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Das „alte Haus“
nur plötzlich der törichte Gedanke)y? Wenn so etwas denkbar
wäre, dann müßte es ja auch denkbar sein, daß ein preußischer
König die Hand von dem Hause nähme, daß er von der Über⸗
lieferung seiner Ahnen abwiche und sagte: „Ich gebe nicht
länger“ — und das ist nicht denkbar, das weiß ein jeder, das
ist unmöglich. Denn die preußischen Könige sind ja Hohen—
zollern und werden es sein, und es hat noch keinen Hohenzollern
gegeben, der nicht gewußt hätte, was die dramatische Kunst für
ein Volk bedeutet, die dramatische Kunst, die große Volks—
rednerin, die Erklärerin der Weltgeschichte, die gütige Mutter,
die uns von Leiden und Freuden der häuslichen vier Wände
erzählt, die weisheitsvolle Erlöserin der Menschheit vom Drucke
des Alltags, von der Last der Wirklichkeit. — Wenn das Haus
nicht wäre — wenn ich nur begriffe, wo er plötzlich herkommt,
dieser Gedanke, der früher nicht da war, und der nun auftaucht
und quält, nagt, wie eine häßliche, böse Sorge, die man nicht
hören, über die man sich hinwegsetzen will, und die sich dennoch
wie ein Insekt in den Grund unserer Seele bohrt und plötzlich,
während wir ruhig und heiter sind, mit boösen Augen zu uns
aufblickt und uns zuflüstert: „Ich bin da, ich bin noch immer
da.“ Wo mag er herkommen? Vielleicht daher, daß ich neulich
einen bösen, schweren, quälenden Traum gehabt habe.
Dieser Traum nämlich führte mich weit von Berlin hinweg,
in eine andere Stadt, und dieses war die Stadt Hannover.
Inmitten der Stadt Hannover nämlich, auf dem Georgsplatze,
in weitem Kreise von den malerischen Häusern der malerischen
Stadt umrahmt, steht auch so ein altes, schönes, ehrwürdiges
Haus, und wenn die Hannoveraner daran vorübergehen, dann
fühlen sie dasselbe, was die Berliner fühlen, wenn sie an ihrem
y) Veranlassung gab das mit großer Bestimmtheit auftretende
Gerücht, die Krone beabsichtige aus Ersparnisgründen das Hof-
theater in Hannover als königliches Theater eingehen zu lassen.
A. d. H.