06.2021. Online verfügbar unter https:// fridaysforfuture.org/newsletter/edition-no-3-ecoableism/, zuletzt geprüft am 27.08.2022 Aloha ‘Āina with Dr. Jamaica Heolimeleikalani Osorio (2022). In: Finding Our Way Podcast, 02.08.2022. Online verfügbar unter https://www.findingourwaypodcast.com/ individual-episodes/s3e4, zuletzt geprüft am 27.08.2022 Bretz, Thomas H. (2020): Discussing Harm without Harming. In: Environmental Ethics 42 (2), S. 169–187. DOI: 10.5840/enviroethics2020111615 Davis, KC (2022): 03: Eco-Shame with Rebecca Gray. In struggle care (Podcast). Online verfügbar unter https://www.strugglecare.com/podcast-rss/03, zuletzt geprüft am 29.12.2022 Davis, KC (2022): 10:You Can‘t Save the Rainforest if You‘re Depressed with Imani Barbarin. In struggle care (Podcast). Online verfügbar unter https://www.strugglecare. com/podcast-rss/03, zuletzt geprüft am 29.12.2022 Eco Warrior Princess (2018): Eco-Ableism: What It Is, Why It Matters and How It Affects Disabled People - Eco Warrior Princess. Online verfügbar unter https:// ecowarriorprincess.net/2018/08/eco-ableism-what-it-is-why-it-matters-how-affects­ disabled-people/, zuletzt aktualisiert am 10.11.2018, zuletzt geprüft am 27.08.2022 Finding Our Way Podcast (Transkript) (2022): S3 E4 Aloha ‘Āina with Dr. Jamaica Heolimeleikalani Osorio.docx. Online verfügbar unter https://docs.google.com/ document/d/1Tcm-JVrMo8RZdrSNpsn5BB8ZjTPJdG4T/edit, zuletzt aktualisiert am 27.08.2022, zuletzt geprüft am 27.08.2022 MAPA (@fridaysforfuturemapa) • Instagram-Fotos und -Videos. Online verfügbar unter https://www.instagram.com/p/CZCWvFftvzM/, zuletzt aktualisiert am 27.08.2022, zuletzt geprüft am 27.08.2022 Mitzi Jonelle Tan (2019): White Saviorism in the Climate Movement. In: Bad Activist Collective, 11.03.2019. Online verfügbar unter https://www.badactivistcollective.com/ the-bad-book/white-saviorism-climate-movement, zuletzt geprüft am 27.08.2022 Darum geht es: Katastrophenschutz, Notfallpläne, Zugang zu Informationen, Klima-Aktivismus, Unverzichtbarkeit von Plastikstrohhalmen, Forderungen an (Klima-)Politik von So Abelismus ist überall. Er findet sich im Klimawandel, im Klimaaktivismus und in Klimalösungen, er ist strukturell. Systemische Unterdrückung spiegelt sich immer in sozialen Bewegungen wider, wenn nicht aktiv versucht wird, sie zu verlernen. Genau deswegen müssen wir uns endlich mit den Folgen des Klimawandels für behinderte Menschen beschäftigen! Die Vereinten Nationen haben bereits vor Jahren dazu aufgerufen, die Bedrohung durch die Folgen des Klimawandels für Menschen mit Behinderung als Menschenrechtsfrage ernst zu nehmen. Im April 2020 veröffentlichten sie dazu eine Studie: „Menschen mit Behinderung – geschätzt eine Milliarde Menschen welt­ weit [das ist 1/8 der gesamten Weltbevölkerung!] – erfahren die Folgen des Klimawandels anders und viel stärker als andere. Beispielsweise sind behinderte Menschen in Gefahrensituationen stärker benachteiligt. Das zeigt sich überproportional in einer höheren Krankheitsanfälligkeit und Sterblichkeit. Sie sind auch diejenigen mit dem schlechtesten Zugang zu Notfall-Unterstützung.“ 19 Die Stimmen von uns werden hier nicht gehört. Bereits 2017 wurde in einer Studie inklusiver Katastrophenschutz gefordert. Es wurde außerdem empfohlen, Behindertenaktivisti in die Diskussionen zu den Notfallplänen einzubeziehen. Und Deutschland stellt für diese Studie nicht einmal Daten zur Verfügung! 20 Es ist Zeit, den strukturellen Ableismus in der Gesellschaft und Politik zu benennen und zu bekämpfen. Struktureller Ableismus zeigt sich, indem die Lebenswelten behinderter Menschen nicht beachtet und nicht in die Planung einbezogen werden. Es ist dringend notwendig, dass wir darüber reden, wie behinderte Menschen in Notfallplänen für Naturkatastrophen besser „mitgedacht“ werden können und einen Platz am Tisch bekommen, wenn über diese geredet wird. Wie können wir eine neue Zukunft aufbauen, die den Bedürfnissen aller gerecht wird und die Klimakrise bewältigt? Indem wir uns gemeinsam neue Systeme und Lösungen ausdenken und erträumen! Ich wünsche mir endlich eine aktive, freie und bedeutsame Teilhabe von behinderten Menschen und deren Selbstvertretung in allen gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Dazu gehört ein barrierefreier Zugang zu Informationen, auch zum Thema Klimagerechtigkeit. Die meisten Informationen zu Klimagerechtigkeit sind derzeit leider nur auf Englisch und erst recht nicht in Leichter Sprache vorhanden. Menschen mit Lernschwierigkeiten kommen in Debatten zum Klimawandel gar nicht zu Wort und haben den schlechtesten Zugang zu Bildung. Generell brauchen wir mehr Wahrnehmung von Behindertenrechten in den Klimawandel-Debatten, auch um abelistischer Diskriminierung in unseren Handlungen gegen den Klimawandel vorzubeugen. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Das Strohhalmverbot ist dafür ein Paradebeispiel. Bei dem Entwurf des Gesetzes wurden dessen Auswirkungen auf behinderte Menschen einfach nicht berücksichtigt. Und das trotz eines Aufschreis von Behindertenaktivisti, als das geplante Verbot bekannt wurde. Der Strohhalm ist für viele Menschen einfach unverzichtbar und lebensnotwendig. Um so verwunderlicher ist für mich, dass viele Umwelaktivisti dieses Thema komplett ignorieren, wenn sie das Verbot von Plastikstrohhalmen als einen ersten Schritt in die „richtige“ Richtung feiern. Es scheint so, als ob Menschen mit Behinderung und die von ihnen benötigten Hilfsmittel in der Öffentlichkeit kaum Präsenz haben. Warum Strohhalme für viele behinderte Menschen unverzichtbar sind, lässt sich einfach Erklären: Für Menschen mit eingeschränkter Schluckfähigkeit oder eingeschränkter Funktion der Oberarme zum Beispiel, ermöglichen Plastiktrohhalme, dank ihrer Flexibilität, selbsständiges Trinken ohne Verletzungsrisiko. Diese Sicherheit und Freiheit bieten Alternativen zu Plastikstrohalmen leider nicht. Metall, Glas und Bambus sind extrem starr, nicht flexibel oder anpassbar und schwer zu reinigen. Zudem gibt es bei Glas und Bambus eine Verletzungsgefahr durch Scherben und Splitter. Papier und Nudeln weichen schnell durch und werden durch Knicken oder leichtes Aufbeißen oft unbrauchbar. Nudeln stellen außerdem ein extremes Allergierisiko dar, genauso wie vermeintlich umweltfreundliches Bioplastik, bei dem häufig die Kennzeichnung der Inhaltsstoffe fehlt. Das Verbot bedeutet also erneute bürokratische Hindernisse, nur um einen Tee trinken und das eigene Leben so selbstbestimmt wie möglich leben zu können. All das kostet viel Zeit, Nerven und Energie, sodass diese fehlt, um sich außerhalb der alltäglichen Hürden in Debatten um Klimagerechtigkeit einzusetzen. Die Klimabewegung muss sich ernsthaft mit dem Thema Zugang und Inklusion befassen, mit breiten Zugangsmöglichkeiten für alle als Standard in unseren Räumen, Strukturen und Aktionen. Die Stimmen von behinderten Menschen müssen einbezogen und in den Mittelpunkt gestellt werden. Marginalisierte Menschen und ihre Bedürfnisse dürfen nicht nur ein nachträglicher Gedanke sein. Wir müssen die Agenda bestimmen, Forderungen formulieren und dabei helfen, Lösungen zu schaffen, die den Bedürfnissen aller gerecht werden. Wir können keine Zukunft für Alle aufbauen ohne Alle einzubeziehen. Deswegen hört uns endlich zu und bezieht uns in Themen, die unser Leben betreffen, mit ein! So hat Geographie studiert und arbeitet in der Bildung für nachhaltige Entwicklung. So sind gemeinsames Wissen und voneinander lernen, Klimagerechtigkeit und Intersektionalität wichtig. So nutzt einen Rollstuhl und sagt nie „nein“ zu einer guten Tasse Tee. Endnoten: 19 Analytical study on the promotion and protection of the rights of persons with disabilities in the context of climate change - Report of the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights 20 Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention - Katastrophenhilfe muss inklusiv sein - Empfehlungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte Die Karte auf den nächsten Seiten ist von Leo: Leo ist weiß, nicht-binär/trans und lernt im Rahmen seines Universitätsstudiums und darüber hinaus über Extraktivismus, Dekolonialität und Feminismen. Wenn leo nicht gerade mit Allergien, ADHS und Asthma am strugglen ist, hört leo am liebsten Hörbücher, kocht, kümmert sich um Pflanzis und begeistert sich für Linoldruck, Aquarell und Haare schneiden. ANREGUNGEN FÜR EIN BARRIEREARMES KLIMACAMP Hinterfragen des verinnerlichten kapitalistischen Leistungsdenkens Basierend auf Texten von Cécile Lecomte und eigenen Erfahrungen Markierung von Zeltschnüren Abschaffung ableistischer Strukturen als Gruppenprozess Eine Küche, die Allergien mitkocht Reizarme Rückzugsräume mit Stimmingtoys Abgesonderte Orte für Personen, die rauchen oder konsumieren möchten Übersetzung und Gebärdendolmetschen auf Plena und Workshops Infopoint mit kontraststarken Schildern, leichter Sprache und Braille-Schrift Rollstuhl­ geeignete Wege mit Kontrastmarkierungen Barrierefreie Komposttoiletten mit Rampe und Haltegriffen No-JudgmentParkplatz für alle, die auf ein Auto angewiesen sind Ein warmer Ort mit Feldbetten Demo