Persönliche Ehre und deren Schutz 395
ut, es mag sein: Ehre beseelt mich vorzu⸗
dringen. Wenn aber Ehre mich beim Vor—
dringen entseelt? Wie dann? Kann Ehre
ein Bein ansetzen? Nein. Oder einen Arm?
Nein. Oder den Schmerz einer Wunde
stillen? Nein. Ehre versteht sich also nicht
auf Chirurgie? Nein. Was ist Ehre? Ein
Wort. Was steckt in dem Wort Ehre? Was ist diese Ehre?
Luft. Eine feine Rechnung! Wer hat sie? Er, der vergan—
genen Mittwoch starb. Fühlt er sie? Nein. Hört er sie?
Nein! Ist sie also nicht fühlbar? Für die Toten nicht. Aber
lebt sie nicht etwa mit den Lebenden? Nein. Warum nicht?
Die Verleumdung gibt es nicht zu. Ich mag sie also nicht.
Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichenzug, und
so endigt mein Katechismus.“
Dieser Katechismus ist der Falstaffs, den Shakespeare in
seinem Schauspiel „König Heinrich der Vierte“ (Akt V, 1. Szene)
also über „Ehre“ philosophieren läßt. Und nachdem er seinen
Katechismus zu Ende gebracht hat, erklingen die Trompeten,
und im Feld von Shrewsbury stürmen die beiden Heinriche,
Heinrich Monmouth, der Prinz von Wales, und Heinrich
Percy, genannt der Heißsporn, aufeinander los, beide nur von
dem einen und gleichen Drange beseelt, Ehre am anderen zu
gewinnen, indem einer den anderen im Zweikampf erschlägt.
Und Heinrich der Heißsporn fällt unter den Händen des künf⸗
tigen Heldenkönigs Heinrich des Fünften.
Nie, solange Menschen denken, Gelehrte schreiben und
Dichter dichten, ist ein ungreifbarer, unwägbarer Begriff, wie
„Ehre“ ihn darstellt, so meisterhaft als ein „Impondeérabile““
charakterisiert worden wie hier, wo Ironie, aus dem Munde
eines Falstaff redend, alles das aufführt, was „Ehre“ nicht
vermag. Nie, solange Künstler in künstlerischer Gestaltung
Menscheninneres zur sinnfälligen Darstellung bringen, ist das,
TT