Konzeption und Redaktion:
Fred Stecher,
Lea Dehning
Illustration und Layout:
Tristan Marie Trotz
info@TristanMarieTrotz.de
Lektorat und Korrektorat:
Leonie De Abrew
textivityls@gmail.com
Beratung:
Dante Davis,
Lea Fraider,
Sarah Schalthöfer,
Anne Hartl,
Jemila Nesredin-Said
Herausgeberin:
Jugend im Bund für Umwelt und
Naturschutz Deutschland e.V.
Kaiserin-Augusta-Allee 5
10553 Berlin
V.i.S.d.P.:
Julian Reimann
Druck:
Printzipia
Max-von-Laue-Straße 31
97080 Würzburg
Auf der Seite der BUNDjugend findest du:
• ein barrierefreies PDF zum Herunterladen.
• Quellen und weiterführende Literatur.
• weitere Broschüren zum bestellen.
Vorwort........................................................................................... .. 4
Bevor es losgeht........................................................................ ...... 6
Was ist Ableismus?...................................................................... ..... 8
Unterdrückung behinderter Menschen
durch Folgen des Klimawandels ................................................ ..... 13
Ableismus und Klimakrise........................................................... ..... 19
Behindert durch die Klimakrise................................................... ..... 25
Klimaaktivismus - eine ableistische Bewegung
oder Teil einer ableistischen Welt? ............................................ ..... 33
Anregungen für ein barrierearmes Klimacamp................................... 38
Plastikstohhalme für alle ............................................................ ..... 40
Behinderte Aktivist*innen in der
Klima- und Umweltbewegung .................................................. ...... 45
Klimawandel und Ableismus ...................................................... ...... 49
Mit uns - nicht gegen uns........................................................... ...... 53
Die Tauben auf Musikfestivals ..................................................... ..... 56
Über die Anstrengung, im Rollstuhl zu sein
und die Beschränkungen, ohne Rollstuhl zu sein ............................. 60
Masking..................................................................................... ..... 64
Normal, nimm mal wahr.............................................................. ..... 66
Orphans of the Woods................................................................. ..... 68
Was ist das Gegenteil von Übertreibung? .......................................... 69
Warum wir inklusiven Klimaschutz brauchen .................................... 73
Crip Time........................................................................................ 78
Wer steckt hinter diesem Heft?........................................................ 82
Was macht die BUNDjugend? ........................................................... 83
Darum geht es: Sichtbarkeit und Darstellung von behinderten
Menschen, ADHS, Einsamkeit
von Fae Vorbrüggen
Ich wurde gefragt, ob ich Lust habe das Vorwort für diese tolle
Broschüre zu schreiben.
Ich habe mich super geehrt gefühlt und zugesagt.
Nach guter ADHS-Manier habe ich erst danach darüber nachgedacht,
wie so etwas geht und ob ich das kann.
Wie kann ich in Worte fassen, wie viel mir diese Broschüre bedeutet?
Wie viel die Sichtbarkeit die Klimaaktivist*innen mit Be_hinderung
durch diese Broschüre bekommen, mir bedeutet?
Warum ist Sichtbarkeit so wichtig?
Was ist Sichtbarkeit?
(rhetorische Fragen)
Als bei mir in der Grundschule ADHS diagnostiziert wurde, hätte das
mein Leben deutlich einfacher machen können. Ich sagte können,
denn auch wenn ich die Diagnose hatte, sagte mir niemensch, was sie
wirklich bedeutete.
Mir wurde von vielen suggeriert (indirekt gesagt), ich solle nicht
darüber reden. Es war von Nachteil, wenn andere Menschen erfuhren,
dass ich ADHS hatte. Noch weniger sollte ich darüber reden, dass
mich das ADHS in dieser Gesellschaft krank machte. Es machte mich
psychisch krank, irreversibel krank. Ich bin etwas, das Menschen
(ernsthaft) seelisch be_hindert nennen. Aber das war jetzt mein
Geheimnis.
Es überrascht nicht, wenn ich sage, dass ich damals unfassbar einsam
war. Da ich nicht darüber redete, redete kein Mensch mit mir darüber.
Nach meinem Gefühl, war ich ganz alleine damit. Kein Mensch, so
glaubte ich, könne verstehen, wie das ist, sich so anders zu fühlen.
Fast schon wie ein Alien oder eher wie ein Fantasiewesen, dass seine
Identität geheim hält.
Ich habe unsichtbare Be_hinderungen. Aber auch Menschen mit
sichtbaren Be_hinderungen, fühlen sich oft ähnlich, ähnlich einsam,
ähnlich alleine auf der Welt.
Es fehlt gesellschaftlich an Sichtbarkeit.
In Film und Medien sind Menschen mit Be_hinderung selten vertreten.
Sie sind also unsichtbar.
Wenn sie auftauchen, dann ist be_hindert sein oft ihre gesamte
dargestellte Persönlichkeit. Solche Darstellungen machen etwas: Sie
eliminieren den Menschen hinter der Be_hinderung.
Was machen Menschen also außer im Straßenverkehr Noise-Canceling
Kopfhörer aufhaben müssen, mit dem Rollstuhl fahren, oder sich mit
einem Assistenzhund durch die Welt navigieren lassen? Was machen
sie außer in Behinderten-Werkstätten zu arbeiten? (rhetorische Fragen)
Eine Sache, die einige von uns machen, ist auf jeden Fall zu versuchen,
die Welt vor einem Klimakollaps zu bewahren. Wir bringen uns ein. Wir
haben etwas zu sagen.
Wir sind vielfältig.
Einige Einblicke in die Welt von Menschen mit Be_hinderung könnt ihr
durch ihre Texte bekommen, die sie uns zugesendet haben und die wir
hier abdrucken dürfen.
Für mehr Sichtbarkeit
Darum geht es: Hinweise zu Barrierearmut, Dankbarkeit
von Fred
Als erstes möchten wir uns für Texte und Bilder bedanken, die uns
geschickt wurden. Wir sehen es als eine große Wertschätzung, dass
Menschen uns ihre Erfahrungen, Gefühle und Wissen anvertrauen.
Die Beiträge zeigen: Es gibt viele verschiedene Sichtweisen auf das
Thema BeHinderung. Darum gibt es auch verschiedene Schreibweisen
innerhalb dieser Broschüre. Verschiedene Schreibweisen sollen
verschiedene Aspekte von Behinderungen und Behindert Werden
sichtbar machen oder betonen.
Diese Broschüre gibt es auch aufgrund der langjährigen Arbeit und
Kämpfe von beHinderten und verRückten Menschen. Wir bauen
auf ihren Diskussionen und (Miss-)Erfolgen auf. Danke an unsere
beHinderten und verRückten Freund*innen, Geschwister und Vorfahren.
Außerdem möchten wir Tristan Marie Trotz und Leonie De Abrew
danken. Leonie hat die Texte lektoriert und Tristan Marie hat das Layout
und die Illustration gemacht. Durch die Zusammen·arbeit mit Tristan
Marie und Leonie haben wir viel gelernt. Beide haben viel Expertise
eingebracht und uns zum Beispiel zum Thema Barriere·armut beraten.
Das haben wir gemacht, um die Broschüre möglichst barriere·arm zu
gestalten:
Die Broschüre ist im DIN A4 Format. Sie hat große, schlichte Schrift
und die Buchstaben haben deutlich unterschiedliche Formen.
Die Bilder haben deutliche Hell·dunkel·kontraste. Damit Leute sie
erkennen können, egal wie sie Farben sehen.
Die Farben sind leuchtend und klar. Für manche Menschen ist das toll
und anregend. Für andere Menschen ist das am Bildschirm vielleicht
überfordernd. Wenn dir die Farben zu grell sind, kannst du die
Broschüre zum Beispiel im Nachtmodus lesen.
Es gibt ein barrierefreies PDF zum Herunterladen.
Geschlechter·vielfalt sichtbar zu machen, ist uns wichtig. Auf
Empfehlung des Deutschen Blinden- und Sehbehinderten·verbands
haben wir uns für den Gender·stern entschieden, z.B.: Aktivist* innen.
Es gibt Inhalts·angaben. Die Inhalts·angaben sind über jedem Text
zu finden. Die Inhalts·angaben sollen eine Einladung an dich sein,
achtsam mit dir selbst zu sein. Sieh dir die Inhalts·angaben an, bevor
du die Texte liest. Bereite dich darauf vor, auf welche Themen du gleich
stößt. Vielleicht entscheidest du dich auch dazu, einen Text nicht
(jetzt) zu lesen, weil darin ein sehr aufwühlendes Thema vorkommt. Du
kannst dich auch dazu entscheiden, den Text mit einer anderen Person
zusammen zu lesen. In allen Texten geht es in verschiedenen Formen
um Ableismus. Dafür gibt es keine Inhalts·angabe. Was Ableismus ist,
wird im nächsten Text erklärt.
Wir haben auch auf die Sprache geachtet. Und wir kennzeichnen, wie
schwierig die Sprache in den Texten ist:
Manche Texte in der Broschüre sind in einfacher Sprache
geschrieben. Das bedeutet: Die Sätze sind kurz. Es
kommen wenig schwierige Wörter vor. Unbekannte Wörter
werden erklärt. Diese Texte sind mit einem grünen Kreis
gekennzeichnet.
Manche Texte sind in eher schwieriger Sprache geschrieben.
Es gibt lange Sätze und einige schwierige Wörter.
Diese Texte sind mit einem blauen Viereck gekennzeichnet.
Manche Texte beschreiben persönliche Erfahrungen. Dort
gibt es wenige schwierige Wörter. Trotzdem sind die Sätze
manchmal länger. Diese Texte sind mit einem roten Dreieck
gekennzeichnet.
Manche Texte sind Gedichte. Sie haben viele sprachliche
Bilder. Und die Texte sind mehrdeutig. Bei Gedichten ist ganz
normal: Jede*r versteht sie ein bisschen anders. Vielleicht
versteht kein Mensch sie ganz. Aber viele Menschen finden
darin etwas, das für sie etwas bedeutet. Diese Texte sind mit
einem lila Ring gekennzeichnet.
Darum geht es: Erklärung von Ableismus, gesellschaftliche
Ungerechtigkeit, Beispiele für Behindert werden, Selbstbezeichnungen, Kämpfe und Erfolge von behinderten Menschen
von Fred und Tristan Marie
Hallo, wir sind Fred und Tristan Marie.
Wir werden beHindert.
Und erleben Ableismus.
In dieser Broschüre geht es um Ableismus.
Darum erklären wir das Wort jetzt.
Das Wort Ableismus kommt aus dem Englischen.
To be able bedeutet: etwas können.
Ableismus bedeutet:
Die Gesellschaft teilt Können ein.
In nützlich und störend.
Nützliches Können ist zum Beispiel:
• freundlich lächeln
• lange stehen
• deutsche Laut·sprache sprechen
• schwierige Erklärungen verstehen
Störendes Können ist zum Beispiel:
• sehr langsam reden
• Gefühle mit dem ganzen Körper zeigen
• Roll·stuhl fahren
• den Alltag immer genau planen
Im Ableismus achtet die Gesellschaft nur darauf:
Was ein Mensch kann.
Sie bewertet Menschen nach ihrem Können.
Und behandelt sie darum besser oder schlechter.
Für Menschen mit nützlichem Können ist in der Gesellschaft mit·machen leicht.
Aber die Gesellschaft schließt Menschen mit störendem Können aus.
Diese Menschen haben es schwer, ihre Talente voll zu entwickeln.
Aber kein Mensch sucht sich aus,
was er gut kann.
Und was nicht.
Wir sagen dazu:
Die Gesellschaft beHindert Menschen.
Wir schreiben beHindert.
Mit einem großen H.
Das H zeigt:
Die Gesellschaft macht mit·machen schwierig.
Das macht sie zum Beispiel so:
• Es gibt an vielen Orten Treppen
statt Rampe oder Fahr·stuhl.
• Viele Veranstaltungen finden nur in deutscher Laut·sprache statt.
• Die Stühle auf Veranstaltungen sind für wenige Menschen gut:
dünne, mittel·große und nicht·beHinderte Menschen.
• Vor Filmen und Texten gibt es selten Inhalts·angaben.
• Viele Orte sind sehr laut und bunt.
Trotzdem denken nicht·beHinderte Menschen oft:
Das Problem sind beHinderte Menschen.
Fast alle Menschen werden in ihrem Leben einmal beHindert.
Zum Beispiel:
• Ein Mensch hat eine Depression.
Vielleicht möchte er raus·gehen.
Aber er kann sich nicht über·winden.
• Ein Mensch bricht sich den Fuß.
Vielleicht möchte er raus·gehen.
Aber er braucht Krücken.
Und kann damit kaum Treppen steigen.
Manche Menschen werden beHindert, wenn sie alt sind.
Zum Beispiel:
• Ein Mensch wird vergesslich.
• Ein Mensch kann seine Gelenke schlecht bewegen.
Manche Menschen werden beHindert, wenn sie jung sind.
Zum Beispiel:
• Ein Mensch hat ständig Entzündungen im Körper.
• Ein Mensch über·lebt etwas Lebens·bedrohliches.
Manche Menschen werden ihr Leben lang beHindert.
Zum Beispiel:
• Ein Mensch wird blind geboren.
• Ein Mensch ist klein·wüchsig.
Es gibt viele verschiedene BeHinderungen.
Deshalb denken beHinderte Menschen ganz verschieden über
BeHinderung.
Und beschreiben sich selbst mit verschiedenen Wörtern.
Zum Beispiel:
• beHinderter Mensch oder be_hinderter Mensch
• Mensch mit Behinderung
• verRückter Mensch oder ver_rückter Mensch
• Autist*in
• tauber Mensch
• Mensch mit Down-Syndrom
Und viele mehr.
BeHinderte Menschen suchen sich ihre Wörter selbst aus.
Wie sie für sie selbst richtig sind.
Und andere Menschen sollen auch diese Wörter verwenden.
Wenn sie von ihnen reden.
Achtung.
Oft sind beHinderte Menschen einfach nur:
• Freund*in
• Kolleg*in
• Eltern·teil
• Aktivist*in
• Chef*in
• Mit·bewohner*in
• Wissenschaftler*in
• Lieb·haber*in
Manche
Manche
Manche
Manche
BeHinderte Menschen sind Frauen.
sind queer.
sind Schwarz, Indigen oder Menschen of Color.
sind jüdisch oder muslimisch.
Manche haben wenig Geld.
Für sie macht die Gesellschaft Mit·machen noch schwieriger.
Oder sie vergisst sie.
Das ist sehr ungerecht!
BeHinderte Menschen erleben viel Gewalt.
Diese Gewalt hat eine lange Geschichte.
Und beHinderte Menschen kämpfen dagegen.
Immer wieder haben sie kleine und große Erfolge.
Zum Beispiel:
• Der Verein Mensch zuerst setzt sich für Leichte Spache ein.
Er hat das erste Wörter·buch
für deutsche Leichte Sprache gemacht.
Und fordert ein Recht auf Leichte Sprache.
Heute müssen Ämter Web·seiten in Leichter Sprache haben.
• Es gibt das Projekt #AbleismusTötet.
Dort arbeiten Wissenschaftler*innen und Journalist*innen.
Sie sammeln Informationen über Gewalt
in Wohn·heimen für beHinderte Menschen.
Sie haben Vorschläge, um die Gewalt zu bekämpfen.
Und sie haben einen Rat·geber
für Betroffene von Gewalt geschrieben.
• Die Initiative Barrierefrei Feiern fordert:
Mehr barriere·freie Konzerte, Parties und Vorträge.
Sie haben viele Icons gestaltet.
Damit können Veranstalter*innen
Barriere·freiheit schnell kenn·zeichnen.
Viele beHinderte Aktivist*innen fordern:
Alle Menschen lernen mehr über Ableismus.
Und wie sie sich mit beHinderten Menschen verbünden.
Auch beHinderte Menschen mit·einander.
Wir wollen das auch.
Wir schreiben diesen Text.
Aber wir lernen selbst noch dazu.
Vielleicht schreiben wir etwas falsches.
Vielleicht fühlen sich andere BeHinderte Menschen verletzt.
Weil wir ihre Sicht·weise vergessen haben.
Wir sind uns sicher:
Bei unserem nächsten Text wissen wir ein bisschen mehr.
Oder denken anders.
Wir hoffen:
Du möchtest auch mehr wissen.
Du informierst dich weiter über Ableismus.
Die Broschüre hilft dabei.
Aber sie ist nicht vollständig.
Wir fassen zusammen:
Ableismus bedeutet:
Die Gesellschaft bewertet Menschen nach ihrem Können.
Und behandelt sie darum besser oder schlechter.
Manche Menschen werden von der Gesellschaft beHindert.
Fast alle Menschen werden irgendwann in ihrem Leben beHindert.
Manche Menschen werden ihr ganzes Leben lang beHindert.
Es gibt viele verschiedene BeHinderungen.
Und BeHinderte Menschen machen ganz verschiedene Erfahrungen.
Wir verbünden uns.
Wir lernen voneinander.
Und verändern etwas.
Gemeinsam.
Fred studiert Politikwissenschaft und arbeitet in der politischen
Bildung. Mie interessiert sich für Themen wie Queerfeminismus,
Kolonialismus und Anti-Diskriminierung. In mies Freizeit trinkt Fred
gerne Tee, schreibt kreative Texte und begleitet Kinder. Fred hat
Trauma-Erfahrung, ist Fett und gehbehindert.
Tristan Marie wirkt als Künstler*in, Gestalter*in und Texter*in. Glücklich
ist nin beim Tanzen. Mut schöpft nin in solidarischen Strukturen und
beim miteinander*voneinander Lernen. Denn nin denkt: den Weg
zu einer gerechteren Welt können wir nur gemeinsam er*finden.
Unterwegs dahin empowern nin stylische Mobilitätshilfen.