ohne Pyro-Technik für Asthmatiker*innen & Informationen zur Barrierefreiheit von Aktionen Sichtbarkeit und Wertschätzung von Orga- und Care­ arbeit und Aufarbeitung von Mackertum und Coolness Darum geht es: Angst vor der Klimakrise, Klimakatastrophen, soziale Ungerechtigkeit, Rassismus, Kolonialismus, Kapitalismus, Barrieren in Bus und Bahn, Gefängnis, Behindertenwerkstätten, Stromausfall, falsche Lösungen von İlyas Kılıç Mein Leben beginnt erst jetzt. Ich tue die Dinge, die ich mag. Ich plane meine Zukunft. Ich habe Wünsche und Träume, Aufgaben und Freundschaften. Ich denke an die Klimakrise. Dann habe ich das Gefühl: Mein Leben ist bald zu Ende. Nicht nur meins. Jeden Tag sind mehr Menschen in Lebensgefahr. Vor allem im globalen Süden. Früher wurde gesagt: Das dauert mit der Klimakrise. Uns wurde beigebracht: Es gibt noch Zeit. Aber die Zeit ist vorbei. Die Erde ist schon jetzt vielerorts nicht mehr bewohnbar. Alles kommt schneller als wir dachten. Die Klimakrise betrifft auch behinderte Menschen. Es gibt viele Katastrophen. Und Kriege. Und Netzwerke, die zusammenbrechen. Behinderte Menschen können nicht einfach fliehen. Sie werden vergessen und ignoriert. Sie sind die ersten Menschen, die sterben. Sie sind nicht willkommen, wenn sie woanders hingehen müssen. In Notsituationen gilt: Nur das Wichtigste. Behinderte Menschen sind nicht so wichtig. Ozeane fließen plötzlich durch ganze Länder. Das Regenwasser ist voller Chemikalien. Alles, was wir anfassen und einatmen, ist Gift. Die Klimakrise ist gefährlich für behinderte Menschen. Die Klimakrise macht viele Menschen behindert. Zum Beispiel werden Menschen durch Katastrophen und extremes Wetter verletzt und krank. Es gibt Diskussionen über die Klimakrise. Es wird immer über die gleichen Menschen berichtet. An behinderte Menschen wird nicht gedacht. Vor allem nicht an diese: Die, die mehrere Unterdrückungen erleben. Ich lese über Klimaaktivismus. Schon immer haben Menschen etwas dazu gesagt. Vor allem Schwarze und Indigene Menschen. Sie sind für viele Menschen nicht so wichtig wie andere. Sie bekommen nicht so viele Interviews. Sie werden aus Bildern herausgeschnitten. Sie werden getötet. Viele Menschen haben vor der Klimakrise gewarnt. Wer wird gehört? Wer nicht? Die Klimakrise wurde beschleunigt mit modernen Kriegen. Mit dem gewalttätigen Betreten anderer Länder. Mit dem Stehlen von Ressourcen. Mit der Jagd auf Tiere, bis sie aussterben. Mit dem Verdrängen von Menschen aus ihrem Zuhause. Mit Kolonialismus. Mit Kapitalismus. Mit der Nutzung fossiler Brennstoffe. All diese Dinge waren Beschleuniger für die Klimakrise. Und sind es noch heute. Ich wünsche mir diese Menschen im Mittelpunkt: Die, die am schlimmsten betroffen sind von der Klimakrise. Aber andere Menschen sind im Mittelpunkt. Sie sagen problematische Dinge. Zum Beispiel: Sie wollen Plastikstrohhalme verbieten. Sie wollen nur noch öffentliche Verkehrsmittel. Wir sollen alle Fahrrad fahren. Wir sollen alle etwas tun. Wir seien schuld. Wir seien verantwortlich. Nicht die Unternehmen. Nicht die Politik. Nicht die Kriege. Sie sagen das sogar zu den Menschen, die behindert sind. Zu denen, die arm sind. Zu denen, die trans sind und denen, die viel Rassismus erleben. Natürlich kann jeder Mensch Verantwortung tragen. Für manche Dinge. Kleine Schritte können etwas ändern. Aber: Ein Mensch trägt nicht allein die Verantwortung. Zum Beispiel: Trans Menschen werden oft getötet. Vor allem diese: Die, die viele Unterdrückungen erleben. Niemand beschützt sie. Aber: Plastik verbieten ist wichtig. Es wird so getan, als wären wir alle gleich. Wir haben gleiche Rechte. Wir sind gleichgestellt. Aber: Das sind wir nicht. Die Klimakrise ist eine Gefahr für alle. Für einige Menschen gibt es jedoch eine größere Gefahr: Andere Menschen. Viele öffentliche Verkehrsmittel sind nicht barrierefrei. Nichtbehinderte Menschen werden fröhlich in ihren Zügen fahren. Wir behinderte Menschen werden Autos fahren. Oder alleine Zuhause sein. Wir werden nicht überall hinkommen. Es wird viele autofreie Zonen geben. Wir werden viel Geld bezahlen für Autos und Sprit. Neun-Euro-Tickets gelten nicht für uns. Wir werden so wie immer aus dem Leben gedrängt. Das Neun-Euro-Ticket sei gut. Es hat die Umwelt entlastet. Das mag stimmen. Aber wie gesagt: Barrierefreiheit wird vergessen. Und: Viele Menschen in Deutschland sind im Gefängnis, weil sie ihre Fahrkarten nicht bezahlen konnten. Neun Euro Tickets gab es nicht für sie. Im Gefängnis sind sie immer noch. Generell sind viele behinderte Menschen im Gefängnis; und viele Menschen werden durch Gefängnisse behindert. Klimakrise bedeutet: Kampf um Ressourcen. Eine kontrollierte Gesellschaft. Und viele Probleme. Meine Frage: Wird es mehr Gefängnisse geben? Gefängnisse mit Solarstromanlagen? Umweltfreundlich. In Gefängnissen müssen die Menschen hart arbeiten. Sie bekommen keinen Mindestlohn. Genauso wie in den Behindertenwerkstätten. Viele behinderte Menschen sind eingesperrt. In Gebäuden. Zu Hause. Im Gefängnis. In Behindertenwerkstätten. Zu Hause. Isolierte Seelen. In Körpern, die die Gesellschaft nicht will. Wie gesagt: Plastikstrohhalme werden verboten. Aber: Plastikstrohhalme sind wichtig für behinderte Menschen. Behinderten Menschen wird nicht zugehört. Sie können nicht einfach andere Strohhalme nehmen. Die rücksichtslosen Menschen verbieten Plastik und helfen angeblich der Umwelt. Sie finden es gut, wenn behinderte Menschen sterben. Sie denken: Behinderte Menschen sind eine Belastung für die Umwelt. Das machen sie nicht nur mit Strohhalmen. Sie sagen auch zum Beispiel: Asthmaspray ist schlecht für die Umwelt. Medikamente sind schlecht für die Umwelt. Und so weiter. Alles Dinge, die viele behinderte Menschen brauchen. Durch den Verzicht auf Plastikstrohhalme wird die Umwelt nicht gerettet. Ich finde: Plastikstrohhalme für alle, die sie brauchen. Damit sie leben können. Viele Menschen wollen vom Thema ablenken. Von der Ursache der Klimakrise. Von denen, die sie beschleunigen. Von den Menschen, die schon lange etwas dazu sagen. Das macht mir auch Sorgen: Die Blackouts. Blackout heißt: Es gibt dann keinen Strom. Zum Beispiel wegen extremem Wetter und wegen Energieknappheit. Das Netzwerk bricht zusammen. Für einige Stunden. Oder auch Tage. Viele Geräte funktionieren dann nicht. Es gibt kein Licht. Und Probleme mit der Versorgung von Menschen. Atemgeräte gehen dann nicht. Und Sprachassistenzprogramme. Und viele andere Hilfsmittel. Das ist gefährlich für behinderte Menschen. Hilfsmittel sind schwer zu bekommen. Ich habe ein Sprachassistenzprogramm. Aber nur auf dem Handy. Ein Gerät kann ich mir nicht leisten. Bei einem Blackout wäre es traurig, wenn ich mein Handy nicht benutzen könnte. Und wenn ich nicht schreiben könnte. Ich schreibe online viel mit befreundeten Menschen. Ich stelle mir vor: Eine umweltfreundliche Utopie. Keine Autos. Nur Fahrräder. Ich kann nicht gut Fahrrad fahren. Ich bin oft zu langsam für Fahrradfahrende. Ich laufe mit einem Gehstock. Menschen wollen sportlich und fit sein. Ich laufe manchmal langsamer. Um sie zu ärgern. In der Utopie stehe ich dann noch mehr im Weg. Aus Prinzip. Ich stelle mir eine andere Utopie vor: Klimastadt. Frei von Umweltsünden. Aber: die Grenzen sind zu. Kein Mensch willkommen. Vor allem keine behinderten Menschen. Aus der Klimastadt selbst und von außerhalb. Schlechte Karten für mich. Die Klimakrise macht außerhalb der Klimastadt viele Menschen behindert. Sie sagen: Das ist eine Belastung. Ozeane fließen in Flutwellen durch Kanäle, Regionen und Länder. Außer durch die Klimastadt. Wer verdient eine schöne Zukunft? Und wer nicht? Auf den Straßen: nur sportliche und fitte Menschen. Geht es wirklich um Umwelt? Oder um etwas anderes? Zum Beispiel: Corona haben wir schon vergessen. Coronatote sind eine Statistik. Der Tod einer Monarchin eine Tragödie. Utopie heißt: Straßen frei von Menschen, die belasten. Die hässlich genannt werden, behindert und verrückt sind, behindert und verrückt werden. Straßen voll mit Menschen, die produktiv und gewinnbringend sind. Die intelligent, schön und umweltfreundlich genannt werden. Ihr Glück heißt: Gleichheit, um jeden Preis. Auch, wenn er unbezahlbar ist. Unser Glück heißt: „Ein Plastikstrohhalm, bitte.