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Ein Wort über Weimar
Darüber fängt man an, nachzudenken. Und weil auch ich, als
ich jetzt wieder in Weimar war, so getan habe, sei es mir ge⸗
stattet, mit ein paar Worten Rechenschaft von dem zu geben,
was ich so bei mir im stillen gedacht habe.
Es geht jetzt auf Pfingsten, und wenn Pfingsten für alle
Welt ein „liebliches Fest“ ist, so war es das bisher für Wei—
mar ganz besonders. Seit nunmehr beinahe zwanzig Jahren
kam an jedem Sonnabend und Sonntag nach Pfingsten die
Generalversammlung der Goethe⸗-Gesellschaft in Weimar zu ge—
schäftlicher Beratung und festlich-feierlicher Sitzung zusammen.
Das bedeutete für die Stadt Weimar, abgesehen von finan—
ziellen Erwägungen, jedesmal eine freudige Zeit, das bedeutete
für all die Männer und Frauen, die aus allen Teilen Deutsch-
lands und Deutsch-Osterreichs daherpilgernd, sich an den Ufern
der Ilm ein Stelldichein gaben, ein paar wirklich weihevolle
Stunden. Ein großer Name war die Losung, die sie rief;
der große Name wurde zum tiefen, alle die einzelnen erfüllenden
und verbindenden Gedanken, und dieser Gedanke, in gegen—
wärtige Sprache übersetzt, lautete: „Es gibt noch eine deutsche
Literatur, und deutsche Literatur ist auch heut noch eine er—
lösende Macht.“ Denn erlöst von der Anmaßung des Alltags,
der sich unverschämterweise Wirklichkeit nennt, während er nur
das vorüberflatternde Gewölk am Himmel der wahren Wirk-
lichkeit ist, erlöͤst vom Egoismus der Werkeltagsarbeit und erlöst
von dem greulichen Geklapper der vparlamentarischen Rede—
maschine waren die Tagfahrer zum Goethe-Tage. Wenn sie
durch die Straßen der Stadt schritten, in denen die Weimarer
Frauen und Möoͤdchen, festlich geschmückt und fröhlich gestimmt,
herauf wogten und hinab, wenn sie das dunkel-eherne Doppel⸗
standbild unserer beiden teueren Großen aus grünem Laubschmuck
herauswachsen sahen, zu ihren Füßen Kränze mit Widmungs-
bändern gehäuft, dann ward ihnen zumute, als wäre ein
fürstlicher Besuch in Weimar angekommen; nicht ein fremder