Darum geht es: Flutkatastrophe, Klimakrise, weltweite
Ungerechtigkeit, Kolonialismus, Armut, Krankheit, Bildung,
Mobilität, Wohnraum, Lösungen / Handlungsvorschläge
ein Überblick von Andrea
Klimagerechtigkeit wird bisher noch wenig mit behinderten Menschen
in Verbindung gebracht. Sowohl in Umweltbewegungen, als auch
in der Bildung und Wissenschaft oder Medienbeiträgen zum Thema
Klimakrise wird Menschen mit Behinderung kaum zugehört und die
Klimawandelfolgen für ihre Lebensrealitäten meist nicht benannt.
Ein kurzer Überblick.
Während der Flutkatastrophe im Ahrtal sind in einer Behinderten
einrichtung in Sinzig 12 behinderte Menschen ertrunken, weil sie
nicht rechtzeitig gewarnt und evakuiert wurden. Viele Menschen
waren entsetzt und fragten sich: Wie konnte diese „Tragödie”
passieren? Tatsächlich war es keine Tragödie, sondern das Ergebnis
der Missachtung behinderter Menschen im Katastrophenschutz,
Warnsystemen und in Diskussionen über die gesellschaftlichen
Auswirkungen des Klimawandels.
Intersektionale Klimagerechtigkeit für behinderte Menschen
Wie bei allen Diskriminierungsformen wirken sich die Folgen des
Klimawandels auch bei behinderten Menschen intersektional aus.
Intersektionalität bedeutet, dass verschiedene Faktoren, die zu
strukturellen Benachteiligungen führen, zusammenwirken. Das führt
zu verschiedenen, neuen Formen der Benachteiligung 1. Faktoren, die
hier eine besondere Rolle spielen, sind zum Beispiel die Geographie
(Ist meine Heimat besonders gefährdet durch Klimaveränderungen?),
die Nationalität (Komme ich aus einem privilegierten Land des
„Globalen Nordens” mit finanziell starken Mitteln oder nicht? Welche
Möglichkeiten haben Menschen vor Ort sich vor den Folgen des
Klimawandels zu schützen oder nicht?), Geschlecht, die Zugehörigkeit
zu einer indigenen Bevölkerungs·gruppe, die finanzielle Situation, Alter,
jegliche Arten von „Ismen” wie Rassismus, Antisemitismus und vieles
mehr, das noch gar nicht wahrgenommen wird.
Der Klimawandel ist auch eine der historisch weitreichendsten
Folgen der kolonialen Ausbeutung. Durch den Raub von Rohstoffen,
Gütern und dem Land der indigenen Bevölkerungen weltweit für die
Fabriken und Luxusgüter der Länder des Globalen Nordens, ist der
CO2-Anstieg enorm angestiegen. Diese Zweiteilung in ausbeutende
und ausgebeutete Länder hat das Konzept des sogenannten „Globalen
Nordens” und „Globalen Südens” erst konstruiert. 80 Prozent aller
Menschen mit Behinderungen weltweit leben im Globalen Süden,
also durch den Kolonialismus und seine Folgen benachteiligten
Ländern. Aufgrund der Ausbeutung der Menschen, dem erschwerten
bis fehlenden Zugang zur Gesundheits·versorgung und Bildung,
sowie der nach wie vor stattfindenden Verseuchung und Ausbeutung
der Wohngebiete indigener Bevölkerungen, gibt es hier auch mehr
behinderte Menschen2. Laut den Vereinten Nationen werden sich
die Auswirkungen des Klimawandels am meisten auf die Menschen
auswirken, die am meisten von Armut gefährdet sind. Dazu gehören
im Globalen Norden auch Menschen mit geringem Einkommen und
obdachlose Menschen, wodurch das Risiko für behinderte Menschen
statistisch gesehen besonders hoch ist. Sie sind über·durchschnittlich
gefährdet, arm und dadurch wohnungslos zu werden 3.
Folgen des Klimawandels
Die Auswirkungen des Klimawandels und die bereits erwähnten
Diskriminierungsformen verstärken sich gegenseitig und haben so neue
Folgen für verschiedene Lebensbereiche.
Ein paar Beispiele:
• Bildung: Weltweit sind behinderte Menschen, davon
insbesondere Frauen und indigene Menschen aus dem
Globalen Süden, von tiefer struktureller Ausgrenzung und
oft einem teilweisen oder gar kompletten Ausschluss von
Schulsystemen betroffen. Damit ist ein selbstbestimmtes und
eigenständiges Leben für sie kaum möglich und Maßnahmen,
wie Katastrophenwarnungen, schwer einschätzbar oder, im
schlimmsten Fall, komplett unverständlich.
• Gesundheit: Durch den Anstieg der weltweiten Temperaturen
breiten sich Krankheiten, wie beispielsweise das Dengue
Fieber, weiter aus. Zusätzlich steigt die Gefahr neuer
Pandemien durch die Zerstörung von Lebensräumen aller
Tierarten weltweit, da sie das Risiko von Zoonosen verstärkt.
Eine Zoonose entsteht, wenn Krankheiten von Tieren auf den
Menschen übertragen werden können. Dieses Risiko steigt,
wenn Menschen in die Lebensräume wilder Tierarten ein
dringen. Eine Zoonose wird auch bei der Entstehung von
Covid-19 vermutet. Daher ist die Covid-19-Pandemie auch
eine Folge des Klimawandels.
Da die Länder des Globalen Südens nicht die gleichen
finanziellen Rücklagen besitzen wie Länder des Globalen
Nordens, können sie sich Impfstoffe, wie im Fall der Covid
19-Pandemie, häufig nicht leisten. Im Globalen Norden gab es
für die Bevölkerung Priorisierungen, welche Personen zuerst
geimpft werden sollten. Hier wurden behinderte Menschen,
obwohl sie übermäßig von den Folgen einer Infektion
bedroht sind, nicht beachtet. Gleichzeitig erhalten behinderte
Menschen im Fall einer Triage-Situation 4 im Krankenhaus
weniger wahrscheinlich eine Behandlung als Nichtbehinderte.
• Mobilität: Der öffentliche Nahverkehr in Deutschland,
zum Beispiel Bus und Bahn, ist nicht barrierefrei. Wird
Barrierefreiheit bei neuen Verkehrskonzepten nicht
eingeplant, werden behinderte Menschen noch mehr aus
dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Dies ist auch beim
9-Euro-Ticket passiert, da die Kapazitäten des Nahverkehrs
nicht ausgebaut wurden, gleichzeitig aber mehr Menschen
den Nahverkehr nutzten. Dies führte dazu, dass insbesondere
körperbehinderte Menschen den Nahverkehr dann gar nicht
mehr nutzen konnten.
Mobilität und barrierefreie Transportmöglichkeiten spielen
auch bei Flucht- und Migrationsbewegungen eine sehr große
Rolle. Von Naturkatastrophen, wie Wirbelstürmen, Dürren
und Starkwetter·ereignissen, sind insbesondere Menschen
des Globalen Südens betroffen. Dadurch verlieren Menschen
ihre Lebensgrundlage und sind gezwungen ihren Wohnort
zu verlassen. Da Fluchtwege nicht barrierefrei sind, ist es
für behinderte Menschen noch schwerer, einen unsicheren
Wohnort zu verlassen.
• Wohnraum: Nur 2 Prozent des Wohnraums in Deutschland
sind barrierefrei zugänglich. Bei Naturkatastrophen wie der
Flut im Ahrtal im Juli 2021 bedeutet dies, dass ihr Wohnraum,
sowie lebensnotwendige Hilfsmittel nicht mehr genutzt
werden können. Gleichzeitig ist es aber schwierig, schnell
Ersatz zu finden. Für Geflüchtete mit einer Behinderung
stellt sich die Frage, inwieweit Unterstützungssysteme und
Unterkünfte für sie zugänglich sind.
Was muss getan werden?
• Behinderte Menschen in Debatten um Klimagerechtigkeit, im
Aktivismus, den Medien, in Bildungssystemen, der Gesellschaft
und Politik wahrnehmen
• Informationen zu den Folgen des Klimawandels und zum
Katastrophenschutz, sowie Warnsysteme in jeder Weise
barrierefrei gestalten
• Wissenschaftliche Forschung zu den Folgen des Klimawandels
für Menschen mit Behinderungen fördern und fordern
• Behinderte Menschen in alle Entscheidungsprozesse
auf aktivistischer, wissenschaftlicher, gesellschaftlicher,
politischer Ebene und als Medienschaffende einbeziehen
• Barrierefreiheit und Inklusion sind Klimagerechtigkeit. Das
müssen wir wahrnehmen und klar benennen.
Andrea studiert Geschichte und arbeitet als Journalistin und Speakerin.
Sie interessiert sich für Erinnerungskulturen, Klimagerechtigkeit, AntiDiskriminierung und Protestbewegungen. In ihrer Freizeit liest sie
gerne, fährt Rad und liebt Musik, Astronomie und Fotografie.
Endnoten:
1 Intersektionalität – einfach erklärt: Es bedeutet Menschen werden mehrfach
diskriminiert. Ein Beispiel, das die Auswirkungen zeigen soll: Eine Frau mit FluchtErfahrung und Behinderung erfährt Diskriminierung. Sie wird diskriminiert,
weil andere glauben, dass sie als Frau weniger wert ist. Daher bekommt sie
beispielsweise bestimmte Berufe nicht oder schlechter als Männer. Als Frau
mit Flucht-Erfahrung ist sie auch von Rassismus betroffen. Auch wegen ihrer
Behinderung wird sie diskriminiert und bekommt bestimmte Arbeitsplätze nicht,
weil sie nicht barrierefrei sind. Je nachdem welche Merkmale eine Person hat oder
nicht hat, macht sie in verschiedenen Lebensbereichen andere Erfahrungen mit
Diskriminierung als Personen ohne diese Merkmale.
Siehe: https://diversity-arts-culture.berlin/diversity-arts-culture/woerterbuch/
intersektionalitaet-leichte-sprache
2 Siehe: https://truthout.org/articles/indigenous-people-with-disabilities-are-on
the-front-lines-of-the-climate-crisis/ , letzter Abruf: 25.11.2022.
3 Armutsrisiko und Wohnungslosigkeit von Menschen mit Behinderung, https://www.
bundestag.de/resource/blob/595250/26c01f5df7926904b78ea22b69bb297e/WD
6-126-18-pdf-data.pdf
4 Definition Triage: „Triage, das soviel wie ‚sortieren‘, ‚aussuchen‘, ‚auslesen‘ bedeutet,
bezeichnet ein Verfahren zur Entscheidung, wer medizinische Hilfeleistungen
bekommt. Während normaler Zeiten dient es der schnellen Zuordnung von
Patient*innen zu den richtigen medizinischen Ressourcen. Bei unerwartet hohem
Aufkommen an Patient*innen z.B. in Folge von Naturkatastrophen oder Unfällen
wird die Triage angewendet um schnellstmöglich festzustellen welche*r Patient*in
am nötigsten medizinische Hilfe benötigt und in welcher Reihenfolge die
Ressourcen verteilt werden.“ (Zitat, von Ability Watch zur Kampagne Mensch ist
Mensch: https://abilitywatch.de/menschistmensch/)
Darum geht es: Wirtschaftssystem, Kapitalismus, Barrieren,
Verantwortung für den Klimawandel, Obdachlosigkeit,
Gesundheitssystem, Corona, alternatives Wirtschaftssystem
ein anonymer Beitrag
Der Zusammenhang von Ableismus und Klimawandel ist mir bekannt.
Dennoch habe ich eine Weile gebraucht, um meine Ideen und Gedanken
in Worte zu fassen. Ich brainstorme in eine eher philosophische
Richtung. Ich denke auch über die emotionale Aufladung von Begriffen
und Wörtern nach und darüber, wie sie sich im Laufe der Zeit verändert.
Bei „Klimawandel“ denken die meisten an die negativen Auswirkungen
auf die Menschheit und die Natur. Bei „Kapitalismus“ verbinden einige
das Wort vielleicht mit einer negativen Konnotation, aber viele denken
an die wirtschaftlichen Möglichkeiten und sehen es im Allgemeinen
als etwas Positives. Ich diskutiere in diesem Essay jedoch nicht, ob
der Kapitalismus schlecht oder gut ist, sondern möchte einige andere
persönliche Perspektiven und Gedanken dazu vorstellen.
Sowohl Ableismus als auch Klimawandel können als Zweige
desselben Baumes betrachtet werden: Kapitalismus. Ableismus ist
ein diskriminierendes soziales Konstrukt, das durch jahrelange Praxis
verankert wurde. Der Klimawandel wiederum bezieht sich auf die vom
Menschen verursachte Veränderung des Klimas. Beides sind Neben
produkte des europäischen sozio-ökonomischen Systems. Sehr oft
wird auf den Klimawandel verwiesen, ohne die Hauptursache dafür
zu erwähnen: das derzeitige konsumorientierte, ausbeuterische
und gewalttätige Wirtschaftssystem. Ein System, das teilweise auf
Kolonialismus und Imperialismus zurückgeht, also die gewaltvolle
Besetzung fremder Gebiete zur Vergrößerung des eigenen Machtgebiets
und Ausbeutung des Landes sowie der dort lebenden Menschen.
Klimawandel und Ableismus überschneiden sich. Das bedeutet, dass
Menschen, die Ableismus erleben, auch gleichzeitig anfälliger für die
direkten und indirekten Auswirkungen des Klimawandels sind. Je mehr
eine Person marginalisiert wird, desto verwundbarer ist sie. Wenn
also eine Person nicht nur Ableismus, sondern auch Rassismus und
Queerfeindlichkeit erlebt, wird sie die Auswirkungen des Klimawandels
noch stärker spüren. Direkte Auswirkungen könnten sein, eher von
Temperaturextremen oder Naturkatastrophen betroffen zu sein.
Indirekte Auswirkungen könnten darin bestehen, dass Informationen
über Schutz vor den Folgen des Klimawandels nicht in einer Form
präsentiert werden, die für alle zugänglich ist, beispielsweise selten in
Braille-Schrift oder Leichter Sprache. Klima-Aktivismus ist ein weiteres
Beispiel, bei dem Barrierefreiheit oft nicht berücksichtigt wird.
Wir beziehen uns oft auf den Klimawandel, als sei er ein neutrales
Phänomen, das für humanitäre Krisen verantwortlich gemacht werden
kann. Wir betonen die Ursachen der Klimakrise nicht genug. Dadurch
wird ein Teil der Verantwortung vom derzeitigen konsumorientierten
Wirtschaftssystem weggelenkt, welches für den Klimawandel
verantwortlich ist. Tatsächlich sind diejenigen, die für einen sehr
großen Teil der Kohlendioxidemissionen verantwortlich sind, einige
wenige Unternehmen und Personen. Sie stellen auch das reichste
Prozent der Bevölkerung dar und sind meist im Globalen Norden
angesiedelt.
Über den Klimawandel zu reden, ohne die tatsächlichen
Verantwortlichen zu benennen, ist eine sehr gute Strategie, um sich
vor der Verantwortung zu drücken. Auf lange Sicht profitiert die
Menschheit nicht von unserem derzeitigen sozioökonomischen System,
doch einige wenige Menschen profitieren kurzfristig enorm davon, weil
es ihr Einkommen steigert. Das führt zu einem Interessenkonflikt. Das
gleiche Wirtschaftssystem hat aufgrund seiner ableistischen Natur auch
negative Auswirkungen auf alle Menschen. Die Überschneidung von
Ableismus und Klimakrise ist nur ein kleiner Teil des Gesamtbildes. Wie
würde ein Wirtschaftssystem aussehen, dass sich an den Bedürfnissen
der Menschen orientiert anstatt an Profit?
Wir sprechen über die Klimakrise, als wäre sie etwas, das von alleine
passiert, ignorieren die Menschen, die durch unsere Wirtschaft aus der
Gesellschaft ausgeschlossen werden, und schieben die Verantwortung
lieber auf einzelne Menschen, statt die bekanntermaßen quasi
Alleinverantwortlichen 70 Firmen zur Rechenschaft zu ziehen. Diese
Widersprüchlichkeit zwischen Ursache, Wirkung und Verantwortung
stellt nur einen kleinen Teil des Gesamtbildes dar. Die Art und Weise,
wie wir Probleme angehen und über dieses Thema sprechen, prägt
unser Verständnis davon. Die Art und Weise, wie wir über das aktuelle
sozio-ökonomische System, über Ableismus und den Klimawandel
sprechen, kann die Menschen verwirren. Dieser Informationsmangel
oder diese Desinformation kann uns davon abhalten, die richtigen
Maßnahmen zur Bewältigung des Problems zu ergreifen. Ein bildliches
Beispiel wäre, dass wir nicht versuchen, die Symptome zu heilen,
sondern vielmehr die Ursache der Symptome.
Wir sprechen nicht genug über die Auswirkungen einer kapitalistischen
Gesellschaft auf unsere Psyche und darüber, dass das derzeitige
sozio-ökonomische System für viele, meist „pathologisierte“ Zustände
verantwortlich ist. Einige dieser „Pathologien“ sind ganz natürliche
Reaktionen auf eine Gesellschaft, in der das Leben nicht als natürliches
Recht, sondern als eine Ressource betrachtet wird, die wie Erdöl für
den Profit ausgebeutet werden kann. Das Leben unter Bedingungen, in
denen Menschen sich ständig durchsetzen müssen, in denen Menschen
sich nicht richtig ausruhen können, in denen es ein tragisches Ende
nehmen kann, wenn Menschen nicht arbeiten können. Menschen, die
nicht dazu in der Lage sind, eine Tätigkeit auszuüben, die ihnen den
Lebensunterhalt finanzieren kann, werden daran behindert zu leben.
In vielen Ländern gibt es keine oder nur sehr begrenzte finanzielle
Mittel zur Unterstützung von Menschen, die nicht arbeiten können,
zum Beispiel aufgrund einer Behinderung. In Bulgarien beispielsweise
beträgt die höchstmögliche Sozialhilfe für Menschen mit Behinderung
197 Euro pro Monat, was natürlich bei weitem nicht ausreicht, um die
Grundbedürfnisse zu decken. Viele Obdachlose sind ebenfalls behindert,
was wiederum zeigt, dass viele der grundlegenden Menschenrechte nur
den privilegierten Nichtbehinderten vorbehalten sind.