“ Und ihn bekommen. İlyas Kılıç ist Berater für diskriminierungssensible Medien. Er arbeitet bei dem Kollektiv DisCheck. Er hält Workshops über Ableismus. Er hat Literatur, Soziologie und Politik studiert. Seine Interessen sind: Die Darstellung von Behinderung in Medien. Und die Zusammenhänge von Ableismus und Rassismus aufzeigen. Weiterführende Informationen: Was ist Behinderung? Lewis, Talila A.: Working Definition of Ableism – January 2022 Update. URL: https:// www.talilalewis.com/blog/working-definition-of-ableism-january-2022-update (Abrufdatum: 13.12.2022, 13:16 Uhr). Ralph, Nim: Understanding Disability: Part 6 – The Radical Model. URL: https://www. drakemusic.org/blog/nim-ralph/understanding-disability-part-6-the-radical-model/ (Abrufdatum: 13.12.2022, 13:14 Uhr). Behinderung und Klimakrise Die neue Norm: #24 Klimakrise. URL: https://dieneuenorm.de/podcast/klimakrise/ (Abrufdatum: 13.12.2022, 13:30 Uhr). Disability & Philantrophy Forum: Connections Between Climate Change and Disability. URL: https://disabilityphilanthropy.org/resource/connections-between-climate­ change-and-disability/ (Abrufdatum: 13.12.2022, 13:20 Uhr) Behinderung und Gefängnis Bixby, Laurin, Stacey Bevan und Courtney Boen: The Links Between Disability, Incarceration, and Social Exclusion. URL: https://www.healthaffairs.org/doi/10.1377/ hlthaff.2022.00495 (Abrufdatum: 13.12.2022, 14:36 Uhr). Disability & Philantrophy Forum: Intersections Between Racism and Ableism. URL: https://disabilityphilanthropy.org/resource/intersections-between-racism-and­ ableism/ (Abrufdatum: 13.12.2022, 13:52 Uhr). Marks, Melanie, Svea Eckert und Markus Grill: Ins Gefängnis für Fahren ohne Ticket. URL: https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/armutsdelikte-geldstrafen-haft-101. html (Abrufdatum: 13.12.2022, 14:16 Uhr). Darum geht es: Behindertenbewegungen ab der 1960er Jahre, Krüppelgruppen, sexualisierte Gewalt, Feminismus, Vorstellung von Klima-Aktivist*innen, öffentlicher Nahverkehr von Daniel Horneber Wenn ich überlege, was mir zum Thema „behinderte Menschen in der Klima- und Umweltbewegung“ einfällt, möchte ich erst einmal auf die Behindertenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland eingehen. Ende der 1960er Jahre kam es zur Gründung der ersten Gruppen der Behindertenbewegung in der BRD. Die 1960er Jahre standen generell im Zeichen der Neuen Sozialen Bewegungen. Dieser gesellschaftliche Aufbruch, der mit dem Infragestellen von Machtverhältnissen in vielen gesellschaftlichen Bereichen einherging, erreichte auch junge behinderte Menschen. Behinderte Menschen realisierten, dass nicht ihre jeweilige biologische Beeinträchtigung die Ursache von Behinderung war, sondern die gesellschaftlichen Bedingungen. Die Personen mit den radikalsten Positionen in der Behindertenbewegung gründeten Ende der 1970er Jahre die „Krüppelgruppen“. Bekannte Protagonist*innen sind Franz Christoph (auf Seite 46), Horst Frehe und Swantje Köbsell (beide auf Seite 55). Nichtbehinderte Menschen waren von der Mitgliedschaft ausge­ schlossen. 1981 gründete sich die Aktionsgruppe gegen das von der UNO organisierte „Jahr der Behinderten“. Die Aktionsgruppe hatte das Ziel, die offiziellen Veranstaltungen für ihre Themen zu nutzen. Unter dem Motto „Jedem Krüppel seinen Knüppel“ organisierte das Aktionsbündnis die Störung der Eröffnungsveranstaltung, zu der in der Dortmunder Westfalen·halle unter anderem eine Rede des damaligen Bundespräsidenten Carl Carstens angekündigt war. Um dessen Rede zu verhindern, ketteten sich einige Aktivist*innen auf der Bühne an, auf der der Bundespräsident sprechen sollte. eine Aktionsgruppe stört die Eröffnung vom UNO „Jahr der Behinderten“ ganz links steht Franz Christoph und schaut in die Kamera Dortmund, Januar 1981 Das aus der Behindertenbewegung heraus organisierte „Krüppeltribunal“, mit dem „Menschenrechtsverletzungen im Sozialstaat“ zur Anklage gebracht wurden, bildete den Abschluss des Jahres. Von großer Bedeutung ist auch die Bewegung behinderter Frauen, die sich innerhalb der Behindertenbewegung früh herausbildete, da die Behindertenbewegung keinen Raum für die Themen bot, die sich aus dem Zusammentreffen von Behinderung und weiblichem Geschlecht ergeben. Die Frauen brachten das „Tabu im Tabu“, die sexualisierte Gewalt gegen behinderte Frauen, an die Öffentlichkeit. Im Rahmen der aufkommenden feministischen Kritik an den neuen Gen- und Reproduktionstechnologien, konfrontierten sie die feministischen Kritikerinnen mit dem Zusammenhang von Eugenik, humangenetischer Beratung und selektiver Abtreibung. Damit setzten sie die oftmals kontrovers geführte Diskussion darüber in Gang, wie politisch das Private in dieser Hinsicht ist. Ab den frühen 1990er Jahren wurde der Kampf für rechtliche Gleich­ stellung zum zentralen Thema. 2009 wurde die UN-Behindertenrechts­ konvention in Deutschland ratifiziert. Wenn ich jetzt den Bogen zur Umwelt- und Klimabewegung schlage, muss ich unweigerlich an die zwei großartigen Aktivistinnen Greta Thunberg (auf Seite 49) und Cécile Lecomte (auf Seite 67) denken. Greta Thunberg löste mit ihrem Schulstreik für eine konsequente Klimapolitik in Schweden die größte globale Protest·bewegung der letzten Jahrzehnte aus. International formierte sich daraus die „Fridays for Future - Bewegung“, welche dafür sorgte, dass Millionen von meist jungen Menschen Freitag für Freitag auf die Straße gingen, um für konsequente Klimapolitik zu streiken. Über ihren Autismus und was dieser mit ihrem Aktivismus zu tun hat, sagte Greta Thunberg einmal in einem Interview sinngemäß: Ihre „mangelnden“ Fähigkeiten im „Socializing“ seien der entscheidende Grund dafür, anfangs allein protestieren gegangen zu sein. „Wenn ich ‚normal‘ und gesellig gewesen wäre, hätte ich mich einer Organisation angeschlossen oder selbst eine gestartet.“ Bei Twitter beschreibt sich Greta Thunberg 2019 selbst als „16-jährige Klima- und Umweltaktivistin mit Asperger“. Für Millionen, gerade junge Menschen, ist die Schwedin zu einem Vorbild geworden. Cécile Lecomte ist eine in Deutschland lebende, französische Umweltaktivistin, die einen Rollstuhl nutzt. Die meisten ihrer Aktionen haben mit Klettern zu tun, deshalb wird sie auch „Eichhörnchen” genannt. Aufgrund ihrer Aktionen des zivilen Ungehorsams wurde sie mehrfach von deutschen Gerichten verurteilt oder „vorsorglich“ in Gewahrsam genommen. Sie hält Vorträge und wirkt an der internationalen Vernetzung sozialer Bewegungen mit. Cécile Lecomte ist auf einen Rollstuhl angewiesen. 2007 begann sie mit Baumbesetzungen bei Straßenbauprojekten und sie beteiligte sich an Protesten gegen den Braunkohletagebau und gegen einen Flughafenausbau. 2008 blockierte sie mehrere Stunden zwei Uranmüllzüge. Es folgten Abseilaktionen gegen Castortransporte auf Schienen oder dem Seeweg durch Blockaden. Die Bahn und der restliche ÖPNV sind schon lange ein Punkt, der den Widerstand behinderter Menschen hervorruft, weil sie auf dem Weg zu einer Verkehrswende nicht mitgedacht werden. Der Einstieg in die Fernzüge der DB ist auch im Jahr 2022 noch nicht ohne fremde Hilfe möglich und die sogenannte Mobilitätshilfe muss 24 Stunden vorher angemeldet werden. In den Zügen gibt es darüber hinaus zu wenig Stellplätze für Rollstühle und Kinderwägen. Um gegen diese Benachtei­ ligung und für eine inklusive Verkehrswende zu demonstrieren, blockierten mehrere behinderte Aktivist*innen im August 2022 die Bahnhöfe Köln Deutz und Frankfurt am Main mit Abseilaktionen (auf Seite 52), bei denen auch Rollstuhlnutzer*innen dabei waren, natürlich auch Cécile Lecomte. Ein weiteres Ärgernis für behinderte Menschen sind E-Scooter. Meines Erachtens, verdeutlichen diese Fahrzeuge, dass die Verkehrswende nicht inklusiv gedacht wird. Mehr als 54.000 E-Scooter gibt es alleine in Berlin zu mieten. Die Nutzer*innen der E-Scooter stellen diese häufig mitten auf den Gehwegen ab. E-Scooter sind nicht nur für blinde und sehbehinderte Menschen ein gefährliches Hindernis und ein erhebliches Unfallrisiko, sie sind auch für Rollstuhlnutzer*innen, Eltern mit Kinderwagen und ältere Menschen mehr als ein Ärgernis. E-Roller sollten nicht an jeder beliebigen Stelle des Gehwegs einfach abgestellt werden können, sondern nur auf entsprechend ausgewiesenen und abgegrenzten Abstellflächen. Diese müssen dann kontrastreich markiert und mit einem Blindenstock ertastbar sein. Daniel Horneber wurde mit Spina bifida und Hydrocephalus geboren. Er ist Erzieher und freier Speaker zu den Themen Behinderung, Beeinträchtigung und Inklusion. Er ist eine behinderte, weiße, männliche, cis, hetero Person (behinderter Mensch, nicht Mensch mit Behinderung). Vanessa Nakate, Malala Yousafzai und Greta Thunberg während einer Fridays for Future-Demonstration Stockholm, August 2022 Darum geht es: Bildungssystem, Auswahl der Ausbildung, Zugang zu Informationen, Barrieren in Bus und Bahn, Lützerath, Braunkohle von Magdalena Dittrich Ich heiße Magdalena. Ich bin bei Fridays for Future, Klimarechts­ aktivistin und bin von Ableismus betroffen. Ableismus bedeutet, dass ein Mensch auf Grund von Behinderung abgewertet wird von der Gesellschaft. Ich war auf einer Förderschule, das war nie mein Wunsch, aber die Regierung tut nicht genügend Geld in das Bildungssystem, sodass das Recht auf inklusive Bildung verwehrt wird. Ich habe jetzt die Schule absolviert und bemerke allerdings auch jetzt noch Ableismus: Mir werden zum Beispiel immer Berufe im handwerklichen Bereich angeboten, obwohl ich lieber was Soziales machen möchte. Ich glaube es liegt daran, dass Menschen, die nicht behindert werden, denken, Menschen mit Behinderung könnten selber nicht Unterstützung geben, weil sie ja selber Unterstützung brauchen. Ein anderes Beispiel ist, dass mir das Arbeitsamt die Finanzierung für ein Berufsorientierungsjahr im künstlerischen Bereich verwehrt hat. Ich muss immer dafür kämpfen, damit sich etwas ändert und damit ich mit mir selbst glücklicher bin. Der Klimawandel macht viele diskriminierende Strukturen noch spürbarer. Behinderte Menschen kommen schwer an