Furor Teutonicus
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ihr Denken verzehrt, die sie den Weg verfehlen läßt, den sie
bisher gegangen, den wirklichen Feind vor ihren Augen ver—
birgt und sie Gegnerschaft erkennen läßt, wo nur eine Mei—
nungsverschiedenheit ist, die mit ein paar vernünftigen Worten
zu begleichen wäre, auf die sie aber losstürzen, wie ein Stier
auf das rote Tuch, alles zertretend, alles zertrümmernd mit Ber—
serkerwut, bis wirklich alles zertrümmert ist, was sie selber ge⸗—
schaffen. Puror teutonicus. So einstmals, so jetzt und für
immer. Furor teutonicus.
Wer, wenn er dieses liest, denkt nicht an den Menschheits⸗
morgen, der einstmals im sechzehnten Jahrhundert strahlend, als
Reformation in Deutschland, für die Welt aufging, und wer,
wenn er den Tag betrachtet, der diesem Morgen folgte, und
den Abend danach, in dem wir jetzt leben, darf sagen, daß ich
übertreibe? Der Mann von Wittenberg, und der von Loyola
— in welchem von diesen beiden lag das ewige Geheimnis ,Gott“
mit allen seinen Unermeßlichkeiten aufgeschlossen und aufgetan?
Welchem von beiden Männern war die Anwartschaft gegeben,
daß er die hoffende, harrende, sehnende Menschheit wie ein
neuer Messias mit sich fortreißen würde aus Dunkelheit und
Erdrücktsein zu Höhen, von denen kein Wiederherabsinken mehr
denkbar schien, zu einer Freiheit, die der Menschheit für Jahr⸗
hunderte ein neues, nie versiegendes Leben versprach, weil es
begründet sein sollte auf den unsterblichen Elementen der mensch⸗
lichen Natur. Und wie steht die Rechnung jetzt? Aus dem
Manne von Wittenberg wurde der von Marburg — aus dem
von Loyola wurde Rom. Denn jener, der Liebevolle, Herr⸗
liche, war ein Deutscher und in ihm war kfuror teutonicus,
dieser, der Feindselige, Fürchterliche, war ein Spanier, und in
ihm war zielbewußte Energie. Denn das eben ist das Be—
merkenswerte an dieser Erscheinung, daß gerade die genialsten,
die deutschesten Naturen der Deutschen es sind, in denen dieser
kuror am mächtigsten und rücksichtslosesten zutage tritt. Soll
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