Auch Krankenversicherungen können ableistisch sein: Wenn
bestimmte psychische Krankheiten oder körperliche Behinderungen
diagnostiziert werden, gefährdet dies den Zugang zur gesamten
Gesundheitsversorgung. Mit anderen Worten: Es ist für die
Krankenversicherungen nicht profitabel, Menschen zu versorgen, die
teure medizinische Hilfe benötigen.
Wir leben in einer Gesellschaft, die uns ständig unterdrückt und
aufreibt und uns dann diagnostiziert, wenn wir uns unterdrückt
und müde fühlen. Es ist grauenhaft, keine medizinische Versorgung,
kein Essen, keine Unterkunft und keine finanzielle Unterstützung zu
erhalten, nur weil es nicht möglich ist, einem traditionellen Beruf
nachzugehen. Das ist ein ziemlich düsteres Bild und eine Realität, die
es zu akzeptieren gilt und die sicherlich einen Tribut an unsere Psyche
fordert.
Auch in den Unternehmen des Gesundheitswesens auf der ganzen
Welt kann Ableismus gesehen werden. Sie konzentrieren sich auf
Gewinnmaximierung, selbst wenn diese mit Menschenrechten
kollidiert. Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Die großen Produktionsfirmen
von COVID-19-Impfstoffen weigerten sich, das Patent für den
Impfstoff mit Ländern des Globalen Südens zu teilen, nur um keine
Gewinne zu verlieren. Pandemien können manchmal auch indirekt
durch den Klimawandel verursacht werden. Es kommt häufiger zu
Extremwetterereignissen und Menschen zerstören und übernehmen
zusätzlich unnötig zuvor unberührte Regionen und Lebensräume.
Durch diese neu entstehenden Kontakte zwischen Menschen und
Wildtieren kommt es zu Infektionen und Mutationen verschiedener
Krankheitserreger.
Die Krise des Klimawandels besteht nicht nur aus wärmeren Wintern
oder mehr Wirbelstürmen, sondern auch in der Verknappung von
Arbeitsplätzen, der Verschwendung von Lebensmitteln, dem Verlust von
indigenem Land, der Abholzung von Wäldern usw. Der Klimawandel
hat nicht nur Auswirkungen auf das Abschmelzen der Eiskappen und
das Ausmaß gefährlicher Wetterereignisse, sondern auch auf unsere
Wirtschaft, die Landwirtschaft und das tägliche Leben.
Der Klimawandel und die derzeitigen landwirtschaftlichen Praktiken,
die auf Monokulturen und Abholzung beruhen, schaffen das Potenzial
für mehr Erreger, die von Tieren auf Menschen übertragen werden, wie
zum Beispiel COVID-19. Die Pandemie von 2019 war das erste Mal,
dass auf globaler Ebene darüber gesprochen wurde, wie zerbrechlich
unsere kapitalistische Wirtschaft ist. Es war das erste Mal, dass Arbeit
und bürokratische Kommunikation über Online-Portale und Homeoffice
zugänglicher gemacht wurden. Dies war nur möglich, weil die
Pandemie auch die privilegiertesten Teile der Gesellschaft betraf und
weil sie viele Unternehmen bedrohte, die Umsatzeinbußen hinnehmen
mussten. In gewisser Weise dienten diese Änderungen eher als Puffer
für die Unternehmen, als dass sie unsere Welt ein wenig zugänglicher
machten.
Das Lesen und Nachdenken über dieses Thema ist nicht nur ziemlich
komplex, sondern auch mit viel emotionaler Arbeit verbunden. Es ist
keine leichte Aufgabe, darüber nachzudenken, wie grausam die Welt ist,
in der wir leben. Das Problem ist, dass denjenigen, die am stärksten von
Ableismus und dem derzeitigen sozio-ökonomischen System behindert
werden, meist nicht die Möglichkeiten und Plattformen gewährt
werden, um sich mitzuteilen.
Die Art und Weise, wie unser derzeitiges sozio-ökonomisches System
strukturiert ist, führt nicht nur zu Klimakatastrophen, sondern auch
zu einer Veränderung unserer Denkweise und Selbstwahrnehmung.
Es fördert den Ableismus auf institutioneller Ebene, aber auch in
uns selbst und in der Art, wie wir über andere denken. Ableismus
entmenschlicht uns und reduziert uns auf eine austauschbare Einheit
in einem System.
Würde unser Verdienst nicht auf unserer Fähigkeit beruhen, marktfähig
zu sein, wäre das Leben einfach weniger grausam und gewalttätig.
Eigentlich sollte es überhaupt keinen Verdienst in Bezug auf uns
geben, denn wir sind Menschen und keine Produkte. Unser derzeitiges
sozio-ökonomisches System bevorzugt einige wenige Menschen, die
über riesige Mengen an Ressourcen verfügen, und der Preis dafür ist,
dass die Mehrheit zu kämpfen hat. Es gibt dem Einzelnen Vorrang vor
der Gemeinschaft.
Ich glaube, dass sich dies ändern wird, wenn auch nur langsam.
Ich denke, ein wichtiger Schritt ist es, mehr Informationen
darüber bereitzustellen und das Verständnis dafür zu fördern, wie
kontraproduktiv unser derzeitiges sozio-ökonomisches System ist
und wie es gegen uns und unsere grundlegenden Menschenrechte
funktioniert.
Meiner Meinung nach sollten wir darauf hinarbeiten, gemeinschafts
basierte Unterstützung in den Fokus zu stellen und die derzeitigen
Machtstrukturen abzubauen.
In einer utopischen Gesellschaft, in der es statt Kapitalismus
ein alternatives Wirtschaftssystem gibt, würden wir alle als
unterschiedlich anerkannt und gefeiert werden - körperlich, geistig,
mit unterschiedlichen Bedürfnissen, ohne jegliche damit verbundene
Machtdynamik.
Darum geht es: Soziale Normen, Eugenik, Nationalsozialismus,
Mord, Ausbeutung, Kapitalismus, Kolonialismus, MAPA (most
affected people and areas), kreative Lösungen
von SchwarzRund
Behindertenfeindlichkeit ist, wie die meisten Unterdrückungskategorien,
eng verwoben mit anderen Machtverhältnissen. Zunächst: Wie sieht
Behindertes5 Leben aus? Vielfältig - denn die Gruppe der Behinderten,
ver_rückten6, tauben und autistischen Menschen ist riesig, verwoben
und vor allem unfassbar different. Different, also unterschiedlich, heißt
aber nicht zwangsläufig im Widerspruch zueinander. Audre Lorde 7
erklärte in ihren Essays und Reden, dass Differenz existiert. Ob wir
das nun gut oder schlecht finden, ist für ihr Vorhandensein irrelevant.
Trotzdem existieren Normen. Normen, die einfordern als wichtiger,
richtiger und schützenswerter verstanden zu werden, ganz ohne sich
selbst als bedürftig oder besonders zu identifizieren.
Im ersten Abschnitt dieses Beitrags wird diese Norm genauer erklärt.
Darauffolgend ordne ich den Diskurs um Klimaschutz vs. Behindertes
Leben in die eugenische Idee 8 ein. Zuletzt dann stelle ich mithilfe von
MAPA und den Gedanken der Schwarzen Denkerin Audre Lorde
(auf Seite 29) die Frage nach kreativen Veränderungen der
Klimabewegung durch Differenz.
Mythische Norm, Mythische Mehrheit
Lorde bezeichnet die vermeintliche Norm, die es nicht wirklich gibt,
als mythische, also ausgedachte, unwirkliche Norm. Niemensch erfüllt
tatsächlich das, was wir als Otto-Normal-Menschen kennen. Aber diese
Norm ist so etwas wie ein Richtwert; wer weiter davon entfernt ist,
ist weniger Norm, muss also weniger mitgedacht werden. „Wir können
ja auch nicht alles mitdenken” rutscht uns allen mal über die Lippen,
aber das verlangt auch keine*r. Es geht eher darum, dieses nicht
Mitdenken nicht zu ritualisieren, ihm keine Berechtigung zuzumessen,
nur weil es der mythischen Norm näher zu sein scheint. Diese
mythische Norm wird stets verändert und neu gefüttert - sie verleibte
sich Geschlechter-Binarität, Rassismus, Sexismus und vieles andere
ein. Die mythische Norm beinhaltet eine wage Idee des „richtigen”,
„normalen” Seins. Dieses wird „selbstverständlich” immer mitgedacht,
aber vor allem bevorzugt behandelt. Schließlich ist es die Norm und in
einem egalitären9 Sinne erreicht die Erfüllung der Bedürfnisse dieser
mythischen Normbürger*innen die größte Anzahl an Menschen. Die
mythische Norm ist also begleitet von der Vorstellung die mythische
Mehrheit zu sein. Das ist aber nicht der Fall, also ist auch die Mehrheit,
genauso wie die Norm, ein Mythos, also eine mythische Mehrheit. Der
Begriff „die mythische Mehrheit” wird in diesem Text verwendet, um zu
beschreiben, auf welchen Gewaltebenen Differenz aktiv vergessen wird,
um Behindertes Leben zu missachten.
Warum die Welt Behindertes Leben nicht als wertvoll betrachtet
Die eugenische Idee stammt - trommelwirbel - nicht aus Deutschland!
Sie wurde von dem Briten Sir Francis Galton in den 1880ern erdacht
und manifestiert. Doch nicht zu früh freuen: In den USA und UK gab
es zwar die ersten Publikationen und juristischen Umsetzungen, zum
ideologischen Verkaufsschlager wurde sie aber durch die Nazis. Diese
nutzten Eugenik als ideologische Grundlage für den massenhaften
Mord, die Verstümmelungen und Zwangssterilisierung von Menschen,
die nicht der mythischen Norm der Nazis entsprachen. In »Frauen
der Unterwelt - Queerfeministische Antworten auf Psychiatriegewalt,
Sexismus und Ableismus« 10 werden Biographien queerer Frauen
nacherzählt, die Psychatriegewalt erlebten.
Eugenik ist auch mit der kapitalistischen Idee des stetigen Wachstums
durch Produktion verkettet. Im Kapitalismus gilt es Kapital zu
erwirtschaften, im Gleichschritt. Dies ist eine wichtige Ergänzung,
denn es geht nicht nur um die Menge des erwirtschafteten Gutes,
sondern auch um die stetige Reproduzierbarkeit des Arbeitsablaufes.
Somit ist die mythische Norm - sowohl des Körpers als auch des
Geistes, des sogenannten Bodyminds - besonders relevant. Es braucht
Durchschnittsmenschen, um Durchschnittsarbeiter*innen zu haben,
um einen stetig wachsenden Durchschnitt produzieren zu können,
durch mehr Vereinheitlichung, Spezifizierung und Schnelligkeit der
Maschinen.
Also ist der Körper, der der mythischen Mehrheit nicht entspricht oder
sich nicht in die enge Schablone zwingen lassen möchte, schädlich.
Durch die Stigmatisierungen von allen außerhalb der mythischen
Mehrheit soll verhindert werden, dass sie ihre Gene weitergeben. Bis
diese Menschen weniger werden, bis es sie irgendwann nicht mehr
gibt.
Hier reichen sich neoliberale Klimapolitiken und die mythische
Norm die Hand, gemeinsam mit dem eugenischen Denken. Wenn wir
möglichst schnell, möglichst gleichzeitig, möglichst viel Erde retten
wollen, stören Behinderte Bodyminds den Prozess. Die Gefahr liegt
also in der Doktrin der Dringlichkeit, die nicht-Behinderte aber selber
verursacht haben. Zunächst ignorieren sie die Hinweise marginalisierter
Menschen(gruppen) bezüglich der zerstörerischen Kraft kapitalistischer
Wirtschaft und neo-kolonialer 11 Ausbeutung bis sie nicht mehr zu
ignorieren sind. Dann nutzen sie die nun vorhandene Dringlichkeit,
um selbst die angebliche Rettung der Welt ausschließlich an ihren
Bedürfnissen auszurichten.
Gleichzeitig sind diese Ansprüche (möglichst schnell, möglichst
gleichzeitig, möglichst gleich) Hinweise für eine kollektive
Verweigerungshaltung der Mächtigen, eigene Privilegien anzuerkennen.
Sie verweigern sich, die Differenzen zwischen Menschen,
Lebensräumen, Möglichkeiten, Handlungswegen und kulturellen
Konzepten wahrzunehmen. Audre Lorde stellte fest:
Institutionalized rejection of difference is an absolute necessity
in a profit economy which needs outsiders as surplus people.
As members of such an economy, we have all been programmed
to respond to the human differences between us with fear and loathing
and to handle that difference in one of three ways:
ignore it, and if that is not possible,
copy it if we think it is dominant,
or destroy it if we think it is subordinate.12
(Lorde: Age, Race, Class, S. 115)
Diese institutionalisierte Ablehnung von Differenzen ist eben nicht
nur eine kleine Charakterschwäche eines einzelnen Menschen. Sie
trägt einen Namen: Eco-Ableism, also Öko-Behindertenfeindlichkeit.
Zu leugnen, dass die Ansprüche differenter oder als different
wahrgenommener Personen abgewertet werden, ist bereits ein
kapitalistisch geprägter Akt der Unterdrückung. Differenzen stehen
nicht nur für marginalisierte Perspektiven. „Different” ist auch, wer
mehr Schuld am Zustand der Erde trägt und wer die größten Vorteile
daraus zieht. Wer hat wie viel Klimalast durch die Ausbeutung welcher
Personen und Gebiete verursacht? Eine Frage, die Angst auslöst, noch
vor ihrer Beantwortung.
MAPA - Most Affected People and Areas
Diese Gruppe wagt es innerhalb der FFF 13-Bewegung (auf Seite 49) und
darüber hinaus zu fragen: Wie sähen Reperationssysteme aus für jene
Gebiete und Menschen, die durch die Klimaschäden am negativsten
betroffen sind? “Reparationen, warum das denn? Wir sind doch alle
gleich Schuld!” Das stimmt so nicht ganz. Kolonialismus zum Beispiel,
in seiner heutigen Form des Neo-Kolonialismus, bedeutet auch:
Klimalast wird verrechnet wo sie entsteht, nicht dort wo der Profit
aus diesen Klimaschäden hinfließt. „Alle Länder müssen das gleiche
leisten zur Rettung der Welt!” scheitert an der kolonial strukturierten
Realität: Die Rohstoffminen in Mittelamerika liegen noch immer zum
großen Teil in den Händen von Europäer*innen, Kanadier*innen und
dem globalen Westen14. Die Klimaschuld wird dann in Statistiken z.B.
der dominikanischen Republik angelastet, während sich Länder wie
Deutschland selber schönrechnen.
MAPA denkt radikal weiter, was Audre Lorde bereits in den langen
1980ern des Black Gay Thoughts formulierte:
For as long as any difference between us
means one of us must be inferior,
then the recognition of any difference
must be fraught with guilt. (...)
Refusing to recognize difference
makes it impossible
to see the different problems
and pitfalls facing us (...).15
(Lorde: Age, Race, Class S. 118)
Audre Lorde (Gambda Adisa)
bei ihrer letzten Lesung in Berlin,
September 1992
Differenz heißt auch: sich einzugestehen, dass selbst so etwas
Allumfassendes wie die Klimakrise unterschiedliche Menschen
unterschiedlich benachteiligt. Die Sterberate für Behinderte, alte
und junge Menschen bei hohen Temperaturen ist überproportional
hoch. Neurodivergente, Behinderte und queere Menschen sind stärker
als andere von Obdachlosigkeit bedroht, wodurch Kältetode öfter
auftreten. Während es sich bewahrheitet, dass Starkwetterphänomene
häufiger und heftiger werden, sterben wir überproportional oft, sind
eingeschränkter in der sozialen Teilhabe und können weniger am
Arbeitsmarkt und im Sozialleben teilnehmen. Und dann sterben wir
durch undurchdachten Klimaaktivismus, der uns wortwörtlich den
letzten Strohhalm raubt 16. Die mythische Mehrheit nimmt dies aber als
persönliche Schwäche wahr, statt es als strukturelle Unterdrückung
einzuordnen.
Kreativer die Welt retten
human difference as a springboard for creative change.17
(Lorde: Age, Race, Class S. 115)
Diese kreative Veränderungsleistung beschreibt Piepzna-Samarasinha
(auf Seite 62) in „Care Work - Dreaming Disability Justice” 18. In den
Wohnküchen, Schlafzimmern und Couchlandschaften jener, die
aktivistisch tätig, aber wohnungsgebunden sind. Jene, die durch
Behindertenfeindliche Weltgestaltung und Klimakrise besonders
bedroht sind. Sie suchen kreative Orte, Lösungen und Arbeitsmodelle,
um die Gesellschaft zu verändern, ohne in ableistisch konstruierten
Aktivismus-Kontexten auszubrennen. Diese kreative Leistung ist Alltag
für Behinderte Bodyminds. Genau der kreative Veränderungswille,
den die großen Klimabewegungen fürchten, da er an ihren eigenen
Bequemlichkeiten nagt. Es gibt Behinderte Stimmen, Ideen und
Arbeitsstrukturierungen zu übernehmen, zu unterstützen und zu
verstehen: In einer Welt, die von Tag zu Tag unbewohnbarer für
Menschen wird, sind diejenigen Expert*innen, die schon immer in
Kontexten über_lebten, die nicht für sie geschaffen wurden.
SchwarzRund (keins/they/@) ist Schwarze Deutsche Dominikaner*in.
SchwarzRund arbeitet und macht Kunst zu Mehrdimensionalen
Lebensrealitäten (unter anderem auf schwarzrund.de). SchwarzRund
studierte Kulturwissenschaften und Gender Studies, promoviert derzeit
in den Geschichtswissenschaften zu Audre Lordes Politikverständnis in
der Erfurter Forschungsgruppe „Contested Democracy“.
Endnoten
5 „Behindert” wird hier großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es keine
festgelegte physische Grundlage gibt die eine Person behindert oder nicht
behindert macht. Vielmehr ist dies das Ergebnis einer sozialen und kulturellen
Aushandlung.
6 „ver_rückten” wird hier so geschrieben, um sowohl neurologische Differenzen
wie auch gesellschaftliche Konsequenzen von Unterdrückung für das Individuum
zeitgleich zu benennen.
