Karl Frenzel
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Ehren ausblickten, nicht nach Gunstbezeugungen irgendeines
Mächtigen fahndeten, sondern in der sie, zwei wahrhaft freie
Menschen, sich selber Haus- und Lebensgesetz schrieben, sich
einzig beugend vor dem, was sie als das Heilige erkannt hatten,
dem wahrhaft Guten, Schönen, dem wahrhaft Wahren.
Seit dem 20. Juni 1903 ist es still geworden in den
traulichen Räumen an der Dessauer Straße. Von zweien ist
nur einer noch da, ein alter, nicht veralteter, ein einsamer, nicht
vereinsamter Mann. Er hat Gesellschaft, wird immer Gesell⸗
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er sein Leben lang verkehrt hat, sind heute noch bei ihm und
um ihn her. Wie er es früher getan hat, sieht er ihnen heute
noch ins Gesicht, musternd läßt er sie an sich vorüberziehen.
Wenn ihre Gesichter leidenschaftlich sind, das seine bleibt leiden⸗
schaftslos; wenn sie verworren sind, sein Auge ist klar. Dinge
der äußeren und inneren Politik, der Kultur, der Literatur, ins-
besondere der dramatischen, der sein Herz heute noch gehört,
wie vor fünfzig Jahren. Damals, als ich hörte, daß er das
Feuilleton der „National-Zeitung“ niedergelegt habe, überlief
mich ein Schreck. Die Erfahrung kam mir in Erinnerung, die
ich so manches Mal an Beamten, an Männern gemacht habe,
die an eine bestimmte, fest geordnete Tätigkeit gebunden gewesen
waren: Aufrecht und ausdauernd, solange sie, wenn auch be—
jahrt, dem Amte und dem Berufe angehörten, klappten sie zu—
sammen, sobald sie dessen ledig wurden. Der Mechanismus
der Gewohnheit hatte für sie aufgehört, die mächtige Stütze des
Menschen. Der alte Beamte, den die Uhr zur festgesetzten
Stunde täglich ins Bureau ruft, empfindet es ja wie eine
Pflichtversäumnis, ausspannen zu sollen und zu sterben. Dazu
hat er erst Zeit, wenn sich die Akten für ihn schließen. Und
wie der Beamte, so der Redakteur. Nicht ohne Besorgnis
gab ich darum acht, was und wie es nun mit dem alten Re—
dakteur werden würde, der nicht mehr zur Redaktion ging —