barrierefreie Nachrichten, viele regionale Sendungen werden oft nicht in Gebärdensprache gedolmetscht und Sondersendungen auch nicht. Somit werden Menschen mit Behinderung oft nicht gewarnt vor Unwetterereignissen. Somit steigt das Risiko umso mehr, an Unwetterereignissen zu sterben, wenn Personen von einer Behinderung betroffen sind. Ein weiteres Beispiel für Ableismus im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe ist, dass in den Klimaberichten wenig über die Benachteiligung behinderter Menschen steht. Es muss viel mehr darüber geredet werden. Für Menschen, die eine Behinderung haben ist es zudem schwierig von a nach b zu kommen. Die alte Regierung hat sich damals das Ziel gesetzt, dass der ÖPNV barrierefrei sein muss bis zum 1. Januar 2022, aber es folgte nicht die genügende Handlung. Mit den momentanen Regelungen müssen Kommunen bei Ausnahmen die Barrierefreiheit nicht umsetzen. Von diesen Ausnahmen gab es einfach zu viele. Daran wird klar, dass Menschen mit Behinderung nicht als Menschen angesehen werden, die einfach alltägliche Sachen machen wollen, zum Beispiel zu Ärzt*innen gehen oder zu Freund*innen fahren. Stellt euch vor, wie es für euch wäre, eine Behinderung zu haben und nicht als vollständige Menschen angesehen zu werden. Die neue Bundesregierung will Barrierefreiheit umsetzen, ohne Ausnahmen bis zum Jahr 2026. Wir Menschen mit Behinderung werden dies scharf beobachten. Wir Menschen mit Behinderung werden abgesondert von der Gesellschaft. Wir fordern, dass die Kommunen vorlegen, ab wann sie die Bahnhöfe barrierefrei gestalten werden. Zugreisen müssen lange im Voraus geplant werden, Aufzüge funktionieren oft nicht, und wenn eine Person zum Beispiel gehörlos ist und stecken bleibt, kann sie sich nicht gut verständigen, da kann natürlich leichter Panik aufkommen. Daran wird sichtbar, dass Menschen ohne Behinderung bis heute nicht daran denken, dass es uns gibt, weil keine richtige Inklusion gelebt wurde und bis heute auch nicht richtig gelebt wird. Es muss durchgesagt werden, wann welche Bahn kommt, für Menschen die Blind sind oder kognitive Einschränkungen haben und es muss viel mehr ebenerdiger gebaut werden. Für die Klimagerechtigkeit fordere ich außerdem ein, dass Lützerath bleibt. Lützerath ist ein Dorf, das abgebaggert werden soll durch den Kohlekonzern RWE. Viele Menschen haben ihr Zuhause verloren und der letzte Bauer musste seinen Hof verlassen. Oft bekommen dann Bäuer*innen neues Land, aber bekommen von dem Land nicht so viel Ertrag. Unter Lützerath sind 650 Millionen Tonnen Braunkohle, wenn die abgebaggert werden, gehen 650 Millionen Tonnen CO2 in die Luft und wir knacken die 1,5 Grad Grenze. Hier in Deutschland hätte das extreme Folgen für Mensch und Tier. 271 Millionen Tonnen Braunkohle werden bis zum Ende der Kohleverstromung in NRW gebraucht. 300 Millionen Tonnen Braunkohle sind in den Bereichen Hambacher und Garzweiler II genehmigt, somit ist Lützerath nicht notwendig für die Energieversorgung. Lützi soll im Januar geräumt werden. Ich erwarte, dass Profit nicht über Menschenleben gestellt wird. Wir werden mehr Pandemien bekommen und mehr Extremwetterereignisse. Also kämpft gegen Ableismus und kämpft gegen die Klimakatastrophe, damit Vielfalt normal wird und wir in einer gerechteren Gegenwart leben können. Magdalena ist Mitglied bei fridays for Future Gelsenkirchen. Sie hat eine Behinderung und hat auf Grund dieser Behinderung Diskriminierung erfahren. Magdalena will anderen Mut machen, die auch von Diskriminierung betroffen sind. Sie interessiert sich für Geschichte, Abelismus, Feminismus und Klimawandel. Außerdem sind Musik und zeichnen ein großer Bestandteil ihres Lebens. Quellen: BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen (2022). Kohleausstieg 2030. https://www. bund-nrw.de/themen/braunkohle/ Fridays for Future Münster (2022). Radio for Future. https://www.nrwision.de/ mediathek/sendungen/radio-for-future/ Lützerath Lebt! (Instagram Account) (2022). https://www.instagram.com/ luetzibleibt/?hl=de Menschen, Medien und Inklusion e.V., München (2022). ROLLINGPLANET. https:// rollingplanet.de/ Schöne, Andrea (2021). Inklusion in Zeiten der Klimakrise. Die Neue Norm SOZIALHELDEN e.V. https://dieneuenorm.de/gesellschaft/inklusion-in-zeiten-der­ klimakrise/ Die Gruppe Fight Ableism protestiert am Bahnhof Frankfurt West für eine barrierefreie Bahn Frankfurt am Main, August 2022 Darum geht es: Demonstration, Klimastreik, Disriminierungserfahrung, Barrieren im Klima-Aktivismus, Flutkatastrophe, Barrieren und Anbindung mit Bus und Bahn ein Erfahrungsbericht von Ju „Kinder, rennt nicht so, ich komme nicht so schnell hinterher“, rufe ich und versuche mit dem Rollstuhl durch eine Gruppe von Menschen zu kommen. Meine Kinder sind ein paar Schritte weiter und halten ihre Plakate nach oben. Darauf steht: „Es ist auch unsere Welt“ und eine Erde ist darauf gemalt und ein weinender Clown. Sie warten auf mich und wir gehen zusammen weiter. Schon von Weitem höre ich eine Trommel schlagen. Gespannt auf das, was uns erwartet, gehen und fahren wir um die Ecke und sind nun mittendrin im Klimastreik, in einer Stadt in Baden-Württemberg. Es ist voll, aber nicht überfüllt. Es wird gesungen und eine Rede vorgetragen. Ich rede mit den Kindern darüber, was da genau gesagt wird und wir brechen es für uns herunter. Wie so oft geht es um die Fragen: Was können wir einzelnen, wir als Familie, tun und gleichzeitig, was können wir alle tun. Warum ist es wichtig, sich für Klimaschutz einzusetzen? Wie aus dem Nichts werde ich angesprochen, was ich eigentlich hier will. Mit einem Elektrorollstuhl, wo es doch auch welche ohne Strom gäbe. Und überhaupt würden Menschen wie ich, durch ihre ganzen Tabletten und Einmalspritzen, Medikamente und Verbandszeug, so viel Müll produzieren, dass ich hier gar nichts zu suchen hätte. Ich schlucke. Ich nehme meine Kinder auf die Seite und in den Arm. Ich schlucke erneut. Suche nach Worten. Diese kreisen in meinem Kopf und ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen steigen. Mir wird ganz heiß. Ich kann kaum sprechen. Ich weiß tatsächlich nicht, was ich sagen soll. In meinem Kopf überschlagen sich meine Gedanken. Soll ich mich rechtfertigen? Muss ich das vielleicht sogar? Für mich und allen anderen gegenüber? Ich kann nicht und habe ein schlechtes Gewissen. Uns allen gegenüber, die auf sterile Verpackungen angewiesen sind. Auf Medikamente oder Beatmungsschläuche. Ja, hier wird viel Müll produziert und einiges ließe sich wahrscheinlich vermeiden. Aber wir Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten können da nichts dafür. Und ändern können wir es auch nicht. Was wir zum (über-)leben brauchen, brauchen wir nun mal. Wir verpacken es nicht und wir haben so oft keine Wahl. All das erkläre ich danach meinen Kindern, die völlig schockiert neben mir stehen. Und den Menschen um uns herum. Von denen niemand etwas sagt. Die Klimakrise ist real. Sie bedroht unsere Welt und unser Leben. Doch dass wir auch im Bereich Klimaschutz Ableismus, Anfeindungen und Diskriminierungen ausgesetzt sind, ist ein schlechtes Zeichen. Es zeigt, wie wir immer noch (be)hindert und ausgegrenzt werden. Hier brauchen wir Verbündete und Menschen, die sich im Klimaschutz auch für uns und mit uns einsetzen und Behinderungen mitdenken. Sich hier selbst aktiv mit einzubringen, ist gar nicht so einfach. Denn zum einen sind die Strukturen oft nicht zugänglich, zum Beispiel für Rollstuhlfahrer*innen, zum anderen gibt es keine Übersetzungen in Gebärdensprache. Hier werden Dolmetscher*innen allzu oft immer noch nicht bezahlt, obwohl ehrenamtliches Engagement ein Teil der sozialen Teilhabe ist. Das Thema kann auch sehr triggern, zum Beispiel wenn es darum geht, dass bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 Menschen mit Behinderungen in einem Wohnheim gestorben sind, weil sie nicht rechtzeitig evakuiert wurden. Ein weiterer Punkt ist die barrierefreie Anbindung oder Zugänglichkeit. Denn ich habe weder eine Busverbindung zu den Treffen der Klimaschützer*innen in der Umgebung, noch sind die Räume für mich erreichbar. Genau aus diesem Grund steige ich am Ende des Tages nach dem Klimastreik mit meinen Kindern ins Auto und lasse mich von meinem Mann nach Hause fahren. Er hatte dazwischen noch einen Termin und kann gar nicht so recht glauben, was wir ihm erzählen. Und doch – das Klima geht uns alle an. Wenn jeder Mensch etwas tut, dann können wir alle etwas verändern und ein kleines Stück bewegen. Ich habe die Hoffnung, dass wir auf diesem Weg auch endlich an die Strukturen kommen und auch Großkonzerne dazu verpflichten, sich hier besser einzusetzen. So können wir etwas verändern. Für uns. Und für unsere Kinder. Für alle Menschen auf dieser Welt. Gerade für die Menschen, die bereits jetzt den Klimawandel in ihrem Alltag spüren. Miteinander und nicht gegeneinander. Das sind die Worte, die ich im Auto zu meiner Familie sage, während ich zum Krankenhaus rüber schaue und an Einzelverpackungen denke. Gleichzeitig denke ich aber auch daran, dass der Bus für diese Strecke nur alle 2 Stunden fährt. Ju ist eine Frau mit chronischer Krankheit und Behinderung. Sie ist Pädagogin und Mutter von zwei Kindern. Im Internet schreibt sie über Elternschaft und Behinderung sowie über das normale, trubelige Familienleben für mehr Sichtbarkeit und Vielfältigkeit. Swantje Köbsell (2. von links), Horst Frehe (3. von links) und andere Aktivist*innen der Bremer Krüppelgruppe treten für einen unbeschränkten Fahrdienst in den Hungerstreik Bremen, Februar 1981 Darum geht es: Musikfestivals, Musik hören, Tanzen, Vorurteile über taube Menschen, Antworten auf häufige Fragen von Inna Hey ihr lieben Lesenden, in der Überschrift habt ihr es ja schon gelesen: Die Tauben auf Musikfestivals… „Hää, wie?” denkt ihr bestimmt. Wartet… Ich stelle mich erst einmal kurz vor: Mein Name ist Inna Shparber und ich bin seit Geburt taub. Auch meine Familie ist taub. Ich bin in Bayern aufgewachsen, aber meine Mentalität passt ehrlich gesagt ganz gut zu Berlin. Daher wohne ich jetzt auch hier: Check - Traum erfüllt! 