7 Audre Lorde, Kurzbiographie: http://www.audrelorde-theberlinyears.com/
deutsch/audre_de.html. Auf Englisch gibt es dieses tolle Kinderlied um Audre
kennenzulernen: https://www.youtube.com/watch?v=jm_xrNV5M2U
8 Eugenik ist eine philosophische Idee. Sie wurde von Darwins Vetter entwickelt,
der hieß Galton. Das Wort (Eugenik) kommt aus dem Altgriechischen, es bedeutet
ungefähr „die edle Abstammung verstärken”. Eugeniker*innen wollen, dass es
weniger Behinderte und ver_rückte Kinder gibt. In Deutschland zur Nazizeit und
darüber hinaus wurden Menschen wegen der Eugenik ermordet, zwangssterilisiert
und entrechtet. Mehr dazu hier: https://www.gedenkort-t4.eu/de/wissen/was
heisst-eugenik
9 egalitär bedeutet „auf politische, soziale Gleichheit gerichtet”
10 Frauen der Unterwelt - Queerfeministische Antworten auf Psychiatriegewalt,
Sexismus und Ableismus (2021), herausgegeben von Tine Rhel Völker in Edition
Assemblage.
11 Europäische Länder haben zum Beispiel Mittelamerika lange ausgebeutet. Sie
haben die Menschen dort umgebracht, Menschen aus Afrika dorthin verschleppt
und versklavt. Sie haben die Natur verändert und ihr mehr Rohstoffe entzogen, als
sie ihr wieder gegeben haben. Dadurch wird die Natur über die Jahrzehnte hinweg
immer kränker. Manche sagen, diese Zeit sei vorbei. Diese Zeit hieß Kolonialismus.
Doch Forscher*innen aus Lateinamerika sagen das stimmt nicht! Sie sagen
auch heutzutage macht Europa Gewinne mit dem Land und den Menschen in
Mittelamerika. Das nennen sie den neuen Kolonialsmus, also Neo-Kolonialismus.
12 Deutsche Übersetzung: „Die institutionelle Ablehnung von Differenzen ist
eine absolute Notwendigkeit in einer Profitwirtschaft, die Außenseiter*innen
als menschliche Überschussware benötigt. Als Mitglieder eines solchen
Wirtschaftssystems werden wir alle darauf programmiert unseren menschlichen
Unterschieden mit Angst und Abscheu zu begegnen und sie auf eine von drei Arten
zu behandeln: Wir ignorieren sie, und wenn das nicht möglich ist, kopieren wir sie,
wenn wir glauben, dass sie dominant sind und zerstören sie, wenn wir meinen, sie
seien uns untergeordnet.”
13 Fridays for Future, Klimabewegung junger Menschen
14 Siehe hierzu die Miene Pueblo Viejo in der Dominikanischen Republik: https://
www.blickpunkt-lateinamerika.de/artikel/wie-der-bergbau-eine-gemeinde-spaltet/
Neo-Kolonialismus und der CO2 Ausstoß nach Land: https://www.ak-umwelt.at/
schwerpunkt/?article=394&issue=2015-01
15 Deutsche Übersetzung: „So lange jegliche Unterschiede zwischen uns bedeuten,
dass eine*r von uns unterlegen sein muss, wird die Anerkennung von Differenzen
mit Schuld belastet sein. Unterschiede zu ignorieren macht es unmöglich die
verschiedenen Probleme und Schwierigkeiten zu sehen, die uns bevorstehen.”
16 https://www.eater.com/2018/7/19/17586742/plastic-straw-ban-disabilities
17 Deutsche Übersetzung: „Menschliche Differenzen als Sprungbrett für kreativen
Wandel”
18 Care work: Dreaming disability justice (2018) von Leah Lakshmi PiepznaSamarasinha in arsenal pulp press.
Nachweis Audre Lorde:
Audre Lorde (1980): Age, Race, Class, and Sex: Women Redifing Difference. In: Audre
Lorde und Cheryl Clarke (Hg.): Sister outsider. Essays and speeches. Revised edition
(2007). Berkeley: Crossing Press (The Crossing Press feminist series), S. 114–124.
Zum Weiterlesen:
Ali Uddman, Elleonora (2021): Eco-Ableism in Society and the Climate Movement.
In: Newsletter - Fridays For Future, 14.06.2021. Online verfügbar unter https://
fridaysforfuture.org/newsletter/edition-no-3-ecoableism/, zuletzt geprüft am
27.08.2022
Aloha ‘Āina with Dr. Jamaica Heolimeleikalani Osorio (2022). In: Finding Our Way
Podcast, 02.08.2022. Online verfügbar unter https://www.findingourwaypodcast.com/
individual-episodes/s3e4, zuletzt geprüft am 27.08.2022
Bretz, Thomas H. (2020): Discussing Harm without Harming. In: Environmental Ethics
42 (2), S. 169–187. DOI: 10.5840/enviroethics2020111615
Davis, KC (2022): 03: Eco-Shame with Rebecca Gray. In struggle care (Podcast). Online
verfügbar unter https://www.strugglecare.com/podcast-rss/03, zuletzt geprüft am
29.12.2022
Davis, KC (2022): 10:You Can‘t Save the Rainforest if You‘re Depressed with Imani
Barbarin. In struggle care (Podcast). Online verfügbar unter https://www.strugglecare.
com/podcast-rss/03, zuletzt geprüft am 29.12.2022
Eco Warrior Princess (2018): Eco-Ableism: What It Is, Why It Matters and How It
Affects Disabled People - Eco Warrior Princess. Online verfügbar unter https://
ecowarriorprincess.net/2018/08/eco-ableism-what-it-is-why-it-matters-how-affects
disabled-people/, zuletzt aktualisiert am 10.11.2018, zuletzt geprüft am 27.08.2022
Finding Our Way Podcast (Transkript) (2022): S3 E4 Aloha ‘Āina with Dr. Jamaica
Heolimeleikalani Osorio.docx. Online verfügbar unter https://docs.google.com/
document/d/1Tcm-JVrMo8RZdrSNpsn5BB8ZjTPJdG4T/edit, zuletzt aktualisiert am
27.08.2022, zuletzt geprüft am 27.08.2022
MAPA (@fridaysforfuturemapa) • Instagram-Fotos und -Videos. Online verfügbar unter
https://www.instagram.com/p/CZCWvFftvzM/, zuletzt aktualisiert am 27.08.2022,
zuletzt geprüft am 27.08.2022
Mitzi Jonelle Tan (2019): White Saviorism in the Climate Movement. In: Bad Activist
Collective, 11.03.2019. Online verfügbar unter https://www.badactivistcollective.com/
the-bad-book/white-saviorism-climate-movement, zuletzt geprüft am 27.08.2022
Darum geht es: Katastrophenschutz, Notfallpläne, Zugang zu
Informationen, Klima-Aktivismus, Unverzichtbarkeit von
Plastikstrohhalmen, Forderungen an (Klima-)Politik
von So
Abelismus ist überall. Er findet sich im Klimawandel, im
Klimaaktivismus und in Klimalösungen, er ist strukturell. Systemische
Unterdrückung spiegelt sich immer in sozialen Bewegungen wider,
wenn nicht aktiv versucht wird, sie zu verlernen.
Genau deswegen müssen wir uns endlich mit den Folgen des
Klimawandels für behinderte Menschen beschäftigen!
Die Vereinten Nationen haben bereits vor Jahren dazu aufgerufen,
die Bedrohung durch die Folgen des Klimawandels für Menschen mit
Behinderung als Menschenrechtsfrage ernst zu nehmen. Im April 2020
veröffentlichten sie dazu eine Studie:
„Menschen mit Behinderung – geschätzt eine Milliarde Menschen welt
weit [das ist 1/8 der gesamten Weltbevölkerung!] – erfahren die Folgen
des Klimawandels anders und viel stärker als andere. Beispielsweise
sind behinderte Menschen in Gefahrensituationen stärker benachteiligt.
Das zeigt sich überproportional in einer höheren Krankheitsanfälligkeit
und Sterblichkeit. Sie sind auch diejenigen mit dem schlechtesten
Zugang zu Notfall-Unterstützung.“ 19
Die Stimmen von uns werden hier nicht gehört.
Bereits 2017 wurde in einer Studie inklusiver Katastrophenschutz
gefordert. Es wurde außerdem empfohlen, Behindertenaktivisti in die
Diskussionen zu den Notfallplänen einzubeziehen. Und Deutschland
stellt für diese Studie nicht einmal Daten zur Verfügung! 20
Es ist Zeit, den strukturellen Ableismus in der Gesellschaft und Politik
zu benennen und zu bekämpfen.
Struktureller Ableismus zeigt sich, indem die Lebenswelten behinderter
Menschen nicht beachtet und nicht in die Planung einbezogen werden.
Es ist dringend notwendig, dass wir darüber reden, wie behinderte
Menschen in Notfallplänen für Naturkatastrophen besser „mitgedacht“
werden können und einen Platz am Tisch bekommen, wenn über diese
geredet wird.
Wie können wir eine neue Zukunft aufbauen, die den Bedürfnissen aller
gerecht wird und die Klimakrise bewältigt? Indem wir uns gemeinsam
neue Systeme und Lösungen ausdenken und erträumen!
Ich wünsche mir endlich eine aktive, freie und bedeutsame
Teilhabe von behinderten Menschen und deren Selbstvertretung
in allen gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Dazu gehört
ein barrierefreier Zugang zu Informationen, auch zum Thema
Klimagerechtigkeit.
Die meisten Informationen zu Klimagerechtigkeit sind derzeit leider
nur auf Englisch und erst recht nicht in Leichter Sprache vorhanden.
Menschen mit Lernschwierigkeiten kommen in Debatten zum
Klimawandel gar nicht zu Wort und haben den schlechtesten Zugang zu
Bildung.
Generell brauchen wir mehr Wahrnehmung von Behindertenrechten in
den Klimawandel-Debatten, auch um abelistischer Diskriminierung in
unseren Handlungen gegen den Klimawandel vorzubeugen.
Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht.
Das Strohhalmverbot ist dafür ein Paradebeispiel. Bei dem Entwurf
des Gesetzes wurden dessen Auswirkungen auf behinderte Menschen
einfach nicht berücksichtigt.
Und das trotz eines Aufschreis von Behindertenaktivisti, als das
geplante Verbot bekannt wurde.
Der Strohhalm ist für viele Menschen einfach unverzichtbar und
lebensnotwendig.
Um so verwunderlicher ist für mich, dass viele Umwelaktivisti
dieses Thema komplett ignorieren, wenn sie das Verbot von
Plastikstrohhalmen als einen ersten Schritt in die „richtige“ Richtung
feiern.
Es scheint so, als ob Menschen mit Behinderung und die von ihnen
benötigten Hilfsmittel in der Öffentlichkeit kaum Präsenz haben.
Warum Strohhalme für viele behinderte Menschen unverzichtbar sind,
lässt sich einfach Erklären:
Für Menschen mit eingeschränkter Schluckfähigkeit oder
eingeschränkter Funktion der Oberarme zum Beispiel, ermöglichen
Plastiktrohhalme, dank ihrer Flexibilität, selbsständiges Trinken ohne
Verletzungsrisiko.
Diese Sicherheit und Freiheit bieten Alternativen zu Plastikstrohalmen
leider nicht.
Metall, Glas und Bambus sind extrem starr, nicht flexibel oder
anpassbar und schwer zu reinigen. Zudem gibt es bei Glas und Bambus
eine Verletzungsgefahr durch Scherben und Splitter.
Papier und Nudeln weichen schnell durch und werden durch
Knicken oder leichtes Aufbeißen oft unbrauchbar. Nudeln stellen
außerdem ein extremes Allergierisiko dar, genauso wie vermeintlich
umweltfreundliches Bioplastik, bei dem häufig die Kennzeichnung der
Inhaltsstoffe fehlt.
Das Verbot bedeutet also erneute bürokratische Hindernisse, nur um
einen Tee trinken und das eigene Leben so selbstbestimmt wie möglich
leben zu können.
All das kostet viel Zeit, Nerven und Energie, sodass diese fehlt, um sich
außerhalb der alltäglichen Hürden in Debatten um Klimagerechtigkeit
einzusetzen.
Die Klimabewegung muss sich ernsthaft mit dem Thema Zugang und
Inklusion befassen, mit breiten Zugangsmöglichkeiten für alle als
Standard in unseren Räumen, Strukturen und Aktionen.
Die Stimmen von behinderten Menschen müssen einbezogen und in
den Mittelpunkt gestellt werden. Marginalisierte Menschen und ihre
Bedürfnisse dürfen nicht nur ein nachträglicher Gedanke sein. Wir
müssen die Agenda bestimmen, Forderungen formulieren und dabei
helfen, Lösungen zu schaffen, die den Bedürfnissen aller gerecht
werden. Wir können keine Zukunft für Alle aufbauen ohne Alle
einzubeziehen.
Deswegen hört uns endlich zu und bezieht uns in Themen, die unser
Leben betreffen, mit ein!
So hat Geographie studiert und arbeitet in der Bildung für nachhaltige
Entwicklung. So sind gemeinsames Wissen und voneinander lernen,
Klimagerechtigkeit und Intersektionalität wichtig.
So nutzt einen Rollstuhl und sagt nie „nein“ zu einer guten Tasse Tee.
Endnoten:
19 Analytical study on the promotion and protection of the rights of persons with
disabilities in the context of climate change - Report of the Office of the United
Nations High Commissioner for Human Rights
20 Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention - Katastrophenhilfe muss
inklusiv sein - Empfehlungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte
Die Karte auf den nächsten Seiten ist von Leo:
Leo ist weiß, nicht-binär/trans und lernt im Rahmen seines
Universitätsstudiums und darüber hinaus über Extraktivismus,
Dekolonialität und Feminismen. Wenn leo nicht gerade mit Allergien,
ADHS und Asthma am strugglen ist, hört leo am liebsten Hörbücher,
kocht, kümmert sich um Pflanzis und begeistert sich für Linoldruck,
Aquarell und Haare schneiden.
ANREGUNGEN FÜR EIN BARRIEREARMES KLIMACAMP
Hinterfragen des verinnerlichten
kapitalistischen Leistungsdenkens
Basierend auf Texten
von Cécile Lecomte und
eigenen Erfahrungen
Markierung von
Zeltschnüren
Abschaffung
ableistischer Strukturen
als Gruppenprozess
Eine Küche, die
Allergien mitkocht
Reizarme
Rückzugsräume
mit Stimmingtoys
Abgesonderte
Orte für Personen,
die rauchen oder
konsumieren
möchten
Übersetzung und
Gebärdendolmetschen auf
Plena und
Workshops
Infopoint mit
kontraststarken
Schildern, leichter
Sprache und
Braille-Schrift
Rollstuhl
geeignete Wege
mit Kontrastmarkierungen
Barrierefreie
Komposttoiletten
mit Rampe und
Haltegriffen
No-JudgmentParkplatz für alle,
die auf ein Auto
angewiesen sind
Ein warmer Ort
mit Feldbetten
Demo ohne Pyro-Technik für Asthmatiker*innen &
Informationen zur Barrierefreiheit von Aktionen
Sichtbarkeit und
Wertschätzung von
Orga- und Care
arbeit und
Aufarbeitung von
Mackertum
und Coolness
Darum geht es: Angst vor der Klimakrise, Klimakatastrophen,
soziale Ungerechtigkeit, Rassismus, Kolonialismus,
Kapitalismus, Barrieren in Bus und Bahn, Gefängnis,
Behindertenwerkstätten, Stromausfall, falsche Lösungen
von İlyas Kılıç
Mein Leben beginnt erst jetzt. Ich tue die Dinge, die ich mag. Ich
plane meine Zukunft. Ich habe Wünsche und Träume, Aufgaben und
Freundschaften. Ich denke an die Klimakrise. Dann habe ich das Gefühl:
Mein Leben ist bald zu Ende. Nicht nur meins. Jeden Tag sind mehr
Menschen in Lebensgefahr. Vor allem im globalen Süden.
Früher wurde gesagt: Das dauert mit der Klimakrise. Uns wurde
beigebracht: Es gibt noch Zeit. Aber die Zeit ist vorbei. Die Erde ist
schon jetzt vielerorts nicht mehr bewohnbar. Alles kommt schneller als
wir dachten.
Die Klimakrise betrifft auch behinderte Menschen. Es gibt viele
Katastrophen. Und Kriege. Und Netzwerke, die zusammenbrechen.
Behinderte Menschen können nicht einfach fliehen. Sie werden
vergessen und ignoriert. Sie sind die ersten Menschen, die sterben.
Sie sind nicht willkommen, wenn sie woanders hingehen müssen. In
Notsituationen gilt: Nur das Wichtigste. Behinderte Menschen sind
nicht so wichtig.
Ozeane fließen plötzlich durch ganze Länder. Das Regenwasser ist
voller Chemikalien. Alles, was wir anfassen und einatmen, ist Gift. Die
Klimakrise ist gefährlich für behinderte Menschen. Die Klimakrise
macht viele Menschen behindert. Zum Beispiel werden Menschen durch
Katastrophen und extremes Wetter verletzt und krank.
Es gibt Diskussionen über die Klimakrise. Es wird immer über die
gleichen Menschen berichtet. An behinderte Menschen wird nicht
gedacht. Vor allem nicht an diese: Die, die mehrere Unterdrückungen
erleben.
Ich lese über Klimaaktivismus. Schon immer haben Menschen etwas
dazu gesagt. Vor allem Schwarze und Indigene Menschen. Sie sind für
viele Menschen nicht so wichtig wie andere. Sie bekommen nicht so
viele Interviews. Sie werden aus Bildern herausgeschnitten. Sie werden
getötet. Viele Menschen haben vor der Klimakrise gewarnt.
Wer wird gehört?
Wer nicht?
