Simson und Delila
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wollen. Das heißt denn doch von der allerkonstitutionellsten
Königin zu viel verlangen. Keine Stimme des Grolls, des
Hasses ertönt in ihrem Herzen gegen den Vernichter ihres
Reiches, sondern nur einige schüchterne Zweifel machen sich,
nachdem sie Simsons Weib geworden, gegen die Rechtmäßig-—
keit ihrer Liebe geltend. Ihr Herz gerät in keinen Konflikt,
sondern nur das anerzogene Gewissen. Ganz im Einklang damit
steht die schwächliche Art, in welcher sie zu der verbrecherischen
Tat an Simson gelangt. Warum sie es eigentlich tut, ist gar
nicht ersichtlich, denn die Argumente, welche ihr der nichts⸗
würdige und von ihr mehr oder weniger durchschaute Seba
auftischt, sind so unklar, daß sie ihr Gefühl unmöglich zwingen
können. Nicht vom eisernen Instinkte eines, wenn auch ver⸗
brecherischen, Willens getrieben, nein, ganz ohne eigenen Willen,
wieder „für das Wohl des Volkes“, die Tat schon bereuend,
bevor sie noch getan, macht sie sich an das Werk. Und warum
nun diese Verwandlung des gewaltigen Weibes in die Figur
eines Backfisches? Warum dieser bewußte Abfall von den großen
Linien, die das Original vorgezeichnet hat?
Warum? — sehr einfach, weil ja die biblische, hassende
Delila ein modernes Publikum durchaus unsympathisch berühren
müßte — und, Sympathie für den Helden oder die Heldin,
das ist die Losung heutiger Dramatik. Ja, sie ist es, — Gott
sei es geklagt, — und hier eben treffen wir den Krebsschaden,
an dem die moderne Tragödie daniederliegt, Sympathie.
Es wäre doch entsetzlich, wenn Herr Püsicke nebst Gattin
aus dem Theater nach Haus gehend zueinander sprächen: „Gott,
welch eine böse Frau diese Delila.“ Wieviel wohltuender,
wenn es heißt: „Ach, diese arme Delila, wie rührend.“ Sym—
pathie erwecken, das heißt auf deutsch: alle großen Verhältnisse
und alle großen Charaktere auf das Mittelmaß des Theater⸗
publikums herabschrauben, damit sie ihnen nur immer wie ihres-
gleichen erscheinen. Um Gottes willen nur niemanden unschuldig