Brauchen wir ein Bayreuth des Schauspiels? 361
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zerbrochen habe, weil die Literarhistoriker,
denen dies eigentlich zukäme, es meiner An—
sicht nach noch nicht zur Genüge getan haben,
ist der Drang, der geradezu krankhafte, der
deutschen Dichter und Schriftsteller zum Drama
und Theater.
Die dramatische Kunst ist dem germanischen Genius nicht an⸗
geboren, denn im Widerspruch zu der modernen Theorie, die den
Schwerpunkt der Dramatik in die charakteristische Ausarbeitung
der Einzelgestalt verlegen will, muß daran festgehalten werden,
daß ihr Lebensgesetz in der Fabel und in deren architektonischem
Aufbau ruht. Dramatik ist die Kunst der mageren Linie, des
straffen Umrisses, der symmetrischen Komposition. Der ger—
manische Genius neigt instinktiv nach der entgegengesetzten Seite,
zur breit ausmalenden Stimmung, zur weichen, satten Farbe,
er liebt es, im einzelnen berauschenden Moment zu versinken
und darüber den Gang der Haupthandlung zu vergessen. In
der Natur des deutschen Menschen sind Eigenschaften, die den
charakteristischen Eigentümlichkeiten des Dramatikers widersprechen:
er ist nachdenklich beschaulich, statt impulsiv temperamentvoll; je
tiefer seine Empfindung, um so lebhafter ist sein Bedürfnis, sie
stumm in sich zu verbergen, während es für den Dramatiker
eine Lebensbedingung ist, sie laut von sich zu geben; der
Deutsche dichtet in sich hinein, der Dramatiker aus sich heraus.
Und trotz alledem dieser Drang der Deutschen zum Drama und
Theater!
Dichter, die in der Erzählung und lyrischen Dichtung mit
Ehren grau geworden sind und sich einen ruhmvollen Namen
erworben haben, achten ihre Erfolge auf diesen Gebieten gering,
weil sie sehnsüchtig mit der dramatischen Dichtung liebäugeln;
an ihrem Leben, das andern reich und glücklich erscheint, zehrt
wie ein nagender Wurm der Gedanke, daß es ihnen auf der