Die Klimakrise wurde beschleunigt mit modernen Kriegen. Mit
dem gewalttätigen Betreten anderer Länder. Mit dem Stehlen von
Ressourcen. Mit der Jagd auf Tiere, bis sie aussterben. Mit dem
Verdrängen von Menschen aus ihrem Zuhause. Mit Kolonialismus. Mit
Kapitalismus. Mit der Nutzung fossiler Brennstoffe. All diese Dinge
waren Beschleuniger für die Klimakrise. Und sind es noch heute.
Ich wünsche mir diese Menschen im Mittelpunkt: Die, die am
schlimmsten betroffen sind von der Klimakrise. Aber andere Menschen
sind im Mittelpunkt. Sie sagen problematische Dinge. Zum Beispiel: Sie
wollen Plastikstrohhalme verbieten. Sie wollen nur noch öffentliche
Verkehrsmittel. Wir sollen alle Fahrrad fahren. Wir sollen alle etwas
tun. Wir seien schuld. Wir seien verantwortlich. Nicht die Unternehmen.
Nicht die Politik. Nicht die Kriege. Sie sagen das sogar zu den
Menschen, die behindert sind. Zu denen, die arm sind. Zu denen, die
trans sind und denen, die viel Rassismus erleben.
Natürlich kann jeder Mensch Verantwortung tragen. Für manche
Dinge. Kleine Schritte können etwas ändern. Aber: Ein Mensch trägt
nicht allein die Verantwortung. Zum Beispiel: Trans Menschen werden
oft getötet. Vor allem diese: Die, die viele Unterdrückungen erleben.
Niemand beschützt sie. Aber: Plastik verbieten ist wichtig. Es wird so
getan, als wären wir alle gleich. Wir haben gleiche Rechte. Wir sind
gleichgestellt. Aber: Das sind wir nicht. Die Klimakrise ist eine Gefahr
für alle. Für einige Menschen gibt es jedoch eine größere Gefahr:
Andere Menschen.
Viele öffentliche Verkehrsmittel sind nicht barrierefrei. Nichtbehinderte
Menschen werden fröhlich in ihren Zügen fahren. Wir behinderte
Menschen werden Autos fahren. Oder alleine Zuhause sein. Wir werden
nicht überall hinkommen. Es wird viele autofreie Zonen geben. Wir
werden viel Geld bezahlen für Autos und Sprit. Neun-Euro-Tickets
gelten nicht für uns. Wir werden so wie immer aus dem Leben
gedrängt.
Das Neun-Euro-Ticket sei gut. Es hat die Umwelt entlastet. Das
mag stimmen. Aber wie gesagt: Barrierefreiheit wird vergessen.
Und: Viele Menschen in Deutschland sind im Gefängnis, weil sie
ihre Fahrkarten nicht bezahlen konnten. Neun Euro Tickets gab es
nicht für sie. Im Gefängnis sind sie immer noch. Generell sind viele
behinderte Menschen im Gefängnis; und viele Menschen werden durch
Gefängnisse behindert.
Klimakrise bedeutet: Kampf um Ressourcen. Eine kontrollierte
Gesellschaft. Und viele Probleme. Meine Frage: Wird es mehr
Gefängnisse geben? Gefängnisse mit Solarstromanlagen?
Umweltfreundlich. In Gefängnissen müssen die Menschen hart
arbeiten. Sie bekommen keinen Mindestlohn. Genauso wie in den
Behindertenwerkstätten. Viele behinderte Menschen sind eingesperrt.
In Gebäuden. Zu Hause. Im Gefängnis. In Behindertenwerkstätten. Zu
Hause. Isolierte Seelen. In Körpern, die die Gesellschaft nicht will.
Wie gesagt: Plastikstrohhalme werden verboten. Aber:
Plastikstrohhalme sind wichtig für behinderte Menschen. Behinderten
Menschen wird nicht zugehört. Sie können nicht einfach andere
Strohhalme nehmen. Die rücksichtslosen Menschen verbieten Plastik
und helfen angeblich der Umwelt. Sie finden es gut, wenn behinderte
Menschen sterben. Sie denken: Behinderte Menschen sind eine
Belastung für die Umwelt.
Das machen sie nicht nur mit Strohhalmen. Sie sagen auch zum
Beispiel: Asthmaspray ist schlecht für die Umwelt. Medikamente
sind schlecht für die Umwelt. Und so weiter. Alles Dinge, die viele
behinderte Menschen brauchen.
Durch den Verzicht auf Plastikstrohhalme wird die Umwelt nicht
gerettet. Ich finde: Plastikstrohhalme für alle, die sie brauchen. Damit
sie leben können.
Viele Menschen wollen vom Thema ablenken. Von der Ursache der
Klimakrise. Von denen, die sie beschleunigen. Von den Menschen, die
schon lange etwas dazu sagen.
Das macht mir auch Sorgen: Die Blackouts. Blackout heißt: Es gibt
dann keinen Strom. Zum Beispiel wegen extremem Wetter und wegen
Energieknappheit. Das Netzwerk bricht zusammen. Für einige Stunden.
Oder auch Tage. Viele Geräte funktionieren dann nicht. Es gibt kein
Licht. Und Probleme mit der Versorgung von Menschen. Atemgeräte
gehen dann nicht. Und Sprachassistenzprogramme. Und viele andere
Hilfsmittel. Das ist gefährlich für behinderte Menschen.
Hilfsmittel sind schwer zu bekommen. Ich habe ein
Sprachassistenzprogramm. Aber nur auf dem Handy. Ein Gerät kann ich
mir nicht leisten. Bei einem Blackout wäre es traurig, wenn ich mein
Handy nicht benutzen könnte. Und wenn ich nicht schreiben könnte. Ich
schreibe online viel mit befreundeten Menschen.
Ich stelle mir vor: Eine umweltfreundliche Utopie. Keine Autos. Nur
Fahrräder. Ich kann nicht gut Fahrrad fahren. Ich bin oft zu langsam
für Fahrradfahrende. Ich laufe mit einem Gehstock. Menschen wollen
sportlich und fit sein. Ich laufe manchmal langsamer. Um sie zu ärgern.
In der Utopie stehe ich dann noch mehr im Weg. Aus Prinzip.
Ich stelle mir eine andere Utopie vor: Klimastadt. Frei von
Umweltsünden. Aber: die Grenzen sind zu. Kein Mensch willkommen.
Vor allem keine behinderten Menschen. Aus der Klimastadt selbst
und von außerhalb. Schlechte Karten für mich. Die Klimakrise macht
außerhalb der Klimastadt viele Menschen behindert. Sie sagen: Das ist
eine Belastung. Ozeane fließen in Flutwellen durch Kanäle, Regionen
und Länder. Außer durch die Klimastadt.
Wer verdient eine schöne Zukunft? Und wer nicht? Auf den Straßen:
nur sportliche und fitte Menschen. Geht es wirklich um Umwelt? Oder
um etwas anderes? Zum Beispiel: Corona haben wir schon vergessen.
Coronatote sind eine Statistik. Der Tod einer Monarchin eine Tragödie.
Utopie heißt: Straßen frei von Menschen, die belasten. Die hässlich
genannt werden, behindert und verrückt sind, behindert und verrückt
werden. Straßen voll mit Menschen, die produktiv und gewinnbringend
sind. Die intelligent, schön und umweltfreundlich genannt werden. Ihr
Glück heißt: Gleichheit, um jeden Preis. Auch, wenn er unbezahlbar ist.
Unser Glück heißt: „Ein Plastikstrohhalm, bitte.“ Und ihn bekommen.
İlyas Kılıç ist Berater für diskriminierungssensible Medien. Er arbeitet
bei dem Kollektiv DisCheck. Er hält Workshops über Ableismus. Er hat
Literatur, Soziologie und Politik studiert. Seine Interessen sind: Die
Darstellung von Behinderung in Medien. Und die Zusammenhänge von
Ableismus und Rassismus aufzeigen.
Weiterführende Informationen:
Was ist Behinderung?
Lewis, Talila A.: Working Definition of Ableism – January 2022 Update. URL: https://
www.talilalewis.com/blog/working-definition-of-ableism-january-2022-update
(Abrufdatum: 13.12.2022, 13:16 Uhr).
Ralph, Nim: Understanding Disability: Part 6 – The Radical Model. URL: https://www.
drakemusic.org/blog/nim-ralph/understanding-disability-part-6-the-radical-model/
(Abrufdatum: 13.12.2022, 13:14 Uhr).
Behinderung und Klimakrise
Die neue Norm: #24 Klimakrise. URL: https://dieneuenorm.de/podcast/klimakrise/
(Abrufdatum: 13.12.2022, 13:30 Uhr).
Disability & Philantrophy Forum: Connections Between Climate Change and Disability.
URL: https://disabilityphilanthropy.org/resource/connections-between-climate
change-and-disability/ (Abrufdatum: 13.12.2022, 13:20 Uhr)
Behinderung und Gefängnis
Bixby, Laurin, Stacey Bevan und Courtney Boen: The Links Between Disability,
Incarceration, and Social Exclusion. URL: https://www.healthaffairs.org/doi/10.1377/
hlthaff.2022.00495 (Abrufdatum: 13.12.2022, 14:36 Uhr).
Disability & Philantrophy Forum: Intersections Between Racism and Ableism. URL:
https://disabilityphilanthropy.org/resource/intersections-between-racism-and
ableism/ (Abrufdatum: 13.12.2022, 13:52 Uhr).
Marks, Melanie, Svea Eckert und Markus Grill: Ins Gefängnis für Fahren ohne Ticket.
URL: https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/armutsdelikte-geldstrafen-haft-101.
html (Abrufdatum: 13.12.2022, 14:16 Uhr).
Darum geht es: Behindertenbewegungen ab der 1960er Jahre,
Krüppelgruppen, sexualisierte Gewalt, Feminismus, Vorstellung
von Klima-Aktivist*innen, öffentlicher Nahverkehr
von Daniel Horneber
Wenn ich überlege, was mir zum Thema „behinderte Menschen in der
Klima- und Umweltbewegung“ einfällt, möchte ich erst einmal auf die
Behindertenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland eingehen.
Ende der 1960er Jahre kam es zur Gründung der ersten Gruppen der
Behindertenbewegung in der BRD. Die 1960er Jahre standen generell
im Zeichen der Neuen Sozialen Bewegungen. Dieser gesellschaftliche
Aufbruch, der mit dem Infragestellen von Machtverhältnissen in
vielen gesellschaftlichen Bereichen einherging, erreichte auch
junge behinderte Menschen. Behinderte Menschen realisierten, dass
nicht ihre jeweilige biologische Beeinträchtigung die Ursache von
Behinderung war, sondern die gesellschaftlichen Bedingungen.
Die Personen mit den radikalsten Positionen in der
Behindertenbewegung gründeten Ende der 1970er Jahre die
„Krüppelgruppen“. Bekannte Protagonist*innen sind Franz Christoph
(auf Seite 46), Horst Frehe und Swantje Köbsell (beide auf Seite 55).
Nichtbehinderte Menschen waren von der Mitgliedschaft ausge
schlossen. 1981 gründete sich die Aktionsgruppe gegen das von der
UNO organisierte „Jahr der Behinderten“. Die Aktionsgruppe hatte
das Ziel, die offiziellen Veranstaltungen für ihre Themen zu nutzen.
Unter dem Motto „Jedem Krüppel seinen Knüppel“ organisierte das
Aktionsbündnis die Störung der Eröffnungsveranstaltung, zu der in der
Dortmunder Westfalen·halle unter anderem eine Rede des damaligen
Bundespräsidenten Carl Carstens angekündigt war. Um dessen Rede zu
verhindern, ketteten sich einige Aktivist*innen auf der Bühne an, auf
der der Bundespräsident sprechen sollte.
eine Aktionsgruppe stört die Eröffnung vom UNO „Jahr der Behinderten“
ganz links steht Franz Christoph und schaut in die Kamera
Dortmund, Januar 1981
Das aus der Behindertenbewegung heraus organisierte
„Krüppeltribunal“, mit dem „Menschenrechtsverletzungen im
Sozialstaat“ zur Anklage gebracht wurden, bildete den Abschluss des
Jahres. Von großer Bedeutung ist auch die Bewegung behinderter
Frauen, die sich innerhalb der Behindertenbewegung früh
herausbildete, da die Behindertenbewegung keinen Raum für die
Themen bot, die sich aus dem Zusammentreffen von Behinderung
und weiblichem Geschlecht ergeben. Die Frauen brachten das „Tabu
im Tabu“, die sexualisierte Gewalt gegen behinderte Frauen, an die
Öffentlichkeit. Im Rahmen der aufkommenden feministischen Kritik
an den neuen Gen- und Reproduktionstechnologien, konfrontierten sie
die feministischen Kritikerinnen mit dem Zusammenhang von Eugenik,
humangenetischer Beratung und selektiver Abtreibung. Damit setzten
sie die oftmals kontrovers geführte Diskussion darüber in Gang, wie
politisch das Private in dieser Hinsicht ist.
Ab den frühen 1990er Jahren wurde der Kampf für rechtliche Gleich
stellung zum zentralen Thema. 2009 wurde die UN-Behindertenrechts
konvention in Deutschland ratifiziert.
Wenn ich jetzt den Bogen zur Umwelt- und Klimabewegung schlage,
muss ich unweigerlich an die zwei großartigen Aktivistinnen Greta
Thunberg (auf Seite 49) und Cécile Lecomte (auf Seite 67) denken.
Greta Thunberg löste mit ihrem Schulstreik für eine konsequente
Klimapolitik in Schweden die größte globale Protest·bewegung der
letzten Jahrzehnte aus. International formierte sich daraus die „Fridays
for Future - Bewegung“, welche dafür sorgte, dass Millionen von meist
jungen Menschen Freitag für Freitag auf die Straße gingen, um für
konsequente Klimapolitik zu streiken. Über ihren Autismus und was
dieser mit ihrem Aktivismus zu tun hat, sagte Greta Thunberg einmal
in einem Interview sinngemäß: Ihre „mangelnden“ Fähigkeiten im
„Socializing“ seien der entscheidende Grund dafür, anfangs allein
protestieren gegangen zu sein. „Wenn ich ‚normal‘ und gesellig
gewesen wäre, hätte ich mich einer Organisation angeschlossen oder
selbst eine gestartet.“
Bei Twitter beschreibt sich Greta Thunberg 2019 selbst als „16-jährige
Klima- und Umweltaktivistin mit Asperger“. Für Millionen, gerade junge
Menschen, ist die Schwedin zu einem Vorbild geworden.
Cécile Lecomte ist eine in Deutschland lebende, französische
Umweltaktivistin, die einen Rollstuhl nutzt. Die meisten ihrer Aktionen
haben mit Klettern zu tun, deshalb wird sie auch „Eichhörnchen”
genannt. Aufgrund ihrer Aktionen des zivilen Ungehorsams wurde
sie mehrfach von deutschen Gerichten verurteilt oder „vorsorglich“
in Gewahrsam genommen. Sie hält Vorträge und wirkt an der
internationalen Vernetzung sozialer Bewegungen mit.
Cécile Lecomte ist auf einen Rollstuhl angewiesen. 2007 begann sie
mit Baumbesetzungen bei Straßenbauprojekten und sie beteiligte
sich an Protesten gegen den Braunkohletagebau und gegen einen
Flughafenausbau. 2008 blockierte sie mehrere Stunden zwei
Uranmüllzüge. Es folgten Abseilaktionen gegen Castortransporte auf
Schienen oder dem Seeweg durch Blockaden.
Die Bahn und der restliche ÖPNV sind schon lange ein Punkt, der den
Widerstand behinderter Menschen hervorruft, weil sie auf dem Weg
zu einer Verkehrswende nicht mitgedacht werden. Der Einstieg in die
Fernzüge der DB ist auch im Jahr 2022 noch nicht ohne fremde Hilfe
möglich und die sogenannte Mobilitätshilfe muss 24 Stunden vorher
angemeldet werden. In den Zügen gibt es darüber hinaus zu wenig
Stellplätze für Rollstühle und Kinderwägen. Um gegen diese Benachtei
ligung und für eine inklusive Verkehrswende zu demonstrieren,
blockierten mehrere behinderte Aktivist*innen im August 2022 die
Bahnhöfe Köln Deutz und Frankfurt am Main mit Abseilaktionen (auf
Seite 52), bei denen auch Rollstuhlnutzer*innen dabei waren, natürlich
auch Cécile Lecomte.
Ein weiteres Ärgernis für behinderte Menschen sind E-Scooter. Meines
Erachtens, verdeutlichen diese Fahrzeuge, dass die Verkehrswende
nicht inklusiv gedacht wird. Mehr als 54.000 E-Scooter gibt es alleine
in Berlin zu mieten. Die Nutzer*innen der E-Scooter stellen diese
häufig mitten auf den Gehwegen ab. E-Scooter sind nicht nur für blinde
und sehbehinderte Menschen ein gefährliches Hindernis und ein
erhebliches Unfallrisiko, sie sind auch für Rollstuhlnutzer*innen, Eltern
mit Kinderwagen und ältere Menschen mehr als ein Ärgernis. E-Roller
sollten nicht an jeder beliebigen Stelle des Gehwegs einfach abgestellt
werden können, sondern nur auf entsprechend ausgewiesenen und
abgegrenzten Abstellflächen. Diese müssen dann kontrastreich markiert
und mit einem Blindenstock ertastbar sein.
Daniel Horneber wurde mit Spina bifida und Hydrocephalus geboren.
Er ist Erzieher und freier Speaker zu den Themen Behinderung,
Beeinträchtigung und Inklusion. Er ist eine behinderte, weiße,
männliche, cis, hetero Person (behinderter Mensch, nicht Mensch mit
Behinderung).
Vanessa Nakate, Malala Yousafzai und
Greta Thunberg während einer Fridays for Future-Demonstration
Stockholm, August 2022
Darum geht es: Bildungssystem, Auswahl der Ausbildung,
Zugang zu Informationen, Barrieren in Bus und Bahn,
Lützerath, Braunkohle
von Magdalena Dittrich
Ich heiße Magdalena. Ich bin bei Fridays for Future, Klimarechts
aktivistin und bin von Ableismus betroffen. Ableismus bedeutet, dass
ein Mensch auf Grund von Behinderung abgewertet wird von der
Gesellschaft. Ich war auf einer Förderschule, das war nie mein Wunsch,
aber die Regierung tut nicht genügend Geld in das Bildungssystem,
sodass das Recht auf inklusive Bildung verwehrt wird.
