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Persönliche Ehre und deren Schutz

Full text: Blätter vom Lebensbaum / Wildenbruch, Ernst von (Public Domain)

398 Persönliche Ehre und deren Schutz 
Innern ist es, dieses ungeschriebene Gesetz, uns angeerbt mit 
unserem germanischen Blut; der Richter, der aus ihm heraus 
das Arteil findet, ist unser eigenes Ich; wir selbst sind Richter 
über uns selbst. 
Ein in der sinnlich-körperlichen Welt absolut nicht wahr— 
nehmbares, nur in unserer Vorstellung vorhandenes Etwas, das 
ist Ehre. Falstaff lacht bei dem Gedanken, daß er sich von einer 
Vorstellung den Weg soll vorschreiben lassen; aber auch wer kein 
Falstaff ist, fühlt die ungeheure Schwierigkeit, die darin liegt, den 
Geboten einer solchen zu folgen. Denn furchtbar schwer ist es 
für den Menschen, ohne einen Buchstaben, der ihm Richtung, 
ohne eine Autorität, die ihm Halt gibt, sich selbst zu befehligen, 
gewissermaßen sein eigener Gott zu sein. 
Es hat Zeiten in der Geschichte gegeben, wo dem Men— 
schen diese Aufgabe erleichtert wurde. Das waren die, wo un— 
geheure Bewegungen über die Welt hereinbrachen, die dem 
einzelnen nicht Macht noch Zeit ließen, sein Seelenleben nach 
eigenem Ermessen zu gestalten und zu führen, sondern ihn 
zwangen, mit all seinem Denken und Empfinden an der Be— 
wegung teilzunehmen, indem er dafür eintrat oder dagegen. 
Solche Zeiten waren die der großen Glaubensumwandlungen, 
der Umwälzungen, die sich Revolutionen nennen, der großen 
Kriege, in denen Völker für ihre Nationalität aufstanden. Diese 
Zeiten waren vom Gedanken beherrscht, vom Gedanken, der so 
mächtig in die Erscheinung trat, daß sogar in den Massen das 
Gefühl für die Gewalt einer Vorstellung, einer Idee, für das 
Ideale erwachte. Solche Zeiten waren die Fest- und Feiertage 
in der Entwicklung der Menschheit. 
Fest⸗ und Feiertage aber vergehen rasch. Auf einen Feier— 
tag in der Woche kommen sechs Wochentage. Ein breiteres 
und zäheres Dasein als der Feiertag hat der Alltag. Alltags— 
gesinnung aber blickt nicht hinauf, sondern hinunter, fliegt nicht 
zum Himmel, sondern kriecht an der Erde. Alltagsgesinnung
	        
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