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Zum 10. März

Full text: Blätter vom Lebensbaum / Wildenbruch, Ernst von (Public Domain)

Zum 10. März 
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Wem die Beobachtung einer Volksempfindung von Wert 
und die in der Volksempfindung aufbewahrte geschichtliche Über— 
lieferung heilig ist, der versäume nicht, an diesem Tage an die 
Luisen⸗Insel heran und hinter ihr herum zu gehen. Er wird 
langsam gehen müssen, denn ein nicht endender Strom von 
Wanderern wird ihn aufnehmen, in dessen Mitte er sich lang⸗ 
sam, langsam fortbewegen muß. AUnd wenn er die Menge, 
die ihn umgibt, mit einiger Aufmerksamkeit beobachtet, wird er 
Leute sehen, die man im Tiergarten, im Westen Berlins, für 
gewöhnlich überhaupt nicht zu sehen bekommt. Das sind die 
kleinen Leute aus dem Mittelpunkte, dem Osten, Nord—⸗ 
Osten und Süd-Osten von Berlin, die nur einmal in der 
Woche, am Sonntag, Zeit haben, auszugehen, und denen an 
dem einen Tag der Weg nach dem Westen zu weit ist. Heut 
aber, am 10. März, ist ihnen der Weg nicht zu weit gewesen, 
heut sind sie gekommen und kommen noch immer in neuen 
Scharen an, denn heute, das wissen sie alle, ist ja der Geburts⸗ 
tag ihrer Königin Luise. Und so ziehen sie Schritt für Schritt 
dahin, blicken mit großen, staunenden Augen auf die herrlichen 
Blumen zur Rechten und zur Linken und sprechen wenig, und 
das, was sie sprechen, mit leiser Stimme. Denn preußische 
Menschen sind deutsche Menschen, der deutsche Mensch wird 
stumm, wenn er tief empfindet, und diese Menschen alle emp— 
finden tief. Wie in einer Prozession bewegt sich die ganze, 
langsam vorwärts schiebende Menge, wie in einer gottesdienst⸗ 
lichen Handlung. And eine solche Handlung ist dieses wirklich, 
eine gottesdienstliche im Sinne unserer Altvorderen, die nicht 
in Tempel und steinerne Häuser, sondern in den heiligen Hain 
gingen, sich unter freiem Himmel einig zu fühlen mit dem Be— 
— 
weihte Stätte, das ist den kleinen Leuten von Berlin dieses 
aus winterlicher Dürre in lachenden Frühling verwandelte 
Stückchen Erde. Ich weiß nicht, auf wen der schöne Brauch
	        
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