432
Karl Frenzel
meine Besorgnis war ohne Grund. Die „National-Zeitung“
ist ihrem lieben Alten treu geblieben, und er seiner Zeitung.
Treue — von allen Eigenschaften der Deutschen die edelste,
von allen Gewalten die unsichtbarste und zugleich mächtigste.
Der treibende Wasserstoß ist sie im ruhigen Strom, den
man eigentlich nicht sieht, und dem auf die Dauer nichts wider⸗
steht, die in Tatkraft sich umsetzende Sonnenwärme des Herzens,
aus der die Wirkungen stammen, die das Staunen der fremden
Nationen wecken, wenn sie nicht begreifen, wo die Erfolge
Deutschlands herkommen. Festhalten können an einem Ge—
danken, einem Gefühl, einem im Herzen gehegten ersehnten
Ziel durch Jahre, Jahrhunderte, durch Tag und Nacht und
Freude und Leid: das ist Glaubenskraft, ist Religion, und
darum ist das deutsche Volk das tragende Volk der Religion.
Ein in diesem Sinne religiöser, von seiner Überzeugung nicht
abirrender, in seinen Gefühlen nicht erkaltender, seinen Freunden
anhänglicher treuer deutscher Mann, das ist der Mann, von
dem ich hier spreche. Wer die „National-Zeitung“ in den
Jahren gelesen hat, als Karl Frenzel ihr Feuilleton leitete,
der weiß, daß ich nicht übertreibe, wenn ich sage, daß sie die
Stätte war, wo alles sich begegnete, was Reife und Erlesenheit
im deutschen Geistesleben hieß. Kaum ein Name von literari—
scher Bedeutung, der nicht in ihren Spalten zu großen Fragen
das Wort ergriffen hätte, und wenn man diese Worte gelesen
hatte, wußte man, daß man nicht eine Partei hatte sprechen
hören, sondern die Sache selbst. Der erlauchte Kreis hat sich
gelichtet; von den einstigen Mitarbeitern Frenzels sind kaum
einige noch vorhanden. Aber die geistige Tradition dieses
Kreises, die Angelegenheiten der Welt nicht durch das Brillen⸗
glas einer Richtung und Partei, sondern sie so anzusehen, wie
sie sich ausnehmen, wenn man, über Richtung und Partei
stehend, mit den Dingen selbst verkehrt, ist in ihm, dem Über—
lebenden, lebendig geblieben. Wer die „National-Zeitung“