Ich habe jetzt die Schule absolviert und bemerke allerdings auch
jetzt noch Ableismus: Mir werden zum Beispiel immer Berufe im
handwerklichen Bereich angeboten, obwohl ich lieber was Soziales
machen möchte. Ich glaube es liegt daran, dass Menschen, die nicht
behindert werden, denken, Menschen mit Behinderung könnten selber
nicht Unterstützung geben, weil sie ja selber Unterstützung brauchen.
Ein anderes Beispiel ist, dass mir das Arbeitsamt die Finanzierung für
ein Berufsorientierungsjahr im künstlerischen Bereich verwehrt hat. Ich
muss immer dafür kämpfen, damit sich etwas ändert und damit ich mit
mir selbst glücklicher bin.
Der Klimawandel macht viele diskriminierende Strukturen noch
spürbarer. Behinderte Menschen kommen schwer an barrierefreie
Nachrichten, viele regionale Sendungen werden oft nicht in
Gebärdensprache gedolmetscht und Sondersendungen auch nicht.
Somit werden Menschen mit Behinderung oft nicht gewarnt
vor Unwetterereignissen. Somit steigt das Risiko umso mehr, an
Unwetterereignissen zu sterben, wenn Personen von einer Behinderung
betroffen sind.
Ein weiteres Beispiel für Ableismus im Zusammenhang mit der
Klimakatastrophe ist, dass in den Klimaberichten wenig über die
Benachteiligung behinderter Menschen steht. Es muss viel mehr
darüber geredet werden. Für Menschen, die eine Behinderung haben ist
es zudem schwierig von a nach b zu kommen. Die alte Regierung hat
sich damals das Ziel gesetzt, dass der ÖPNV barrierefrei sein muss bis
zum 1. Januar 2022, aber es folgte nicht die genügende Handlung. Mit
den momentanen Regelungen müssen Kommunen bei Ausnahmen die
Barrierefreiheit nicht umsetzen. Von diesen Ausnahmen gab es einfach
zu viele. Daran wird klar, dass Menschen mit Behinderung nicht als
Menschen angesehen werden, die einfach alltägliche Sachen machen
wollen, zum Beispiel zu Ärzt*innen gehen oder zu Freund*innen fahren.
Stellt euch vor, wie es für euch wäre, eine Behinderung zu haben und
nicht als vollständige Menschen angesehen zu werden.
Die neue Bundesregierung will Barrierefreiheit umsetzen, ohne
Ausnahmen bis zum Jahr 2026. Wir Menschen mit Behinderung
werden dies scharf beobachten. Wir Menschen mit Behinderung
werden abgesondert von der Gesellschaft. Wir fordern, dass die
Kommunen vorlegen, ab wann sie die Bahnhöfe barrierefrei gestalten
werden. Zugreisen müssen lange im Voraus geplant werden, Aufzüge
funktionieren oft nicht, und wenn eine Person zum Beispiel gehörlos
ist und stecken bleibt, kann sie sich nicht gut verständigen, da
kann natürlich leichter Panik aufkommen. Daran wird sichtbar, dass
Menschen ohne Behinderung bis heute nicht daran denken, dass es
uns gibt, weil keine richtige Inklusion gelebt wurde und bis heute
auch nicht richtig gelebt wird. Es muss durchgesagt werden, wann
welche Bahn kommt, für Menschen die Blind sind oder kognitive
Einschränkungen haben und es muss viel mehr ebenerdiger gebaut
werden.
Für die Klimagerechtigkeit fordere ich außerdem ein, dass Lützerath
bleibt. Lützerath ist ein Dorf, das abgebaggert werden soll durch den
Kohlekonzern RWE. Viele Menschen haben ihr Zuhause verloren und
der letzte Bauer musste seinen Hof verlassen. Oft bekommen dann
Bäuer*innen neues Land, aber bekommen von dem Land nicht so viel
Ertrag. Unter Lützerath sind 650 Millionen Tonnen Braunkohle, wenn
die abgebaggert werden, gehen 650 Millionen Tonnen CO2 in die Luft
und wir knacken die 1,5 Grad Grenze. Hier in Deutschland hätte das
extreme Folgen für Mensch und Tier. 271 Millionen Tonnen Braunkohle
werden bis zum Ende der Kohleverstromung in NRW gebraucht. 300
Millionen Tonnen Braunkohle sind in den Bereichen Hambacher und
Garzweiler II genehmigt, somit ist Lützerath nicht notwendig für die
Energieversorgung. Lützi soll im Januar geräumt werden. Ich erwarte,
dass Profit nicht über Menschenleben gestellt wird. Wir werden mehr
Pandemien bekommen und mehr Extremwetterereignisse.
Also kämpft gegen Ableismus und kämpft gegen die Klimakatastrophe,
damit Vielfalt normal wird und wir in einer gerechteren Gegenwart
leben können.
Magdalena ist Mitglied bei fridays for Future Gelsenkirchen. Sie
hat eine Behinderung und hat auf Grund dieser Behinderung
Diskriminierung erfahren. Magdalena will anderen Mut machen, die
auch von Diskriminierung betroffen sind. Sie interessiert sich für
Geschichte, Abelismus, Feminismus und Klimawandel. Außerdem sind
Musik und zeichnen ein großer Bestandteil ihres Lebens.
Quellen:
BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen (2022). Kohleausstieg 2030. https://www.
bund-nrw.de/themen/braunkohle/
Fridays for Future Münster (2022). Radio for Future. https://www.nrwision.de/
mediathek/sendungen/radio-for-future/
Lützerath Lebt! (Instagram Account) (2022). https://www.instagram.com/
luetzibleibt/?hl=de
Menschen, Medien und Inklusion e.V., München (2022). ROLLINGPLANET. https://
rollingplanet.de/
Schöne, Andrea (2021). Inklusion in Zeiten der Klimakrise. Die Neue Norm SOZIALHELDEN e.V. https://dieneuenorm.de/gesellschaft/inklusion-in-zeiten-der
klimakrise/
Die Gruppe Fight Ableism protestiert am Bahnhof
Frankfurt West für eine barrierefreie Bahn
Frankfurt am Main, August 2022
Darum geht es: Demonstration, Klimastreik,
Disriminierungserfahrung, Barrieren im Klima-Aktivismus,
Flutkatastrophe, Barrieren und Anbindung mit Bus und Bahn
ein Erfahrungsbericht von Ju
„Kinder, rennt nicht so, ich komme nicht so schnell hinterher“, rufe ich
und versuche mit dem Rollstuhl durch eine Gruppe von Menschen zu
kommen. Meine Kinder sind ein paar Schritte weiter und halten ihre
Plakate nach oben. Darauf steht: „Es ist auch unsere Welt“ und eine
Erde ist darauf gemalt und ein weinender Clown. Sie warten auf mich
und wir gehen zusammen weiter. Schon von Weitem höre ich eine
Trommel schlagen. Gespannt auf das, was uns erwartet, gehen und
fahren wir um die Ecke und sind nun mittendrin im Klimastreik, in
einer Stadt in Baden-Württemberg. Es ist voll, aber nicht überfüllt. Es
wird gesungen und eine Rede vorgetragen. Ich rede mit den Kindern
darüber, was da genau gesagt wird und wir brechen es für uns herunter.
Wie so oft geht es um die Fragen: Was können wir einzelnen, wir als
Familie, tun und gleichzeitig, was können wir alle tun. Warum ist es
wichtig, sich für Klimaschutz einzusetzen?
Wie aus dem Nichts werde ich angesprochen, was ich eigentlich hier
will. Mit einem Elektrorollstuhl, wo es doch auch welche ohne Strom
gäbe. Und überhaupt würden Menschen wie ich, durch ihre ganzen
Tabletten und Einmalspritzen, Medikamente und Verbandszeug, so viel
Müll produzieren, dass ich hier gar nichts zu suchen hätte.
Ich schlucke. Ich nehme meine Kinder auf die Seite und in den Arm. Ich
schlucke erneut. Suche nach Worten. Diese kreisen in meinem Kopf und
ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen steigen. Mir wird ganz heiß.
Ich kann kaum sprechen.
Ich weiß tatsächlich nicht, was ich sagen soll. In meinem Kopf
überschlagen sich meine Gedanken. Soll ich mich rechtfertigen? Muss
ich das vielleicht sogar? Für mich und allen anderen gegenüber? Ich
kann nicht und habe ein schlechtes Gewissen. Uns allen gegenüber,
die auf sterile Verpackungen angewiesen sind. Auf Medikamente oder
Beatmungsschläuche.
Ja, hier wird viel Müll produziert und einiges ließe sich wahrscheinlich
vermeiden. Aber wir Menschen mit Behinderungen oder chronischen
Krankheiten können da nichts dafür. Und ändern können wir es auch
nicht. Was wir zum (über-)leben brauchen, brauchen wir nun mal. Wir
verpacken es nicht und wir haben so oft keine Wahl. All das erkläre
ich danach meinen Kindern, die völlig schockiert neben mir stehen.
Und den Menschen um uns herum. Von denen niemand etwas sagt.
Die Klimakrise ist real. Sie bedroht unsere Welt und unser Leben. Doch
dass wir auch im Bereich Klimaschutz Ableismus, Anfeindungen und
Diskriminierungen ausgesetzt sind, ist ein schlechtes Zeichen.
Es zeigt, wie wir immer noch (be)hindert und ausgegrenzt werden. Hier
brauchen wir Verbündete und Menschen, die sich im Klimaschutz auch
für uns und mit uns einsetzen und Behinderungen mitdenken.
Sich hier selbst aktiv mit einzubringen, ist gar nicht so einfach. Denn
zum einen sind die Strukturen oft nicht zugänglich, zum Beispiel für
Rollstuhlfahrer*innen, zum anderen gibt es keine Übersetzungen in
Gebärdensprache. Hier werden Dolmetscher*innen allzu oft immer
noch nicht bezahlt, obwohl ehrenamtliches Engagement ein Teil der
sozialen Teilhabe ist. Das Thema kann auch sehr triggern, zum Beispiel
wenn es darum geht, dass bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021
Menschen mit Behinderungen in einem Wohnheim gestorben sind,
weil sie nicht rechtzeitig evakuiert wurden. Ein weiterer Punkt ist die
barrierefreie Anbindung oder Zugänglichkeit. Denn ich habe weder
eine Busverbindung zu den Treffen der Klimaschützer*innen in der
Umgebung, noch sind die Räume für mich erreichbar.
Genau aus diesem Grund steige ich am Ende des Tages nach dem
Klimastreik mit meinen Kindern ins Auto und lasse mich von meinem
Mann nach Hause fahren. Er hatte dazwischen noch einen Termin und
kann gar nicht so recht glauben, was wir ihm erzählen. Und doch – das
Klima geht uns alle an. Wenn jeder Mensch etwas tut, dann können
wir alle etwas verändern und ein kleines Stück bewegen. Ich habe die
Hoffnung, dass wir auf diesem Weg auch endlich an die Strukturen
kommen und auch Großkonzerne dazu verpflichten, sich hier besser
einzusetzen. So können wir etwas verändern. Für uns. Und für unsere
Kinder. Für alle Menschen auf dieser Welt. Gerade für die Menschen,
die bereits jetzt den Klimawandel in ihrem Alltag spüren. Miteinander
und nicht gegeneinander. Das sind die Worte, die ich im Auto zu meiner
Familie sage, während ich zum Krankenhaus rüber schaue und an
Einzelverpackungen denke. Gleichzeitig denke ich aber auch daran,
dass der Bus für diese Strecke nur alle 2 Stunden fährt.
Ju ist eine Frau mit chronischer Krankheit und Behinderung. Sie ist
Pädagogin und Mutter von zwei Kindern. Im Internet schreibt sie
über Elternschaft und Behinderung sowie über das normale, trubelige
Familienleben für mehr Sichtbarkeit und Vielfältigkeit.
Swantje Köbsell (2. von links), Horst Frehe (3. von links)
und andere Aktivist*innen der Bremer Krüppelgruppe treten für
einen unbeschränkten Fahrdienst in den Hungerstreik
Bremen, Februar 1981
Darum geht es: Musikfestivals, Musik hören, Tanzen, Vorurteile
über taube Menschen, Antworten auf häufige Fragen
von Inna
Hey ihr lieben Lesenden,
in der Überschrift habt ihr es ja schon gelesen: Die Tauben auf
Musikfestivals… „Hää, wie?” denkt ihr bestimmt. Wartet… Ich stelle mich
erst einmal kurz vor:
Mein Name ist Inna Shparber und ich bin seit Geburt taub. Auch meine
Familie ist taub. Ich bin in Bayern aufgewachsen, aber meine Mentalität
passt ehrlich gesagt ganz gut zu Berlin. Daher wohne ich jetzt auch
hier: Check - Traum erfüllt!
2016 habe ich angefangen zu studieren, tauchte damit zum ersten Mal
in einen komplett hörenden 21 Alltag ein und war dementsprechend
mit einer ganz neuen Situation konfrontiert. Derzeit mache ich
einen Master im Studiengang „Soziale Arbeit - Kritische Diversity
und Community Studies” an der Alice Salomon Hochschule. Soviel
zu mir und nun komme ich zu meiner Leidenschaft für Musik. Kurze
Anmerkung vorab: Alles, was ich hier schreibe, bezieht sich auf meine
ganz persönliche Lebenserfahrung.
Also: Zu Weihnachten und zum Geburtstag habe ich von meinen Eltern
öfter eine Musikbox geschenkt bekommen. Mein Vater hat mir sogar
einmal an einem ganz normalen Tag eine riesige Musikbox geschenkt.
Deswegen höre ich sehr gerne Musik. Ich liebe Musik, das ist mein
Ding.
Innerhalb der tauben Communitys gibt es viele Leute, die gerne auf
verschiedenste Musikfestivals gehen - so auch ich. Vor allem liebe ich
Goa-Festivals. Passt auf: Auf Festivals mische ich mich jedoch gerne
unter die hörenden Welten. Auch wenn ich oft mit tauben Freund*innen
unterwegs bin, bin ich gerne in der hörenden Welt.
Ihr denkt jetzt bestimmt: „Wie bitte? Taube Menschen gehen auf
Festivals und hören Musik? Hä, wie ist das möglich?“
Bevor ich euch mehr dazu erzähle, habe ich ein paar Tipps für hörende
Menschen:
1. Begriffe:
Sagt nicht: taubstumm
Sagt lieber: taub, hörbeeinträchtigt, hörgeschädigt.
Fragt einfach, welche Wörter die jeweilige Person bevorzugt
und für sich verwendet.
2. Es ist außerdem sehr wichtig im Kopf zu behalten, dass jede Person
einen sehr unterschiedlichen Hörstatus hat, schwerhörig, leicht
schwerhörig, mittelgradig schwerhörig, resthörig oder taub.
3. „Taube Menschen sind alle gleich”, das denken bestimmt viele!
Nein, wir taube Menschen haben super viele verschiedene
Communities, Interessen und Vorlieben. Wir sind nicht nur taub.
Zum Beispiel gibt es:
• taube queere Menschen
• taube People of Colour und taube Schwarze Menschen
• taube geflüchtete Menschen
• etc.
Wir sind also genauso wie ihr Hörenden!
So, jetzt nochmal zurück, ihr fragt euch sicherlich noch: Wie können
taube Menschen Musik überhaupt hören?
Eine typische Situation:
Wir befinden uns auf einer Tanzfläche bei einem Festival, wo laute
Musik die Boxen durchbohrt. Dort tanze ich wie ihr, die Hörenden. Wenn
ihr mich ansprechen wollt, schreit ihr, damit ich euch höre. Ich zeige
euch mit einer Gestik: “Ich bin taub!” Hörende Festivalbesucher*innen
denken dann oft: „Aaaah es ist wegen der lauten Musik, deshalb
hört sie nichts mehr”. Sie kommen dann nääääher an mein Ohr und
sprechen weiter. Jetzt muss ich ein Signal geben: Ich fange an mit
meinen Händen zu gebärden. Dann fallen ihnen fast die Augen aus dem
Gesicht!
Nein, liebe Leute, ich habe nicht die ganze Nacht durchgefeiert und
höre deswegen nichts mehr. Ich bin taub!
Dann wundern sie sich, wie wir tanzen können.
Es ist witzig, die Gesichter nach meiner Antwort zu beobachten.
Die hörenden Leute sind oft richtig baff. Aber natürlich gibt es
auch hörende Menschen, die sofort wissen, was ich meine und
anfangen auf ihrem Handy zu schreiben oder mit Gestik und Mimik zu
kommunizieren.
Ob ihr es glaubt oder nicht: Wir hören Musik durch den Bass. Schon
lange wollte ich über dieses Thema mal einen Artikel schreiben, weil
es sehr oft vorkommt, dass wir zum Beispiel auf der Tanzfläche tanzen
und die „hörenden” Leute verwundert sind, wie wir tanzen können,
wenn wir doch nicht „hören” können.
Hier ein kurzer Crashkurs und Antworten zu den häufig überraschten
Reaktionen und Fragen von hörenden Menschen:
1. „Hä? Bist du wirklich taub?“
„Jaaaa, bin ich. Bist du hörend?“
2. „Wie spürst du die Musik?“
„Probier doch mal aus, deine Musikbox auf deine Brust zu legen.
Merkst du, wie das was mit deinem Körper macht?
Wie er anfängt zu vibrieren? Und probier das:
Lege deine Hände dabei gekreuzt auf deine Brust.“
3. „Oh, wow. Ich muss weinen, so habe ich das in meinem Leben noch
nie gesehen.“
„Ich weiß, ich weine auch.“
4. „Wie tanzt du denn?“
„Ich tanze wie du.“
5. „Kannst du Lippen ablesen?“
„Die Rückfrage ist: kannst du gebärden?“
Und so geht Musik hören ;) Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung:
Musik laut aufdrehen, dann macht es richtig Spaß. Zum Beispiel durch
Verstärkung des Beats durch Holzboden oder Trommeln. Und vieeeele
Musikboxen. Je mehr, desto besser für alle.
