Vandalen
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machte man die Entdeckung, daß von den Vandalen, die vor
tausend Jahren zwischen Oder und Elbe gewohnt hatten, noch
heute einige vorhanden sind, daß sie mitten im gebildeten Volke
leben, das nach ihnen ihre Wohnsitze eingenommen hat. Eine
uralte Familientradition muß diesen Vandalen gesagt haben,
wie lustig das seinerzeit war, als ihre Vorfahren Rom auf
den Kopf stellten, denn plötzlich fiel ihnen ein, an Berlin das
nämliche zu tun, zu erklären, daß es mit dem alten Opern—
hause so nicht weiter ginge, und daß es hinweg müsse von
seinem altehrwürdigen, historischen Standorte nach irgendeiner
anderen Gegend von Berlin. Weil in Chieago ein Theater
infolge unerhörter Vernachlässigung aller Sicherheitsmaßregeln
abgebrannt war, wurde den angstvoll lauschenden Berlinern
verkündigt, daß das alte Opernhaus wahrscheinlich auch morgen,
spätestens übermorgen abbrennen würde. Einer von ihnen, ein
besonders sinniges Gemüt, machte sogar den Vorschlag, das
alte Haus in Brand zu stecken, damit man einmal praktisch
einen regelrechten Theaterbrand beobachten und studieren könne,
so ungefähr, wie man im wilden Westen von Amerika Eisen—
bahnzüge aufeinander hetzt und zusammenstoßen läßt, während
man zur Betrachtung des interessanten Schauspiels Zuschauer⸗
karten verkauft. Und da sich Berlin als zu philisterhaft erwies,
um einen solchen Gedanken zu würdigen, baute man wenigstens,
um dem Publikum allmählich den Anblick des geliebten Hauses
zu verleiden, rings um dasselbe eiserne Galerien herum, durch
die der herrliche Bau ungefähr das Aussehen einer Maschinen⸗
fabrik erhielt, aus der statt Drama, Musik und Kunst eiserne
Zylinder, Dampfkessel und Blöcke hervorgehen. Und Berlin?
Was sagte, was tat Berlin?
Erhob sich aus Berlin ein so allgemeiner, gewaltiger
Schrei der Entrüstung, daß den Vandalen ein Schreck in die
Glieder fuhr, daß sie merkten, daß man einem Volke nicht un—
gestraft an seine Heiligtümer tastet?
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