2016 habe ich angefangen zu studieren, tauchte damit zum ersten Mal in einen komplett hörenden 21 Alltag ein und war dementsprechend mit einer ganz neuen Situation konfrontiert. Derzeit mache ich einen Master im Studiengang „Soziale Arbeit - Kritische Diversity und Community Studies” an der Alice Salomon Hochschule. Soviel zu mir und nun komme ich zu meiner Leidenschaft für Musik. Kurze Anmerkung vorab: Alles, was ich hier schreibe, bezieht sich auf meine ganz persönliche Lebenserfahrung. Also: Zu Weihnachten und zum Geburtstag habe ich von meinen Eltern öfter eine Musikbox geschenkt bekommen. Mein Vater hat mir sogar einmal an einem ganz normalen Tag eine riesige Musikbox geschenkt. Deswegen höre ich sehr gerne Musik. Ich liebe Musik, das ist mein Ding. Innerhalb der tauben Communitys gibt es viele Leute, die gerne auf verschiedenste Musikfestivals gehen - so auch ich. Vor allem liebe ich Goa-Festivals. Passt auf: Auf Festivals mische ich mich jedoch gerne unter die hörenden Welten. Auch wenn ich oft mit tauben Freund*innen unterwegs bin, bin ich gerne in der hörenden Welt. Ihr denkt jetzt bestimmt: „Wie bitte? Taube Menschen gehen auf Festivals und hören Musik? Hä, wie ist das möglich?“ Bevor ich euch mehr dazu erzähle, habe ich ein paar Tipps für hörende Menschen: 1. Begriffe: Sagt nicht: taubstumm Sagt lieber: taub, hörbeeinträchtigt, hörgeschädigt. Fragt einfach, welche Wörter die jeweilige Person bevorzugt und für sich verwendet. 2. Es ist außerdem sehr wichtig im Kopf zu behalten, dass jede Person einen sehr unterschiedlichen Hörstatus hat, schwerhörig, leicht schwerhörig, mittelgradig schwerhörig, resthörig oder taub. 3. „Taube Menschen sind alle gleich”, das denken bestimmt viele! Nein, wir taube Menschen haben super viele verschiedene Communities, Interessen und Vorlieben. Wir sind nicht nur taub. Zum Beispiel gibt es: • taube queere Menschen • taube People of Colour und taube Schwarze Menschen • taube geflüchtete Menschen • etc. Wir sind also genauso wie ihr Hörenden! So, jetzt nochmal zurück, ihr fragt euch sicherlich noch: Wie können taube Menschen Musik überhaupt hören? Eine typische Situation: Wir befinden uns auf einer Tanzfläche bei einem Festival, wo laute Musik die Boxen durchbohrt. Dort tanze ich wie ihr, die Hörenden. Wenn ihr mich ansprechen wollt, schreit ihr, damit ich euch höre. Ich zeige euch mit einer Gestik: “Ich bin taub!” Hörende Festivalbesucher*innen denken dann oft: „Aaaah es ist wegen der lauten Musik, deshalb hört sie nichts mehr”. Sie kommen dann nääääher an mein Ohr und sprechen weiter. Jetzt muss ich ein Signal geben: Ich fange an mit meinen Händen zu gebärden. Dann fallen ihnen fast die Augen aus dem Gesicht! Nein, liebe Leute, ich habe nicht die ganze Nacht durchgefeiert und höre deswegen nichts mehr. Ich bin taub! Dann wundern sie sich, wie wir tanzen können. Es ist witzig, die Gesichter nach meiner Antwort zu beobachten. Die hörenden Leute sind oft richtig baff. Aber natürlich gibt es auch hörende Menschen, die sofort wissen, was ich meine und anfangen auf ihrem Handy zu schreiben oder mit Gestik und Mimik zu kommunizieren. Ob ihr es glaubt oder nicht: Wir hören Musik durch den Bass. Schon lange wollte ich über dieses Thema mal einen Artikel schreiben, weil es sehr oft vorkommt, dass wir zum Beispiel auf der Tanzfläche tanzen und die „hörenden” Leute verwundert sind, wie wir tanzen können, wenn wir doch nicht „hören” können. Hier ein kurzer Crashkurs und Antworten zu den häufig überraschten Reaktionen und Fragen von hörenden Menschen: 1. „Hä? Bist du wirklich taub?“ „Jaaaa, bin ich. Bist du hörend?“ 2. „Wie spürst du die Musik?“ „Probier doch mal aus, deine Musikbox auf deine Brust zu legen. Merkst du, wie das was mit deinem Körper macht? Wie er anfängt zu vibrieren? Und probier das: Lege deine Hände dabei gekreuzt auf deine Brust.“ 3. „Oh, wow. Ich muss weinen, so habe ich das in meinem Leben noch nie gesehen.“ „Ich weiß, ich weine auch.“ 4. „Wie tanzt du denn?“ „Ich tanze wie du.“ 5. „Kannst du Lippen ablesen?“ „Die Rückfrage ist: kannst du gebärden?“ Und so geht Musik hören ;) Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung: Musik laut aufdrehen, dann macht es richtig Spaß. Zum Beispiel durch Verstärkung des Beats durch Holzboden oder Trommeln. Und vieeeele Musikboxen. Je mehr, desto besser für alle. Ich komme zum Schluss. Es ist schön zu merken, dass sich immer mehr Menschen mit der tauben Community auseinandersetzen. Wie jetzt wahrscheinlich auch du, wenn du hörend bist und diesen Artikel liest. Ich merke zum Beispiel, dass immer mehr hörende Menschen ein bisschen Gebärdensprache können und Wörter wie ‘Hallo’ und ‘Danke!’ gebärden können. Das ist toll! Also falls du ein paar Wörter auf Gebärdensprache kannst, sei mutig und zeig was du kannst. Das ist toll und so kommen wir ins Gespräch. :) Ich hoffe, du konntest schön in die Welt der tauben Communities eintauchen. Vielleicht sehen wir uns ja mal bei einem Festival. Wenn du mal auf Festivals oder auch sonst im Leben taube Menschen siehst, trau dich und sag einfach Hallo! Inna studiert im Master Kritische Diversity und Community Studies und arbeitet derzeit an der Hochschule Magdeburg - Stendal als Gebärden­ sprachdozentin im Studiengang der Gebärdensprachdolmetscher*innen. Sie liebt Sarkasmus und guten Humor. Inna hat einen Migrations­ hintergrund und findet das ziemlich toll! In der Freizeit macht sie auch manchmal Sport, wie Joggen und Schwimmen und natürlich Tanzen. Der Bunte Finger besetzt Kohleschienen bei einer Ende Gelände Aktion Lausitz, November 2019 Darum geht es: Barrieren auf Klimacamps, Rollstuhl, Teilnehmen als Rollstuhl-Fahrer*in, sichtbare und unsichtbare Behinderung, Schmerzen, Ausschluss von David* Der Text spiegelt zu einem Zeitpunkt die Erfahrung einer Person wieder, die manchmal auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Andere Menschen werden anders be_hindert und erfahren ähnliche Situationen vermutlich anders. Über die Anstrengung, im Rollstuhl zu sein, und die Beschränkungen, ohne Rollstuhl zu sein: Warum ich nicht mehr auf Klimacamps gehe... Weil es so verdammt anstrengend ist. Weil das Fordern überfordert. Weil es nicht barrierearm ist. Weite Wege, Rollstuhl-anstrengende Flächen. Gehen kann ich nicht genug. Arme sind zu schwach, über buckeligen Rasen zu schieben. Ich kann nicht teil-nehmen. Und ich kann es nicht mehr hören. Das „Dies kannst du so“ und „Das kannst du so“ machen. Teil-nehmen, heißt nicht, dass mein Körper da sein kann, (abhängig von fremder Hilfe und wohlwollenden Personen) teil-nehmen heißt, teil-sein, von sozialen Aktivitäten! Was passiert? Aus-geschlossen-sein, wenn alle, sich bewegen, durch den Raum gehen sollen. Wieso, bin ich, nicht alle? Ich kann nicht stehen bleiben mit Leuten kurz sprechen. Spielen oder Vernetzen. Ich muss mich hinsetzen. Oder ich sitze in meinem Rollstuhl. Ja, mein Rollstuhl hilft mir oft viel weiter, wie ein Freund. Aber sitzen? Nein: Rollstuhl fahren! Doch die Arme sind zu schwach, weit zu fahren. Wieder Schmerzen. Rollstuhl fahren heißt, mit kleinen Menschen und Kindern, auf Augenhöhe sein. Zu großen Menschen, hochgucken zu müssen. Anderen Menschen die Angst nehmen zu müssen, in Kontakt zu gehen, dass ich im Rollstuhl sitze. Erklären müssen, dass und warum ich Rollstuhl fahre und auch laufen kann. Zwischen den Welten einer nicht-sichtbaren Behinderung ohne Rollstuhl, und einer stigmatisierten Behinderung mit Rollstuhl. Warum können mir Menschen auf Klimacamps nicht als Mensch begegnen, wenn ich Rollstuhl fahre? Wieso die Scheu? Warum siehst du nur den Rollstuhl, nicht aber mich? Und warum muss ich die Arbeit leisten, deine Scheu und Angst abzubauen? Weil es für mich leichter ist, mit Menschen ohne Rollstuhl zu reden, bleibe ich, allein zurück. Oder viele Menschen sprechen mich an, denn es ist ja wichtig, den Rollstuhl anzusprechen, das habe ich gelernt, um nicht diskriminierend zu sein! Doch der Rollstuhl, braucht deine Fürsorge nicht, aber der Mensch mit Rollstuhl, will wieder Menschsein erleben dürfen. David ist 27 Jahre alt und weiß. Er*sie hat 25 Jahre ohne Behinderung gelebt. Seit 2 Jahren ist mensch eingeschränkt im Gehen und Stehen und braucht manchmal einen