374 Deutschland und Frankreich
geschickter geleitet worden, so wäre es nie zum Kriege gekommen
— würde Elsaß-Lothringen zurückgegeben, so würde mit einem
Schlage das freundnachbarliche Verhältnis zwischen beiden
Ländern, wie es vor 1870 bestanden hatte, hergestellt sein.“
Diese Art, die Dinge zu sehn, ist kurzsichtig, und so lange
mit dieser Anschauungsart nicht endgültig gebrochen wird, ist
an eine dauernde Verständigung zwischen beiden Ländern nicht
zu denken. Der Krieg von 1870 ist nicht das Ergebnis eines
bösen Augenblicks, eines Mißverständnisses oder dergleichen,
sondern die elementare Erplosion eines seit Jahrhunderten ge—
häuften Zündstoffes gewesen — ein freundnachbarliches Ver—
hältnis zwischen Frankreich und Deutschland hat schon Jahr—
hunderte vor 1870 nicht bestanden und würde durch die einfache
Zurückgabe von Elsaß-Lothringen nicht wiederhergestellt werden.
Jahrhunderte — denn so weit, bis auf Richelieu muß man
zurückgehn, wenn man den Gang der Dinge richtig verstehen
will, der schließlich zur Katastrophe von 1870 führte.
Daß Frankreich unter der Suggestion des großen Poli—
tikers zweihundert Jahre lang, vom siebzehnten bis ins neun—
zehnte Jahrhundert, dessen äußere Politik als die für Frankreich
einzig mögliche angesehen hat, ihr beinah blindlings gefolgt
ist, ohne sich zu sagen, daß auch die genialste Politik nur so
lange vernünftig bleibt, als die Weltverhältnisse, denen sie an—
gepaßt war, die nämlichen bleiben, das ist Frankreichs Schuld
gegenüber Deutschland gewesen, das hat das Verhältnis zwischen
beiden Nationen vergiftet und schließlich zu Frankreichs Unglück
geführt. Denn Richelieus äußere Politik war bekanntlich ein
Wettstreit, ein Wettstreit mit der Dynastie Habsburg, der er
die unter Karl V. begründete Suprematie über den europäischen
Kontinent zugunsten Frankreichs zu entreißen strebte.
Kämpfe, und zwar sehr energische, hatten ja schon zwischen
den Vorgängern des von Richelieu geleiteten Ludwigs XII.
und Habsburg stattgefunden, dieses aber waren, um es so aus⸗