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Simson und Delila
zu gehen. Wir hoffen, daß der Verfasser daraus entnehmen
wird, daß unsere Angriffe nicht seiner dichterischen Personlichkeit
galten, welche uns, wir wiederholen es, edel und wohltuend aus
seinen Versen entgegentritt, aber „die Sache will's, die Sache
will's, mein Herz“. Jene Kritik, die mit einem Mundwinkel
lobt und mit dem andern tadelt, kann ja niemandem erwünscht
sein, dem es um die heilige Sache Ernst ist. Und wir betonen
noch einmal, daß unsere Besprechung nicht dem vorliegenden
Drama allein, sondern allen denen gilt, die als sogenannte
„ideale“ auftreten und die von den Mustern der idealen Meister
gerade so weit entfernt sind, wie Overbecks und der Nazarener
Bilder von den Werken Raphaels und Michelangelos.
Man schilt die Menschen unserer Zeit materialistisch, wir
glauben, daß sie nicht sowohl materialistisch als realistisch sind.
Sie wollen allerdings auf der Bühne mit Händen greifen und
mit Augen sehen. So war es zu Shakespeares Zeiten auch;
und seine große Wirkung entstand daraus, daß er sein Publikum
vor eine Fülle neuer großer, tatsächlicher Ereignisse stellte, und
sie von Figuren tragen ließ, die mit warmem, natürlichem und
großem Gefühle erfüllt waren. Darum, ihr deutschen Dramatiker,
laßt die Stürme, die ihr entfacht, wirklich Stürme in Fleisch
und Blut, nicht bloß in Gedanken sein; werft Tatsachen auf die
Bühne, laßt Bedeutendes geschehen. Sind die Taten da, dann
werden die poetischen Worte, gleich den Blättern am gesunden
Baume, von selbst daraus entsprossen.