Ich komme zum Schluss. Es ist schön zu merken, dass sich immer
mehr Menschen mit der tauben Community auseinandersetzen. Wie
jetzt wahrscheinlich auch du, wenn du hörend bist und diesen Artikel
liest. Ich merke zum Beispiel, dass immer mehr hörende Menschen ein
bisschen Gebärdensprache können und Wörter wie ‘Hallo’ und ‘Danke!’
gebärden können. Das ist toll!
Also falls du ein paar Wörter auf Gebärdensprache kannst, sei mutig
und zeig was du kannst. Das ist toll und so kommen wir ins Gespräch. :)
Ich hoffe, du konntest schön in die Welt der tauben Communities
eintauchen.
Vielleicht sehen wir uns ja mal bei einem Festival. Wenn du mal auf
Festivals oder auch sonst im Leben taube Menschen siehst, trau dich
und sag einfach Hallo!
Inna studiert im Master Kritische Diversity und Community Studies und
arbeitet derzeit an der Hochschule Magdeburg - Stendal als Gebärden
sprachdozentin im Studiengang der Gebärdensprachdolmetscher*innen.
Sie liebt Sarkasmus und guten Humor. Inna hat einen Migrations
hintergrund und findet das ziemlich toll! In der Freizeit macht sie auch
manchmal Sport, wie Joggen und Schwimmen und natürlich Tanzen.
Der Bunte Finger besetzt Kohleschienen
bei einer Ende Gelände Aktion
Lausitz, November 2019
Darum geht es: Barrieren auf Klimacamps, Rollstuhl,
Teilnehmen als Rollstuhl-Fahrer*in, sichtbare und unsichtbare
Behinderung, Schmerzen, Ausschluss
von David*
Der Text spiegelt zu einem Zeitpunkt die Erfahrung einer Person
wieder, die manchmal auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Andere
Menschen werden anders be_hindert und erfahren ähnliche Situationen
vermutlich anders.
Über die Anstrengung, im Rollstuhl zu sein, und die Beschränkungen,
ohne Rollstuhl zu sein:
Warum ich nicht mehr auf Klimacamps gehe...
Weil es so verdammt anstrengend ist.
Weil das Fordern überfordert.
Weil es nicht barrierearm ist. Weite Wege, Rollstuhl-anstrengende
Flächen.
Gehen kann ich nicht genug. Arme sind zu schwach, über buckeligen
Rasen zu schieben.
Ich
kann nicht teil-nehmen.
Und ich kann es nicht mehr hören. Das „Dies kannst du so“
und „Das kannst du so“ machen.
Teil-nehmen, heißt nicht, dass mein Körper da sein kann,
(abhängig von fremder Hilfe und wohlwollenden Personen)
teil-nehmen heißt,
teil-sein,
von sozialen Aktivitäten!
Was passiert?
Aus-geschlossen-sein,
wenn alle,
sich bewegen,
durch den Raum gehen sollen.
Wieso,
bin ich,
nicht alle?
Ich kann nicht stehen bleiben
mit Leuten kurz sprechen.
Spielen oder Vernetzen.
Ich muss mich hinsetzen.
Oder ich sitze in meinem Rollstuhl.
Ja, mein Rollstuhl hilft mir oft
viel weiter, wie ein Freund.
Aber sitzen? Nein: Rollstuhl fahren!
Doch die Arme
sind zu schwach,
weit zu fahren. Wieder Schmerzen.
Rollstuhl fahren heißt,
mit kleinen Menschen und Kindern, auf Augenhöhe sein.
Zu großen Menschen,
hochgucken zu müssen.
Anderen Menschen
die Angst nehmen zu müssen,
in Kontakt zu gehen, dass ich im Rollstuhl sitze.
Erklären müssen,
dass
und warum
ich Rollstuhl fahre
und auch laufen
kann.
Zwischen den Welten
einer nicht-sichtbaren Behinderung
ohne Rollstuhl,
und einer stigmatisierten Behinderung
mit Rollstuhl.
Warum können mir Menschen
auf Klimacamps
nicht als Mensch begegnen, wenn ich Rollstuhl fahre?
Wieso die Scheu?
Warum siehst du nur
den Rollstuhl,
nicht aber mich?
Und warum
muss ich
die Arbeit leisten,
deine Scheu
und Angst abzubauen?
Weil es für mich leichter ist,
mit Menschen
ohne Rollstuhl zu reden,
bleibe ich,
allein zurück.
Oder viele Menschen sprechen mich an, denn
es ist ja wichtig, den Rollstuhl anzusprechen, das habe ich gelernt, um
nicht diskriminierend zu sein!
Doch
der Rollstuhl, braucht
deine Fürsorge nicht,
aber der Mensch
mit Rollstuhl,
will wieder Menschsein
erleben
dürfen.
David ist 27 Jahre alt und weiß. Er*sie hat 25 Jahre ohne Behinderung
gelebt. Seit 2 Jahren ist mensch eingeschränkt im Gehen und Stehen
und braucht manchmal einen Rollstuhl. Sie*er interessiert sich für
männliche Sozialisationen, Veränderungsprozesse und Anti-Rassismus.
Mensch mag gerne die Natur und Sonnenuntergänge.
Leah Lakshmi Piepzna-Samarasinha liest aus deren Buch
„Care Work - Dreaming Disability Justice“
Michigan, Februar 2019
Darum geht es: Masking, Anpassung an gesellschaftliche
Normalitäten, enge Hosen, Neurodivergenz
von Fae Vorbrüggen
Masking ist wie Hosen.
Wie die Hose, die ich vor zehn Jahren gekauft habe. Weil sie cool war
und weil meine Größe aufgedruckt war. Weil meine Freund*innen mir
zu ihr geraten haben.
Morgens vor der Schule stand ich verzweifelt vor dem Spiegel, in einer
Hose, die cool war.
Einer Hose, die so eng war, dass meine Beine kribbelten.
Einer Hose, die so drückenden Stoff hatte, dass meine Haut seltsame
Röllchen unter dem Stoff bildete.
Einer Hose, die so tief auf den Hüften saß, dass ich in ihr stehen, aber
nicht sitzen konnte, nicht ohne dass sie sich selbst auszog.
In die mein Körper nicht passte.
Also träumte ich nachts davon, als ein anderer Mensch aufzuwachen.
Als ein Mensch, dem enge Hosen mit niedrigem Bund passten.
Ich hielt beim Anziehen der Hose die Luft an.
Ich spannte an, was ich anspannen konnte.
Ich setzte mich den ganzen Tag nicht hin.
Wenn ich müde wurde, lehnte ich mich einfach verkrampft lässig an die
Wand.
Als andere Menschen in coolen Hosen vorbeikamen, hielt ich die Luft
an und sah mit ihnen cool aus.
Keine Sekunde dachte ich nicht an meine coole Hose.
Fast schon unnatürlich lag die sie wie einer zweite Haut über meiner.
Klebte an mir, wie ein nasses T-Shirt im Regen.
Sie ließ meine Muskeln verkrampfen und kaum Raum zum Atmen.
Als ich alleine zu Hause genug cool für den Tag gewesen war, schälte
ich mich aus dem Jeans-Elasthan und starrte auf die roten Abdrücke,
die die Nähte und der Bund tief in meine Haut gemalt hatten.
Ich zog eine bequeme, weite Hose an. Zwei Größen zu groß.
In meiner anderen, weiten, Hose erkannte ich mich im Spiegel nicht.
„Wer bin ich, ohne meine coole Hose?“
Und
wer wäre ich geworden, wenn ich sie nie angezogen hätte?
Wenn ich nie den Eindruck gehabt hätte mich hineinquetschen zu
müssen?
Fae Vorbrüggen ist Mitglied im Bundesvorstand der BUNDjugend,
Aktivisti und Content-Creator unter dem Namen das elfenaktivisti.
Wesen beschäftigt sich viel mit den Themen psychischer Gesundheit,
intersektionalem Anarchismus und Klimagerechtigkeit. Richtig lebendig
fühlt sich Elfe beim auf Demos, beim Tanzen und beim kreativen
Schaffen. Wesen positioniert sich als weiß, akademisch, trans*, queer,
neurodivergent und Trauma erfahren.
Erklärungen:
Masking ist ein Begriff aus der Psychologie. Er beschreibt, wie neurodivergente
Menschen ihr Verhalten bewusst und unbewusst regulieren, um der Gesellschaft zu
entsprechen. So wird zum Beispiel „stimming“ oder auch Hyperaktivität unterdrückt
oder versteckt. Dies kann zum „neurodivergent burnout“ führen.
Neurodivergente Menschen = Menschen mit Legasthenie , Dyskalkulie, ADHS,
Autismus, Epilepsie oder mit anderen Formen von Abweichungen in Gehirn und
Reizverarbeitung gegenüber einer festgelegten Norm. Wird oft mit „neurodivers“ auch
als politischer Begriff genutzt um jene künstliche Norm sichtbar zu machen. Und die
Selbstbestimmtheit von neurodivergenten Menschen zu fördern und die Gesellschaft
mehr an die verschiedenen Bedürfnisse anzupassen.
Darum geht es: Normalität, Ausbeutung Leistungsgesellschaft,
Anspielungen auf psychische Krankheit, Pränataldiagnostik,
Suizid
von Jacob
Wir leben so gut wie noch nie
Nichts ist so aggressiv wie Normalität
Sie schreit uns an, alles sei optimiert
Bis wir glauben, wir seien das Problem
Wenn wir atmen wollen
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weiter
Als dürfte es normal sein, dass alles brennt
Unsere Köpfe recycelbar wie der tote Wald
Als dürfte es normal sein, dass alles arbeitet
Unsere Körper grenzenlos wie der Tagebau
Es geht dir nicht ganz so super?
Gefühle und Gedanken wie Schlagzeilen
Unverkennbar und doch verkannt
Die Leugnung tut mehr weh als das Feuer selbst
Je schlimmer es ist, desto besser sehen wir weg
Wir können alles (für den Markt) reparieren
Lebenswert, wenn du leistest
Also sei bloß kein männliches Küken
Du kannst immer was dafür
Wenn du dich nicht umtauschst
Und sonst, fake it till you make it
Normal sagt, wir sind alle kaputt
Also sprechen wir nicht über die Dürre in uns
Spannen weiße Tücher über Gletscherspalten
Füreinander sind wir kein Ökosystem
Grenze? Sei stark, geh drüber
Der nächste Schritt geht über den Rand
Fortschritt kann nur schubsen, nicht auffangen
Normal, nimm mal wahr
Es gibt noch Lebewesen
Jacob (er/they) ist weiß, trans, akademisch geprägt und Trauma
erfahren. Er macht politische Bildungsarbeit und beschäftigt sich
viel mit Safer Spaces, psychischer Krankheit und transformativer
Gerechtigkeit. Abends schreibt und bastelt Jacob gerne, wenn er nicht
gerade mit Freund*innen isst oder Kinder ins Bett bringt.
Cécile Lecomte protestiert
gegen ihre Gerichtsverhandlung
Würzburg, April 2010
von Cila Yakecã, Tinte auf Papier, 2019
Caipora, dargestellt als ältere Frau, trägt in ihrem Catitu ein weiteres
Waisenkind des Amazonas, verbrannt und abgeholzt durch die Gier der
Agrar- und Holzindustrie. Wie lange dauert es, bis eine Seele in ihren
Körper zurückkehrt, nachdem ihre Wurzeln aus ihrem heiligen Boden
gerissen wurden? Wie lange dauert es, bis wir das vergossene grüne
und rote Blut unserer Vorfahren vergessen?
Cila (keine Pronomen, they/them, ey/em) ist ein*e Schwarze Indigene
multidisziplinäre Künstler*in, Heiler*in, Geschichtenerzähler*in,
Aktivist*in und Moderator*in. Cila ist Queer, Trans nicht-binär und
neuro-atypisch. They genießt es Musik zu machen, zu lesen und zu
rätseln. IG: @bitchwitchcraft
Darum geht es: Riechen und Fühlen, Müll,
Umweltverschmutzung, Notwendigkeit zu Handeln
von Til Apfel
Ich bin Taubblind.
Taubblind zu sein ist ein Segen. Ich höre nichts, ich sehe wenig von der
Welt.
Ich bin von allem Lärm und allen Katastrophen verschont? Von wegen!
Blinde Menschen haben eine Superkraft im Hören. Taube Menschen
haben eine Superkraft im Sehen.
Und Taubblinde Menschen? Welche Superkraft haben sie? Gehör, nein!
Sehen, nein!
Riechen und Fühlen!
Richtig geraten!
Taubblinde Menschen haben eine Superkraft im Riechen und Fühlen!
Sie haben einen Geruchssinn in Dezimalstellen.
Ich habe einmal gerochen, was die Leute am Imbissstand gerade
gegessen haben. Parfüms? Ich kann sie aus der Distanz unterscheiden.
Und Müll? Eine Hölle!
Die Leute wissen nicht einmal mehr, was sie vor 15 Minuten
weggeworfen haben. Alles, was unbrauchbar ist, kommt in den
Mülleimer.
Natürlich, das ist doch selbstverständlich. Ich mache das auch.
Der einzige Haken ist: Was sie wegwerfen!
Alles, was weg ist, wird zu einem Mischgeruch. Ein neuer Horrorgeruch!
Der schlimmste Geruch sind Feuchtigkeitstücher.
Je länger sie im Müll verrotten, desto mehr peinigen sie meine Nase
und die Nerven in meinem Gehirn.
Nicht nur die Tücher. Auch Zigaretten auf der Straße. Süßigkeiten in
den Zügen. Zeitungen am Kiosk.
Ich bewundere immer wieder, wie sich die Menschen locker verhalten
können. Sie atmen diesen Geruch ein, was auch immer da drin ist.
Nicht nur die Gegenstände, auch die Umwelt ist eine Katastrophe.
Die geteerte Straße. Das verdünnte Getreide. Der saure Regen.
Wir glauben, dass wir uns dadurch leichter machen. Aber: wir irren uns!
Wenn wir die Straßen zu effektiven Transportmitteln machen, verlieren
wir auch die pflanzlichen Düfte um uns herum.
Die Düfte der Natur. Wälder, Moos, Pilze, ...
Sie bewirken wahre Wunder für unsere geistige Gesundheit. Sie
beruhigen uns. Sie heilen unseren Geist. Sie entgiften uns.
Und trotzdem zerstören wir sie - um es uns bequemer zu machen.
Bequemer leben, aber zur Psychotherapie gehen ist notwendig.
Bequemer essen, aber zum Arzt gehen ist notwendig. Bequemer
schlafen, aber in den Urlaub zu fahren ist notwendig.
Wir erlauben uns selbst weiterzumachen, und wir profitieren nur
minimal davon. Es gibt wissenschaftliche Handlungsoptionen dafür, wie
wir die Umwelt schützen können.
Aber viele haben Angst vor ihrer eigenen Veränderung.
Sollen sich doch andere darum kümmern.
Ohne Verantwortung zu übernehmen? Wir sind eine Katastrophe.
Die Menschenrechtaktivist*innen wagen es sogar, ihr Leben zu opfern.
Nur wir, die Zivilisten nicht für die Umwelt und Gerechtigkeit.
Wir sehen den Waldbränden zu. Wir sehen der Korruption zu. Wir sehen
den Feuchtigkeitstüchern zu.
Verdammt noch mal, Leute!
Ich muss auch mit mir selbst schimpfen. Ich trinke statt Apfelsaft
Kokosnusswasser.
Was brauchen wir?
Revolutionäre Menschen!
Menschen, die sich zum Wohle der Umwelt und der Gesellschaft
verändern wollen.
Nicht nur reden! Sondern tatsächlich tun. Von Null auf Alles!
Und nicht nur Menschen, die es besser wissen. Sondern auch Menschen,
die mehr riechen und fühlen können.
Alle Menschen. Alle „nicht-normalen“ Menschen!
Behindert in allen Formen. Queer in allen Formen. BIPoC in allen
Formen.
Sie wissen Dinge, die nicht lernbar sind. Sie erleben diese Katastrophe
hautnah und haben eine Ahnung davon was uns fehlt.
Sie sind die am meisten unterschätzten Sachkundigen.
Sie haben das Recht auf freie Rede. Wir haben die Pflicht, ihnen zu
vertrauen.
Wir müssen den Mut haben, den Verrückten Hilfe zu holen und ihnen
zuzuhören.
Das erfordert von uns allen Kraft, Gefühl. Verstand.
Dafür.
Bringt uns dem Frieden näher!
Wir müssen Zeit gewinnen. Und nicht Zeit sparen!
Keine Ignoranz mehr!
Wir alle müssen uns jetzt gegenseitig zuhören, zusehen und zuriechen.
Um das zu sein, was wir wollen.
Frei von Kontamination. Frei von Zweifeln. Frei von Druck.
Bewusst sehen. Bewusst hören. Bewusst riechen. Bewusst fühlen.
Und bewusst leben!
Rette die Welt. Für uns. Für die Kinder. Für unsere Nase.
Schluss mit der Übertreibung!
Weg mit dem Überschuss an künstlichen Düften, weg mit unnötigen
Geschmacksstoffen, weg mit den vielen überflüssigen Geräuschen!
Und Schluss mit den Feuchtigkeitstüchern!
Til Apfel ist Taubblind, nicht-binär und vegan. Til berät, schreibt
und spricht über Themen wie Menschenrechte, den Sinn des Lebens
und Esoterik. In der Freizeit verbringt Til gerne Zeit alleine, zum
Beispiel mit Kochen, Lesen, Schreiben, Performance, Freiwilligenarbeit
und Backpacken. Durch die Traumata des Lebens ist Til stärker,
selbstbewusster und unkonventioneller geworden.
