Marie von Olfers
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hreiben Sie eine biographische Skizze über
Marie von Olfers; Sie kennen sie persönlich,
— Sie werden am leichtesten imstande dazu
sein.“ —
O Irrtum! Eben weil ich sie kenne, wird
es mir ja am schwersten. Die Biographie
eines Menschen schreiben, den man nicht
kennt, heißt für den erfinderischen Kopf einen Roman mit ge—
gebener Fabel dichten, für den Systematiker ein Rechenexempel
mit einigen als Summanden gegebenen Lebensumständen bauen.
Schließlich kommt eine Summe heraus, und stimmt's nicht in
Wirklichkeit, sieht's doch auf dem Papier so aus.
Aber einen Menschen biographisch schildern, den man sich
nicht denkt, sondern den man kennt, das lebendige Individuum
analysierend in einige Lebensabschnitte zerlegen, — das In—
einanderspielen von Eigenschaften und Eigenheiten, die eben
diesen einen machen, so in wenigen Worten zum Bilde ver⸗
körperlichen, daß alle, die ihn außer uns kennen, rufen: „Ja,
das ist er!“ — daß allen, die ihn nicht kennen, von der Atmo⸗
sphäre, die ihn leiblich und geistig umhaucht, eine Ahnung in
die Seele strömt, — es sage mir noch einer, daß das ein leichtes
Stück Arbeit sei!
Und alle diese Schwierigkeiten allgemeiner Art — wie
verdoppeln sie sich im vorliegenden Falle. Man sehe doch nur
dieses Gesicht, und man wird mich verstehen: dieses Gesicht
und diese Augen, in denen Kindlichkeit und Weiblichkeit, schalk⸗
hafter Mutwille und beobachtender Ernst wie liebenswürdige
Geschwister beisammen wohnen, die sich das Wort gegeben
haben, sich zur Freude der Menschheit allzeit gut zu vertragen;
man sehe dieses Haupt, dem die Natur, als hätte sie es kenntlich
machen wollen vor anderen, in Gestalt von dichten, krausen,
grauen Löckchen eine wie aus Silber⸗Filigran gesponnene Krone
aufgesetzt hatl „Sagen Sie, was ist das mit Fräulein von