Rollstuhl. Sie*er interessiert sich für männliche Sozialisationen, Veränderungsprozesse und Anti-Rassismus. Mensch mag gerne die Natur und Sonnenuntergänge. Leah Lakshmi Piepzna-Samarasinha liest aus deren Buch „Care Work - Dreaming Disability Justice“ Michigan, Februar 2019 Darum geht es: Masking, Anpassung an gesellschaftliche Normalitäten, enge Hosen, Neurodivergenz von Fae Vorbrüggen Masking ist wie Hosen. Wie die Hose, die ich vor zehn Jahren gekauft habe. Weil sie cool war und weil meine Größe aufgedruckt war. Weil meine Freund*innen mir zu ihr geraten haben. Morgens vor der Schule stand ich verzweifelt vor dem Spiegel, in einer Hose, die cool war. Einer Hose, die so eng war, dass meine Beine kribbelten. Einer Hose, die so drückenden Stoff hatte, dass meine Haut seltsame Röllchen unter dem Stoff bildete. Einer Hose, die so tief auf den Hüften saß, dass ich in ihr stehen, aber nicht sitzen konnte, nicht ohne dass sie sich selbst auszog. In die mein Körper nicht passte. Also träumte ich nachts davon, als ein anderer Mensch aufzuwachen. Als ein Mensch, dem enge Hosen mit niedrigem Bund passten. Ich hielt beim Anziehen der Hose die Luft an. Ich spannte an, was ich anspannen konnte. Ich setzte mich den ganzen Tag nicht hin. Wenn ich müde wurde, lehnte ich mich einfach verkrampft lässig an die Wand. Als andere Menschen in coolen Hosen vorbeikamen, hielt ich die Luft an und sah mit ihnen cool aus. Keine Sekunde dachte ich nicht an meine coole Hose. Fast schon unnatürlich lag die sie wie einer zweite Haut über meiner. Klebte an mir, wie ein nasses T-Shirt im Regen. Sie ließ meine Muskeln verkrampfen und kaum Raum zum Atmen. Als ich alleine zu Hause genug cool für den Tag gewesen war, schälte ich mich aus dem Jeans-Elasthan und starrte auf die roten Abdrücke, die die Nähte und der Bund tief in meine Haut gemalt hatten. Ich zog eine bequeme, weite Hose an. Zwei Größen zu groß. In meiner anderen, weiten, Hose erkannte ich mich im Spiegel nicht. „Wer bin ich, ohne meine coole Hose?“ Und wer wäre ich geworden, wenn ich sie nie angezogen hätte? Wenn ich nie den Eindruck gehabt hätte mich hineinquetschen zu müssen? Fae Vorbrüggen ist Mitglied im Bundesvorstand der BUNDjugend, Aktivisti und Content-Creator unter dem Namen das elfenaktivisti. Wesen beschäftigt sich viel mit den Themen psychischer Gesundheit, intersektionalem Anarchismus und Klimagerechtigkeit. Richtig lebendig fühlt sich Elfe beim auf Demos, beim Tanzen und beim kreativen Schaffen. Wesen positioniert sich als weiß, akademisch, trans*, queer, neurodivergent und Trauma erfahren. Erklärungen: Masking ist ein Begriff aus der Psychologie. Er beschreibt, wie neurodivergente Menschen ihr Verhalten bewusst und unbewusst regulieren, um der Gesellschaft zu entsprechen. So wird zum Beispiel „stimming“ oder auch Hyperaktivität unterdrückt oder versteckt. Dies kann zum „neurodivergent burnout“ führen. Neurodivergente Menschen = Menschen mit Legasthenie , Dyskalkulie, ADHS, Autismus, Epilepsie oder mit anderen Formen von Abweichungen in Gehirn und Reizverarbeitung gegenüber einer festgelegten Norm. Wird oft mit „neurodivers“ auch als politischer Begriff genutzt um jene künstliche Norm sichtbar zu machen. Und die Selbstbestimmtheit von neurodivergenten Menschen zu fördern und die Gesellschaft mehr an die verschiedenen Bedürfnisse anzupassen. Darum geht es: Normalität, Ausbeutung Leistungsgesellschaft, Anspielungen auf psychische Krankheit, Pränataldiagnostik, Suizid von Jacob Wir leben so gut wie noch nie Nichts ist so aggressiv wie Normalität Sie schreit uns an, alles sei optimiert Bis wir glauben, wir seien das Problem Wenn wir atmen wollen Wo ein Wille ist, ist auch ein Weiter Als dürfte es normal sein, dass alles brennt Unsere Köpfe recycelbar wie der tote Wald Als dürfte es normal sein, dass alles arbeitet Unsere Körper grenzenlos wie der Tagebau Es geht dir nicht ganz so super? Gefühle und Gedanken wie Schlagzeilen Unverkennbar und doch verkannt Die Leugnung tut mehr weh als das Feuer selbst Je schlimmer es ist, desto besser sehen wir weg Wir können alles (für den Markt) reparieren Lebenswert, wenn du leistest Also sei bloß kein männliches Küken Du kannst immer was dafür Wenn du dich nicht umtauschst Und sonst, fake it till you make it Normal sagt, wir sind alle kaputt Also sprechen wir nicht über die Dürre in uns Spannen weiße Tücher über Gletscherspalten Füreinander sind wir kein Ökosystem Grenze? Sei stark, geh drüber Der nächste Schritt geht über den Rand Fortschritt kann nur schubsen, nicht auffangen Normal, nimm mal wahr Es gibt noch Lebewesen Jacob (er/they) ist weiß, trans, akademisch geprägt und Trauma­ erfahren. Er macht politische Bildungsarbeit und beschäftigt sich viel mit Safer Spaces, psychischer Krankheit und transformativer Gerechtigkeit. Abends schreibt und bastelt Jacob gerne, wenn er nicht gerade mit Freund*innen isst oder Kinder ins Bett bringt. Cécile Lecomte protestiert gegen ihre Gerichtsverhandlung Würzburg, April 2010 von Cila Yakecã, Tinte auf Papier, 2019 Caipora, dargestellt als ältere Frau, trägt in ihrem Catitu ein weiteres Waisenkind des Amazonas, verbrannt und abgeholzt durch die Gier der Agrar- und Holzindustrie. Wie lange dauert es, bis eine Seele in ihren Körper zurückkehrt, nachdem ihre Wurzeln aus ihrem heiligen Boden gerissen wurden? Wie lange dauert es, bis wir das vergossene grüne und rote Blut unserer Vorfahren vergessen? Cila (keine Pronomen, they/them, ey/em) ist ein*e Schwarze Indigene multidisziplinäre Künstler*in, Heiler*in, Geschichtenerzähler*in, Aktivist*in und Moderator*in. Cila ist Queer, Trans nicht-binär und neuro-atypisch. They genießt es Musik zu machen, zu lesen und zu rätseln. IG: @bitchwitchcraft Darum geht es: Riechen und Fühlen, Müll, Umweltverschmutzung, Notwendigkeit zu Handeln von Til Apfel Ich bin Taubblind. Taubblind zu sein ist ein Segen. Ich höre nichts, ich sehe wenig von der Welt. Ich bin von allem Lärm und allen Katastrophen verschont? Von wegen! Blinde Menschen haben eine Superkraft im Hören. Taube Menschen haben eine Superkraft im Sehen. Und Taubblinde Menschen? Welche Superkraft haben sie? Gehör, nein! Sehen, nein! Riechen und Fühlen! Richtig geraten! Taubblinde Menschen haben eine Superkraft im Riechen und Fühlen! Sie haben einen Geruchssinn in Dezimalstellen. Ich habe einmal gerochen, was die Leute am Imbissstand gerade gegessen haben. Parfüms? Ich kann sie aus der Distanz unterscheiden. Und Müll? Eine Hölle! Die Leute wissen nicht einmal mehr, was sie vor 15 Minuten weggeworfen haben. Alles, was unbrauchbar ist, kommt in den Mülleimer. Natürlich, das ist doch selbstverständlich. Ich mache das auch. Der einzige Haken ist: Was sie wegwerfen! Alles, was weg ist, wird zu einem Mischgeruch. Ein neuer Horrorgeruch! Der schlimmste Geruch sind Feuchtigkeitstücher. Je länger sie im Müll verrotten, desto mehr peinigen sie meine Nase und die Nerven in meinem Gehirn. Nicht nur die Tücher. Auch Zigaretten auf der Straße. Süßigkeiten in den Zügen. Zeitungen am Kiosk. Ich bewundere immer wieder, wie sich die Menschen locker verhalten können. Sie atmen diesen Geruch ein, was auch immer da drin ist. Nicht nur die Gegenstände, auch die Umwelt ist eine Katastrophe. Die geteerte Straße. Das verdünnte Getreide. Der saure Regen. Wir glauben, dass wir uns dadurch leichter machen. Aber: wir irren uns! Wenn wir die Straßen zu effektiven Transportmitteln machen, verlieren wir auch die pflanzlichen Düfte um uns herum. Die Düfte der Natur. Wälder, Moos, Pilze, ... Sie bewirken wahre Wunder für unsere geistige Gesundheit. Sie beruhigen uns. Sie heilen unseren Geist. Sie entgiften uns. Und trotzdem zerstören wir sie - um es uns bequemer zu machen. Bequemer leben, aber zur Psychotherapie gehen ist notwendig. Bequemer essen, aber zum Arzt gehen ist notwendig. Bequemer schlafen, aber in den Urlaub zu fahren ist notwendig. Wir erlauben uns selbst weiterzumachen, und wir profitieren nur minimal davon. Es gibt wissenschaftliche Handlungsoptionen dafür, wie wir die Umwelt schützen können. Aber viele haben Angst vor ihrer eigenen Veränderung. Sollen sich doch andere darum kümmern. Ohne Verantwortung zu übernehmen? Wir sind eine Katastrophe. Die Menschenrechtaktivist*innen wagen es sogar, ihr Leben zu opfern. Nur wir, die Zivilisten nicht für die Umwelt und Gerechtigkeit. Wir sehen den Waldbränden zu. Wir sehen der Korruption zu. Wir sehen den Feuchtigkeitstüchern zu. Verdammt noch mal, Leute! Ich muss auch mit mir selbst schimpfen. Ich trinke statt Apfelsaft Kokosnusswasser. Was brauchen wir? Revolutionäre Menschen! Menschen, die sich zum Wohle der Umwelt und der Gesellschaft verändern wollen. Nicht nur reden! Sondern tatsächlich tun. Von Null auf Alles! Und nicht nur Menschen, die es besser wissen. Sondern auch Menschen, die mehr riechen und fühlen können. Alle Menschen. Alle „nicht-normalen“ Menschen! Behindert in allen Formen. Queer in allen Formen. BIPoC in allen Formen. Sie wissen Dinge, die nicht lernbar sind. Sie erleben diese Katastrophe hautnah und haben eine Ahnung davon was uns fehlt. Sie sind die am meisten unterschätzten Sachkundigen. Sie haben das Recht auf freie