Faust in Weimar
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kleinen, geistig so großen thüringischen Stadt ausgehend in
immer weiter wachsenden Wellenkreisen durch Deutschland flog
und die Menschen von nah und fern zu dem hellen Mittelpunkte
heranzog; Faust. Unwillkürlich wird man zum Novellisten, wenn
man es unternimmt, diese Aufführungen zu schildern, welche
in der Woche vor Ostern dieses Jahres zu Weimar stattfanden.
Denn nicht nur, was sich im Theater und auf der Bühne be—
gab, war sehens- und hörenswert — nein, auch das Leben,
das sich außerhalb, das sich vor und nach den Vorstellungen ent⸗
wickelte, war es, und dieses alles zusammen gab jenen Tagen
ihren ganz eigentümlichen Reiz, ihren wunderbar gehobenen
duftigen Charakter. Wer an einem solchen Abende vor den
geöffneten Pforten des Weimarer Theaters gestanden hat; wer
es gesehen hat, wie der Platz zu Füßen der Kolossalstatue der
Dichter-⸗ Dioskuren von Menschen wogte, die sich erst in er—⸗
wartungsvollen Gruppen sammelten und dann in die erschlossenen
Räume hineinmündeten, der konnte sich der Gedanken nicht er⸗
wehren. „Es ist also doch noch möglich, daß, während Krieg
und Kriegsgeschrei die Welt erfüllt, während die Spekulation
ihre staubigen breiten Chausseen durch die blühenden Gefilde der
dichtenden Phantasie zieht — sich deutsches Volk zum reinen
stillen Kunstgenuß sammelt und dem Beschauer ein Bild bietet,
das in kleinerem Maßstabe an die olympischen Spiele erinnert?“
Was sagen Sie denn dazu, meine Herren Bühnendirektoren, die
Sie immer so gern mit dem geflügelten Worte bei der Hand
sind, daß das deutsche Publikum keinen Sinn mehr besitze für
Werke des großen Stils, für Erzeugnisse wahrer Poesie! Ich
weiß genau, was Sie erwidern: „Diese Aufführungen haben
ein paar Gebildete, ein paar Literaturfreunde herangelockt, die
sich einmal den barocken Versuch ansehen wollten.“ Aber mit
diesem Einwand kommen Sie nicht durch, denn es waren keine
Rendezvous für die gebildete Welt allein, sondern es waren
Volksfeste im wahren Sinne des Wortes. Die Galerien waren