Darum geht es: Angst vor Folgen des Klimawandels, Barrieren
im Katastrophen-Schutz, ME/CFS, Pandemie, Long Covid,
Bildungsarbeit, Online-Aktivismus, Vernetzung, Barrieren in der
Klimabewegung
von Simone Binder
Hitzewellen, Waldbrände, Flutkatastrophen. Wie kann ich solche
Ereignisse überleben? Kann ich überhaupt evakuiert werden? Diese
Fragen verdränge ich die meiste Zeit, weil sie mir große Angst
machen. Die Klimakrise und ihre Folgen sind für mich schon heute
lebensbedrohlich, denn ich habe mehrere Behinderungen. Ich kann
nicht gehen, nicht rennen, nicht schwimmen. Diese Fähigkeiten
brauche ich aber, um mich im Notfall in Sicherheit zu bringen. Bei
vergangenen Flutkatastrophen und Hurrikans wurden Menschen mit
Behinderungen im Stich gelassen, weil Warnsysteme, Evakuierungen
und Notunterkünfte nicht barrierefrei waren. Im Laufe der Zeit
wurde mir daher bewusst, dass Menschen wie ich in der Klimakrise
kaum mitgedacht werden und das, obwohl wir weltweit am meisten
gefährdet sind!
Ich bin durch die schwere neuroimmunologische Erkrankung ME/
CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom)
mehrfach behindert. Für diese Krankheit gibt es keine Therapie. Viele
Ärzt*innen haben noch nie davon gehört, obwohl allein in Deutschland
ca. 300.000 Menschen betroffen sind. ME/CFS verursacht bei mir starke
Schmerzen, dauerhafte Muskelschwäche und diverse Nervenstörungen.
Dadurch habe ich eine Gehbehinderung, eine halbseitige Lähmung und
eine Greifschwäche in beiden Händen. An schlechten Tagen bin ich
vollständig bettlägerig. Dann löst jedes Geräusch und jede Lichtquelle
starke Kopfschmerzen aus. In solchen Phasen kann ich nichts lesen und
nicht mit anderen Menschen kommunizieren.
An besseren Tagen kann ich für ein paar Stunden das Bett verlassen.
Nur für Arzttermine kann ich das Haus verlassen und brauche dafür
einen Rollstuhl. Jede kleine Anstrengung führt bei ME/CFS-Erkrankten
zu einer starken Verschlechterung der Symptome. Eine solche
Verschlechterung wird von Betroffenen auch „Crash“ genannt, denn
genauso fühlt es sich an. Leider besteht bei jedem Crash die Gefahr,
sich nicht mehr davon zu erholen. Bei Extremwettern haben wir ME/
CFS-Patient*innen also nicht nur geringere Überlebenschancen,
sondern müssen dabei zusätzlich befürchten, dass sich unser Zustand
durch einen schweren Crash massiv verschlechtert.
Ich hatte in den letzten Wochen einen Crash. Zum Glück hat sich
mein Zustand wieder ein bisschen gebessert, sodass ich diesen Text
schreiben kann. Ich muss aber sehr oft Pausen machen, weil ich
bereits nach wenigen Paragraphen erschöpft bin. Der Bildschirm ist
anstrengend, das Tippen ist anstrengend, das Denken ist anstrengend.
Trotzdem möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um auf die Gefährdung
von behinderten und chronisch kranken Menschen in der Klimakrise
aufmerksam zu machen. Menschen mit Behinderungen werden nämlich
selten nach ihrer persönlichen Perspektive gefragt. Dadurch entsteht
ein Teufelskreis der Unsichtbarkeit und diesen möchte ich, zusammen
mit anderen Betroffenen, durchbrechen.
Mit dem Klimawandel werden auch Pandemien häufiger auftreten.
Pandemien sind nicht nur eine Gefahr für vorerkrankte Menschen,
sondern auch für gesunde Menschen. Durch die Corona-Pandemie
haben wir gelernt, dass eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus
zu Long Covid führen kann. Ein Teil der Long-Covid-Patient*innen
entwickelt übrigens ME/CFS. Solche Langzeitfolgen wurden bereits bei
früheren Pandemien und Epidemien beobachtet und werden mit hoher
Wahrscheinlichkeit auch bei zukünftigen Pandemien auftreten. Die
Klimakrise ist also eine große Bedrohung für unsere Gesundheit. Und
darauf muss sich unser Gesundheitssystem dringend vorbereiten.
Ich bin Geographin und politische Ökologin. Seit über zehn Jahren setze
ich mich für den Ausbau von ÖPNV und erneuerbaren Energien ein.
Seit zwei Jahren mache ich auf Instagram politische Umweltbildung
(@politischeumweltbildung). Dort erkläre ich unter anderem, warum
die Klimakrise bestehende Ungerechtigkeiten wie Armut, Rassismus,
Sexismus oder Ableismus verstärkt. Darüber hinaus arbeite ich mit
Kommunen und Klimaorganisationen an einer stärkeren Einbindung
von behinderten Menschen im Klimaschutz.
Außerdem möchte ich andere Menschen mit Behinderungen ermutigen,
ihre Rechte und ihre Expertise zu erkennen und sich für inklusiven
Klimaschutz einzusetzen. Dafür habe ich einen zweiten InstagramAccount gestartet (@ecocrips). Dort liegt der Fokus in erster Linie auf
der Vernetzung, Bestärkung und der gegenseitigen Unterstützung von
behinderten Umwelt- und Klimaaktivist*innen.
Ich bin seit einigen Jahren in der Klimabewegung aktiv. Leider bin
ich dort aber immer wieder auf Barrieren gestoßen. Inzwischen
bin ich aufgrund meiner Behinderungen nicht mehr in der Lage,
an Präsenzveranstaltungen, Demonstrationen, Klimastreiks,
Infoständen oder Radtouren teilzunehmen. Darum habe ich viele
Klimaorganisationen auf verschiedenen Ebenen nach barrierefreien
Teilnahmemöglichkeiten wie Videokonferenzen oder OnlineKampagnen gefragt. In den meisten Fällen erhielt ich jedoch keine
Antwort. In einzelnen Fällen wurde mir versprochen, dass in Zukunft
mehr auf Inklusion geachtet wird. Trotzdem wurde mir nie eine
barrierefreie Teilnahme ermöglicht. Die Klimabewegung muss endlich
verstehen, dass Inklusion ein Menschenrecht ist und Menschen mit
Behinderungen eine Bereicherung für die Klimabewegung sind.
Außerdem sollte sich die Klimabewegung bewusst machen, dass
auch nicht-behinderte Menschen jederzeit eine Behinderung
erwerben können.
In der Klimabewegung wird auch oft vergessen, dass nicht alle
Menschen in der Lage sind, im Alltag auf klimaschädliche Dinge zu
verzichten. Ich bin beispielsweise nicht in der Lage, zu Fuß zu gehen
oder mit dem Fahrrad zu fahren. Auch den ÖPNV kann ich aufgrund der
Reizüberflutung nicht nutzen. Zudem ist der Weg zu den Haltestellen zu
anstrengend für mich. Jede Fahrt mit dem ÖPNV könnte bei mir einen
Crash auslösen, deshalb muss ich immer mit dem Auto zu Arztpraxen
gefahren werden. Meine Muskelschmerzen werden bei Kälte stärker,
deswegen bin ich im Winter auf beheizte Räume angewiesen. Durch
den Austausch mit anderen behinderten Menschen weiß ich, dass viele
von ihnen ein schlechtes Gewissen oder sogar Schuldgefühle haben,
weil sie aufgrund ihrer Behinderung nicht so viel Klimaschutz oder
-aktivismus betreiben können, wie sie gerne möchten.
Deshalb sollten Klimaschutzmaßnahmen auf der individuellen Ebene
die Bedürfnisse von behinderten Menschen berücksichtigen.
Bisher hat die Klimabewegung Menschen mit Behinderungen als
vulnerable Gruppe, aber auch als Aktivist*innen und als Expert*innen,
nicht ausreichend berücksichtigt. Immer wieder muss ich Menschen
aus der Klimabewegung und aus dem Gesundheitssystem erklären,
warum behinderte Menschen in der Klimakrise besonders gefährdet
sind. Diese Bildungsarbeit kostet viel Kraft, aber sie ist notwendig und
deshalb kämpfe ich weiterhin aktiv für Inklusion im Klimaschutz. Ich
schreibe weiterhin Emails an Klimaorganisationen und Behörden. Ich
vernetze mich weiterhin mit anderen behinderten Klimaaktivist*innen.
Ich ermutige weiterhin behinderte Menschen, sich für inklusiven
Klimaschutz einzusetzen.
Für eine klimagerechte und inklusive Zukunft sind wir Menschen mit
Behinderungen aber auch auf die Unterstützung von nicht-behinderten
Menschen angewiesen. Wir brauchen mehr Barrierefreiheit, mehr
Mitsprache und mehr Sichtbarkeit im Klimaaktivismus, in der Politik,
im Katastrophenschutz, im Gesundheitssystem, im Bildungssystem, in
der Forschung und in den Medien. Denn wenn wir Klimaschutz und
Inklusion verbinden, profitieren wir alle.
Simone hat Geographie und Englisch auf Lehramt studiert und ist durch
die chronische Krankheit ME/CFS mehrfach behindert. Als politische
Ökologin analysiert Simone Machtstrukturen in Umweltkonflikten und
engagiert sich für Inklusion im Klimaschutz. Auf Instagram betreibt
Simone die Accounts @politischeumweltbildung und @ecocrips.
Darum geht es: Barrieren in der Klimabewegung, nachhaltiger
Aktivismus, Leistungsgesellschaft, Aktivismus
von Lian Otter
Ich versuche oft das Thema Zugang und Ableismus in (Klima-)Kämpfe
einzubringen. Immer wieder wird mir dann gesagt „Oh, sorry, wir
machen schon so viel und sind alle so ausgebrannt, das schaffen wir
jetzt nicht auch noch!“ Das ist nicht nur nicht wirklich ehrlich, weil es
ja eine Prioritätenfrage ist, worein mensch seine Energie steckt. Also
wäre es dann ehrlicher zu sagen „Hey, sorry, Barrierefreiheit ist uns
gerade nicht so wichtig.” Das wollen viele nicht sagen, weil es ja das
coole linke offene Selbstbild zu erhalten gilt. Und gegen Behinderte
haben sie ja nichts, das muss doch reichen! Bloß, reicht es halt nicht,
nichts gegen Behinderte zu haben, wenn mensch verinnerlichten
Ableismus nicht bearbeitet und nichts an den behindernden Strukturen
ändert um Zugang zu schaffen. Es ist also unehrlich und zudem
denke ich mir dann immer: „Tja, wenn ihr mehr behinderte Menschen
in euren Gruppen hättet, dann würdet ihr vielleicht nicht so sehr
ausbrennen.” Behinderte haben das Konzept der Crip Time erfunden.
Die Idee dabei ist, dass nicht wir uns an die Gegebenheiten und die
vorgegebenen Zeitfenster anpassen müssen, sondern dass sich die
Gegebenheiten uns und unseren Bedürfnissen anpassen müssen. Etwas,
das gut zum nachhaltigen Aktivismus passt, wo Menschen ebenfalls
nahegelegt wird, nicht über ihre Grenzen zu gehen. Oft reproduzieren
wir in unseren antikapitalistischen Kämpfen Muster, die genau der
Leistungsgesellschaft entspringen, die wir eigentlich ablehnen.
Zum Beispiel schätzen wir Menschen mehr wert die (viel) leisten
können, und auch was überhaupt als Leistung angesehen wird ist von
kapitalistischen Mustern geprägt: Care Aufgaben werden oft weniger
gefeiert als Aktionen zu machen.
Und ja, Behinderte haben von sich aus Körper, die sich der
kapitalistischen Verwertungslogik entziehen. Mein Körper ist also der
Inbegriff der Kapitalismuskritik. Dafür, und für vieles andere solltet ihr
uns Behinderte feiern und bitte aufhören uns immer nur als noch ein
schwieriges und anstrengendes Thema zu sehen!
By the way, ist es auch gar nicht so schwer Gruppen zugänglicher zu
machen. Es ist wie gesagt eine Frage des Willens und der Priorisierung.
Ich habe mich mittlerweile vom Klimaaktivismus weitestgehend
verabschiedet, obwohl die Klimakrise mich als Behinderte besonders
hart trifft: Schon jetzt macht mir die Hitze viel mehr zu schaffen als
in Zeiten, in denen ich noch gesünder war, und dass Behinderte in
akuten Katastrophen eher getroffen werden, sollte spätestens nach
der Flutkatastrophe im Ahrtal und Sinzig allen hier klar sein. Und
wenn schon in einem der technisch reichsten Länder Behinderte
bei Katastrophen (und auch sonst) kaum bedacht werden sieht die
Situation für die 80% der behinderten Menschen weltweit, die im
globalen Süden leben, noch
düsterer aus. Denn dort
sind die Auswirkungen der
Klimakrise bekanntlich noch
wesentlich schlimmer.
SchwarzRund moderiert den Fachtag
„Vielfalt und Inklusion: LSBTIQ* mit Beeinträchtigungen“
Bremen, Oktober 2022
Ich organisiere mich jetzt
unter anderem mit einer
Gruppe, die zum Thema
Behinderung arbeitet und
mehrheitlich aus Menschen
mit sehr unterschiedlichen
Behinderungen besteht.
Und wir kriegen das hin.
Wir machen auch Fehler,
aber wir kriegen das hin.
Und zwar gut.
Und wieso?
Weil wir fast alle unschöne Erfahrungen damit gemacht haben,
ausgeschlossen worden zu sein, und es uns deshalb wichtig ist, dass
alle mitmachen können.
Weil wir offen dafür sind, von den Bedürfnissen der anderen zu hören
und darauf einzugehen.
Wir kriegen das hin, obwohl wir mehrheitlich eingeschränkt sind.
Junge, überwiegend doch recht privilegierte Klimabewegung, ihr kriegt
das auch hin, wenn ihr wollt.
PS: Ein guter Anfang ist es, die behinderten Menschen, die noch oder
schon in euren Gruppen sind, zu fragen, wie es ihnen so geht und wie
der Zugang für sie besser werden könnte. Denn, wie SchwarzRund (auf
Seite 79) sagt: In jeder Gruppe sind Behinderte, ihr seht sie nur nicht,
weil viele Behinderungen unsichtbar bzw nicht offensichtlich sichtbar
sind und Menschen aus verschiedenen Gründen nicht darüber reden.
Also fangt damit an Räume zu öffnen, über Bedürfnisse zu reden.
Lian Otter (keine Pronomen) trauert um Loki, den allerbesten
Hundefreund und Begleiter durch chronische Krankheit. Mit dem
Filmkollektiv, mit dem Lian schon den Film „radical resilience“ über
nachhaltigen/regenerativen Aktivismus gemacht hat, arbeitet Lian
jetzt an einem Film über Behinderung, in dem es u.a. um Zugang,
Intersektionen und Empowerment geht. Lian macht auch Workshops
über Ableismus und Resilienz.
Informationen zum Zitat von SchwarzRund:
Der Inhalt des Zitats kommt aus einem Eyfa Video, das auf dieser Seit zu finden ist:
(Dis?)Ability 5: Let’s organize an accessible event
SchwarzRund macht mit Simo Tier den Podcast „Rampe? Reicht!“, der Behinderung
aus vielen unterschiedlichen, verwobenen Perspektiven beleuchtet und der sehr
empfehlenswert ist.
Darum geht es: Locals United, BUNDjugend,
Aktivismus bei dem alle mitmachen und wichtig sind
das Locals United Team
Dieser Sammelband ist im Rahmen des Projekts „Locals United“ bei der
BUNDjugend entstanden. Das Projekt wird gefördert durch die Aktion
Mensch. Locals United zeigt Verbindungen zwischen der Klimakrise und
sozialen Kämpfen auf. Denn Menschen, die (Mehrfach-)Diskriminierung
ausgesetzt sind und dadurch in ihrem Leben und in unserem heutigen
System benachteiligt werden, erleben die Folgen des Klimawandels
mehr. Sie haben deswegen oft mehr Wissen als Menschen, die diese
Diskriminierungserfahrungen (noch) nicht gemacht haben.
Menschen, die (Mehrfach-)Diskriminierung ausgesetzt sind können
besser sagen, was wir für eine gerechte Gesellschaft brauchen.
Aus diesem Grund lautet unser Motto: „Klimagerechtigkeit =
Soziale Gerechtigkeit“. Unser Kampf für eine Welt ohne Kohle,
Öl, Gas, Umweltzerstörung und Ausbeutung von Rohstoffen ist
für uns untrennbar mit dem Schaffen einer solidarischen und
gleichberechtigten Gesellschaft verbunden.
Deshalb wollen wir mit Locals United wichtige Denkanstöße geben,
unter anderem mit Workshops und Diskussionen zu „Kolonialismus
und Klimakrise“, „Queer-Feminismus und Klimagerechtigkeit“,
„Intersektionalität“ und „barriereärmerer Klimaaktivismus“. Mit
unserem Versuch mit Menschen, die verschiedene Lebens- und
Diskriminierungserfahrungen haben zusammen zu arbeiten, wollen wir
eine Plattform innerhalb der (deutschen) Klimabewegung bieten.
Das Locals United-Team
Illustration von Antonia Koschny
Die BUNDjugend engagiert sich für Umweltschutz und globale
Gerechtigkeit. Wir wollen eine Welt, in der alle – auch zukünftige
Generationen – ein gutes Leben führen, ohne auf Kosten anderer
oder der Umwelt zu leben. Wir fordern ein Umdenken von der Politik,
aber fangen auch bei uns selbst an. Wenn du auch etwas verändern
möchtest und jünger als 27 Jahre alt bist, dann bist du bei der
BUNDjugend genau richtig. Bei uns kannst du mitreden, mitmischen
und aktiv werden!
Als unabhängiger Jugendverband des BUND (Bund für Umwelt und
Naturschutz Deutschland e.V.) sind wir bundesweit aktiv. Wir sind
Teil des Netzwerkes Young Friends of the Earth und so mit jungen
Menschen aus der ganzen Welt verbunden.
Vor Ort kannst du dich lokalen Gruppen anschließen, an Seminaren
und Freizeiten teilnehmen oder dich an bundesweiten Aktionen und
Kampagnen beteiligen. Hier findest du aktuelle Angebote und Termine
zum Mitmachen, Material und Anlaufstellen: www.bundjugend.de
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Mika Murstein, Au