Rede. Wir haben die Pflicht, ihnen zu vertrauen. Wir müssen den Mut haben, den Verrückten Hilfe zu holen und ihnen zuzuhören. Das erfordert von uns allen Kraft, Gefühl. Verstand. Dafür. Bringt uns dem Frieden näher! Wir müssen Zeit gewinnen. Und nicht Zeit sparen! Keine Ignoranz mehr! Wir alle müssen uns jetzt gegenseitig zuhören, zusehen und zuriechen. Um das zu sein, was wir wollen. Frei von Kontamination. Frei von Zweifeln. Frei von Druck. Bewusst sehen. Bewusst hören. Bewusst riechen. Bewusst fühlen. Und bewusst leben! Rette die Welt. Für uns. Für die Kinder. Für unsere Nase. Schluss mit der Übertreibung! Weg mit dem Überschuss an künstlichen Düften, weg mit unnötigen Geschmacksstoffen, weg mit den vielen überflüssigen Geräuschen! Und Schluss mit den Feuchtigkeitstüchern! Til Apfel ist Taubblind, nicht-binär und vegan. Til berät, schreibt und spricht über Themen wie Menschenrechte, den Sinn des Lebens und Esoterik. In der Freizeit verbringt Til gerne Zeit alleine, zum Beispiel mit Kochen, Lesen, Schreiben, Performance, Freiwilligenarbeit und Backpacken. Durch die Traumata des Lebens ist Til stärker, selbstbewusster und unkonventioneller geworden. Darum geht es: Angst vor Folgen des Klimawandels, Barrieren im Katastrophen-Schutz, ME/CFS, Pandemie, Long Covid, Bildungsarbeit, Online-Aktivismus, Vernetzung, Barrieren in der Klimabewegung von Simone Binder Hitzewellen, Waldbrände, Flutkatastrophen. Wie kann ich solche Ereignisse überleben? Kann ich überhaupt evakuiert werden? Diese Fragen verdränge ich die meiste Zeit, weil sie mir große Angst machen. Die Klimakrise und ihre Folgen sind für mich schon heute lebensbedrohlich, denn ich habe mehrere Behinderungen. Ich kann nicht gehen, nicht rennen, nicht schwimmen. Diese Fähigkeiten brauche ich aber, um mich im Notfall in Sicherheit zu bringen. Bei vergangenen Flutkatastrophen und Hurrikans wurden Menschen mit Behinderungen im Stich gelassen, weil Warnsysteme, Evakuierungen und Notunterkünfte nicht barrierefrei waren. Im Laufe der Zeit wurde mir daher bewusst, dass Menschen wie ich in der Klimakrise kaum mitgedacht werden und das, obwohl wir weltweit am meisten gefährdet sind! Ich bin durch die schwere neuroimmunologische Erkrankung ME/ CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) mehrfach behindert. Für diese Krankheit gibt es keine Therapie. Viele Ärzt*innen haben noch nie davon gehört, obwohl allein in Deutschland ca. 300.000 Menschen betroffen sind. ME/CFS verursacht bei mir starke Schmerzen, dauerhafte Muskelschwäche und diverse Nervenstörungen. Dadurch habe ich eine Gehbehinderung, eine halbseitige Lähmung und eine Greifschwäche in beiden Händen. An schlechten Tagen bin ich vollständig bettlägerig. Dann löst jedes Geräusch und jede Lichtquelle starke Kopfschmerzen aus. In solchen Phasen kann ich nichts lesen und nicht mit anderen Menschen kommunizieren. An besseren Tagen kann ich für ein paar Stunden das Bett verlassen. Nur für Arzttermine kann ich das Haus verlassen und brauche dafür einen Rollstuhl. Jede kleine Anstrengung führt bei ME/CFS-Erkrankten zu einer starken Verschlechterung der Symptome. Eine solche Verschlechterung wird von Betroffenen auch „Crash“ genannt, denn genauso fühlt es sich an. Leider besteht bei jedem Crash die Gefahr, sich nicht mehr davon zu erholen. Bei Extremwettern haben wir ME/ CFS-Patient*innen also nicht nur geringere Überlebenschancen, sondern müssen dabei zusätzlich befürchten, dass sich unser Zustand durch einen schweren Crash massiv verschlechtert. Ich hatte in den letzten Wochen einen Crash. Zum Glück hat sich mein Zustand wieder ein bisschen gebessert, sodass ich diesen Text schreiben kann. Ich muss aber sehr oft Pausen machen, weil ich bereits nach wenigen Paragraphen erschöpft bin. Der Bildschirm ist anstrengend, das Tippen ist anstrengend, das Denken ist anstrengend. Trotzdem möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um auf die Gefährdung von behinderten und chronisch kranken Menschen in der Klimakrise aufmerksam zu machen. Menschen mit Behinderungen werden nämlich selten nach ihrer persönlichen Perspektive gefragt. Dadurch entsteht ein Teufelskreis der Unsichtbarkeit und diesen möchte ich, zusammen mit anderen Betroffenen, durchbrechen. Mit dem Klimawandel werden auch Pandemien häufiger auftreten. Pandemien sind nicht nur eine Gefahr für vorerkrankte Menschen, sondern auch für gesunde Menschen. Durch die Corona-Pandemie haben wir gelernt, dass eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zu Long Covid führen kann. Ein Teil der Long-Covid-Patient*innen entwickelt übrigens ME/CFS. Solche Langzeitfolgen wurden bereits bei früheren Pandemien und Epidemien beobachtet und werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei zukünftigen Pandemien auftreten. Die Klimakrise ist also eine große Bedrohung für unsere Gesundheit. Und darauf muss sich unser Gesundheitssystem dringend vorbereiten. Ich bin Geographin und politische Ökologin. Seit über zehn Jahren setze ich mich für den Ausbau von ÖPNV und erneuerbaren Energien ein. Seit zwei Jahren mache ich auf Instagram politische Umweltbildung (@politischeumweltbildung). Dort erkläre ich unter anderem, warum die Klimakrise bestehende Ungerechtigkeiten wie Armut, Rassismus, Sexismus oder Ableismus verstärkt. Darüber hinaus arbeite ich mit Kommunen und Klimaorganisationen an einer stärkeren Einbindung von behinderten Menschen im Klimaschutz. Außerdem möchte ich andere Menschen mit Behinderungen ermutigen, ihre Rechte und ihre Expertise zu erkennen und sich für inklusiven Klimaschutz einzusetzen. Dafür habe ich einen zweiten InstagramAccount gestartet (@ecocrips). Dort liegt der Fokus in erster Linie auf der Vernetzung, Bestärkung und der gegenseitigen Unterstützung von behinderten Umwelt- und Klimaaktivist*innen. Ich bin seit einigen Jahren in der Klimabewegung aktiv. Leider bin ich dort aber immer wieder auf Barrieren gestoßen. Inzwischen bin ich aufgrund meiner Behinderungen nicht mehr in der Lage, an Präsenzveranstaltungen, Demonstrationen, Klimastreiks, Infoständen oder Radtouren teilzunehmen. Darum habe ich viele Klimaorganisationen auf verschiedenen Ebenen nach barrierefreien Teilnahmemöglichkeiten wie Videokonferenzen oder OnlineKampagnen gefragt. In den meisten Fällen erhielt ich jedoch keine Antwort. In einzelnen Fällen wurde mir versprochen, dass in Zukunft mehr auf Inklusion geachtet wird. Trotzdem wurde mir nie eine barrierefreie Teilnahme ermöglicht. Die Klimabewegung muss endlich verstehen, dass Inklusion ein Menschenrecht ist und Menschen mit Behinderungen eine Bereicherung für die Klimabewegung sind. Außerdem sollte sich die Klimabewegung bewusst machen, dass auch nicht-behinderte Menschen jederzeit eine Behinderung erwerben können. In der Klimabewegung wird auch oft vergessen, dass nicht alle Menschen in der Lage sind, im Alltag auf klimaschädliche Dinge zu verzichten. Ich bin beispielsweise nicht in der Lage, zu Fuß zu gehen oder mit dem Fahrrad zu fahren. Auch den ÖPNV kann ich aufgrund der Reizüberflutung nicht nutzen. Zudem ist der Weg zu den Haltestellen zu anstrengend für mich. Jede Fahrt mit dem ÖPNV könnte bei mir einen Crash auslösen, deshalb muss ich immer mit dem Auto zu Arztpraxen gefahren werden. Meine Muskelschmerzen werden bei Kälte stärker, deswegen bin ich im Winter auf beheizte Räume angewiesen. Durch den Austausch mit anderen behinderten Menschen weiß ich, dass viele von ihnen ein schlechtes Gewissen oder sogar Schuldgefühle haben, weil sie aufgrund ihrer Behinderung nicht so viel Klimaschutz oder -aktivismus betreiben können, wie sie gerne möchten. Deshalb sollten Klimaschutzmaßnahmen auf der individuellen Ebene die Bedürfnisse von behinderten Menschen berücksichtigen. Bisher hat die Klimabewegung Menschen mit Behinderungen als vulnerable Gruppe, aber auch als Aktivist*innen und als Expert*innen, nicht ausreichend berücksichtigt. Immer wieder muss ich Menschen aus der Klimabewegung und aus dem Gesundheitssystem erklären, warum behinderte Menschen in der Klimakrise besonders gefährdet sind. Diese Bildungsarbeit kostet viel Kraft, aber sie ist notwendig und deshalb kämpfe ich weiterhin aktiv für Inklusion im Klimaschutz. Ich schreibe weiterhin Emails an Klimaorganisationen und Behörden. Ich vernetze mich weiterhin mit anderen behinderten Klimaaktivist*innen. Ich ermutige weiterhin behinderte Menschen, sich für inklusiven Klimaschutz einzusetzen. Für eine klimagerechte und inklusive Zukunft sind wir Menschen mit Behinderungen aber auch auf die Unterstützung von nicht-behinderten Menschen angewiesen. Wir brauchen mehr Barrierefreiheit, mehr Mitsprache und mehr Sichtbarkeit im Klimaaktivismus, in der Politik, im Katastrophenschutz, im Gesundheitssystem, im Bildungssystem, in der Forschung und in den Medien. Denn wenn wir Klimaschutz und Inklusion verbinden, profitieren wir alle. Simone hat Geographie und Englisch auf Lehramt studiert und ist durch die chronische Krankheit ME/CFS mehrfach behindert. Als politische Ökologin analysiert Simone Machtstrukturen in Umweltkonflikten und engagiert sich für Inklusion im Klimaschutz. Auf Instagram betreibt Simone die Accounts @politischeumweltbildung und @ecocrips. Darum geht es: Barrieren in der Klimabewegung, nachhaltiger Aktivismus, Leistungsgesellschaft, Aktivismus von Lian Otter Ich versuche oft das Thema Zugang und Ableismus in (Klima-)Kämpfe einzubringen. Immer wieder wird mir dann gesagt „Oh, sorry, wir machen schon so viel und sind alle so ausgebrannt, das schaffen wir jetzt nicht auch noch!“ Das ist nicht nur nicht wirklich ehrlich, weil es ja eine Prioritätenfrage ist, worein mensch seine Energie steckt. Also wäre es dann ehrlicher zu sagen „Hey, sorry, Barrierefreiheit ist uns gerade nicht so wichtig.” Das wollen viele nicht sagen, weil es ja das coole linke offene Selbstbild zu erhalten gilt. Und gegen Behinderte haben sie ja nichts, das muss doch reichen! Bloß, reicht es halt nicht, nichts gegen Behinderte zu haben, wenn mensch verinnerlichten Ableismus nicht bearbeitet und nichts an den behindernden Strukturen ändert um Zugang zu schaffen. Es ist also unehrlich und zudem denke ich mir dann immer: „Tja, wenn ihr mehr behinderte Menschen in euren Gruppen hättet, dann würdet ihr vielleicht nicht so sehr ausbrennen.” Behinderte haben das Konzept der Crip Time erfunden. Die Idee dabei ist, dass nicht wir uns an die Gegebenheiten und die vorgegebenen Zeitfenster anpassen müssen, sondern dass sich die Gegebenheiten uns und unseren Bedürfnissen anpassen müssen. Etwas, das gut zum nachhaltigen Aktivismus passt, wo Menschen ebenfalls nahegelegt wird, nicht über ihre Grenzen zu gehen. Oft reproduzieren wir in unseren antikapitalistischen Kämpfen Muster, die genau der Leistungsgesellschaft entspringen, die wir eigentlich ablehnen. Zum Beispiel schätzen wir Menschen mehr wert die (viel) leisten können, und auch was überhaupt als Leistung angesehen wird ist von kapitalistischen Mustern geprägt: Care Aufgaben werden oft weniger gefeiert als Aktionen zu machen. Und ja, Behinderte haben von sich aus Körper, die sich der kapitalistischen Verwertungslogik entziehen. Mein Körper ist also der Inbegriff der Kapitalismuskritik. Dafür, und für vieles andere solltet ihr uns Behinderte feiern und bitte aufhören uns immer nur als noch ein schwieriges und anstrengendes Thema zu sehen! By the way, ist es auch gar nicht so schwer Gruppen zugänglicher zu machen. Es ist wie gesagt eine Frage des Willens und der Priorisierung. Ich habe mich mittlerweile vom Klimaaktivismus weitestgehend verabschiedet, obwohl die Klimakrise mich als Behinderte besonders hart trifft: Schon jetzt macht mir die Hitze viel mehr zu schaffen als in Zeiten, in denen ich noch gesünder war, und dass Behinderte in akuten Katastrophen eher getroffen werden, sollte spätestens nach der Flutkatastrophe im Ahrtal und Sinzig allen hier klar sein. Und wenn schon in einem der technisch reichsten Länder Behinderte bei Katastrophen (und auch sonst) kaum bedacht werden sieht die Situation für die 80% der behinderten Menschen weltweit, die im globalen Süden leben, noch düsterer aus. Denn dort sind die Auswirkungen der Klimakrise bekanntlich noch wesentlich schlimmer. SchwarzRund moderiert den Fachtag „Vielfalt und Inklusion: LSBTIQ* mit Beeinträchtigungen“ Bremen, Oktober 2022 Ich organisiere mich jetzt unter anderem mit einer Gruppe, die zum Thema Behinderung arbeitet und mehrheitlich aus Menschen mit sehr unterschiedlichen Behinderungen besteht. Und wir kriegen das hin. Wir machen auch Fehler, aber wir kriegen das hin. Und zwar gut. Und wieso? Weil wir fast alle unschöne Erfahrungen damit gemacht haben, ausgeschlossen worden zu sein, und es uns deshalb wichtig ist, dass alle mitmachen können. Weil wir offen dafür sind, von den Bedürfnissen der anderen zu hören und darauf einzugehen. Wir kriegen das hin, obwohl wir mehrheitlich eingeschränkt sind. Junge, überwiegend doch recht privilegierte Klimabewegung, ihr kriegt das auch hin, wenn ihr wollt. PS: Ein guter Anfang ist es, die behinderten Menschen, die noch oder schon in euren Gruppen sind, zu fragen, wie es ihnen so geht und wie der Zugang für sie besser werden könnte. Denn, wie SchwarzRund (auf Seite 79) sagt: In jeder Gruppe sind Behinderte, ihr seht sie nur nicht, weil viele Behinderungen unsichtbar bzw nicht offensichtlich sichtbar sind und Menschen aus verschiedenen Gründen nicht darüber reden. Also fangt damit an Räume zu öffnen, über Bedürfnisse zu reden. Lian Otter (keine Pronomen) trauert um Loki, den allerbesten Hundefreund und Begleiter durch chronische Krankheit. Mit dem Filmkollektiv, mit dem Lian schon den Film „radical resilience“ über nachhaltigen/regenerativen Aktivismus gemacht hat, arbeitet Lian jetzt an einem Film über Behinderung, in dem es u.a. um Zugang, Intersektionen und Empowerment geht. Lian macht auch Workshops über Ableismus und Resilienz. Informationen zum Zitat von SchwarzRund: Der Inhalt des Zitats kommt aus einem Eyfa Video, das auf dieser Seit zu finden ist: (Dis?)Ability 5: Let’s organize an accessible event SchwarzRund macht mit Simo Tier den Podcast „Rampe? Reicht!“, der Behinderung aus vielen unterschiedlichen, verwobenen Perspektiven beleuchtet und der sehr empfehlenswert ist. Darum geht es: Locals United, BUNDjugend, Aktivismus bei dem alle mitmachen und wichtig sind das Locals United Team Dieser Sammelband ist im Rahmen des Projekts „Locals United“ bei der BUNDjugend entstanden. Das Projekt wird gefördert durch die Aktion Mensch. Locals United zeigt Verbindungen zwischen der Klimakrise und sozialen Kämpfen auf. Denn Menschen, die (Mehrfach-)Diskriminierung ausgesetzt sind und dadurch in ihrem Leben und in unserem heutigen System benachteiligt werden, erleben die Folgen des Klimawandels mehr. Sie haben deswegen oft mehr Wissen als Menschen, die diese Diskriminierungserfahrungen (noch) nicht gemacht haben. Menschen, die (Mehrfach-)Diskriminierung ausgesetzt sind können besser sagen, was wir für eine gerechte Gesellschaft brauchen. Aus diesem Grund lautet unser Motto: „Klimagerechtigkeit = Soziale Gerechtigkeit“. Unser Kampf für eine Welt ohne Kohle, Öl, Gas, Umweltzerstörung und Ausbeutung von Rohstoffen ist für uns untrennbar mit dem Schaffen einer solidarischen und gleichberechtigten Gesellschaft verbunden. Deshalb wollen wir mit Locals United wichtige Denkanstöße geben, unter anderem mit Workshops und Diskussionen zu „Kolonialismus und Klimakrise“, „Queer-Feminismus und Klimagerechtigkeit“, „Intersektionalität“ und „barriereärmerer Klimaaktivismus“. Mit unserem Versuch mit Menschen, die verschiedene Lebens- und Diskriminierungserfahrungen haben zusammen zu arbeiten, wollen wir eine Plattform innerhalb der (deutschen) Klimabewegung bieten. Das Locals United-Team Illustration von Antonia Koschny Die BUNDjugend engagiert sich für Umweltschutz und globale Gerechtigkeit. Wir wollen eine Welt, in der alle – auch zukünftige Generationen – ein gutes Leben führen, ohne auf Kosten anderer oder der Umwelt zu leben. Wir fordern ein Umdenken von der Politik, aber fangen auch bei uns selbst an. Wenn du auch etwas verändern möchtest und jünger als 27 Jahre alt bist, dann bist du bei der BUNDjugend genau richtig. Bei uns kannst du mitreden, mitmischen und aktiv werden! Als unabhängiger Jugendverband des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.) sind wir bundesweit aktiv. Wir sind Teil des Netzwerkes Young Friends of the Earth und so mit jungen Menschen aus der ganzen Welt verbunden. Vor Ort kannst du dich lokalen Gruppen anschließen, an Seminaren und Freizeiten teilnehmen oder dich an bundesweiten Aktionen und Kampagnen beteiligen. Hier findest du aktuelle Angebote und Termine zum Mitmachen, Material und Anlaufstellen: www.bundjugend.de s bleismu A n o v g k n ü pf u n g ke i t i s t i „Die Ver t h c e r e a(un)g s und Klim e i n g u te r e b ü ig, um können.“ u z n e n o t we n d h r ec r Alle sp ü f n e b e Le Magazin y s s i M , ad am Assa l a S n i a Z „Öko-Able ismus ist e in bisher z Der Samm u wenig b elband wir esprochen f t e es Thema. in dringend n u n d e r öf f n ötiges Lich et neue M öglichkeit t darauf und strukt en, um De urellen Ab b a t te n u m B leismus in arrieren Klimabew n e r h a lb und auß egung weit erhalb der erzuführen .“ R a u l Kr a u t hausen, Ak tivist für In klusion un d Barriere feiheit ektivische Broschüre zu sp er tip ul m re ba er nd wu „Diese ht in imaschutz-Aktivismus mac Kl d un us ism le Ab , ng ru de Be_Hin von (teils in einfacher Sprache) en at rm fo xt Te n he lic ed hi untersc r, wie ollen Illustrationen sichtba sv ck ru nd ei d un t ch di Ge s Essay bi n ch im Klima-Aktivismus vo au en ch ns Me rte de in _h sehr be t der troffen sind. Woher komm be us ism le Ab d un en ss lü Aussch t das dazu, dass die hr fü e wi d un g un eg ew ab Ableismus in der Klim nen inderten Klima-Aktivist_in _h be n vo e tiv ek rsp Pe rte informie d zu Fakten, Erfahrungen un da rt fe lie e ür ch os Br e es fehlt? Di sich, weder gut noch schlecht an ist nz re ffe Di . ße stö an en Gedank unden wir unsere Kämpfe als verb ob d un n he ac m it m da r was wi Zukunft entscheiden. “ he na re se un er üb rd wi n, begreife “ eminist cyborg, that‘s okay rf ee qu a m „I‘ n vo n r_i to Mika Murstein, Au
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