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Ein Wort über Weimar
Thüringer Mädchengesicht, so sahst du aus in deinem duftenden
Kleid, wie ein blondes Köpfchen, dem man die Locken ge—
pudert hat, um seiner Lieblichkeit einen besonderen Reiz zu
verleihen!
Aber nicht das äußere Gewand nur, ein tieferer, ein inner—
licher Beweggrund ist es, der mich immer wieder nach Weimar
zieht, die Erfahrung, daß man daselbst etwas lernen kann. In—
dem ich dies niederschreibe, sehe ich, vorschauenden Blicks,
mehrfache Berliner Gesichter sich zu spöttischem Lächeln ver—
ziehen, „wir — etwas von Weimar lernen?“ Ja, teuere Mit—
bürger, gerade ihr, gerade wir zeitungsfressenden, Nachrichten
verschlingenden Großstädter können etwas sehr Wertvolles von
dem stillen Weimar lernen, etwas, das damit anfängt, daß
man eine schlechte Gewohnheit, das Zeitung-Lesen verlernt. Zu
den perversen Leidenschaften, an denen unser heutiges geistiges
Leben krankt, rechne ich in erster Linie das massenhafte, wüste,
ode Insichhineinstopfen von Zeitungslektüre, diese Scheintätigkeit,
die keine wahre Tätigkeit ist, diese geistige Geschäftigkeit, die
keine geistige Beschäftigung ist, diese schlimmste Methode der
Versimpelung, weil jeder, der durch seinen Zeitungsreporter er—
fahren hat, was sich da draußen in der Welt begibt, sich nun
für „den Mann seiner Zeit“ hält. Wer von uns denkt denn
noch mit eigenen Gedanken? Unser „Organ“ denkt in uns;
wer spricht noch mit eigenen Worten? Unser „Organ“ leit⸗
artikelt von unseren Lippen; wer von uns ist überhaupt noch
ein Ding für sich, eine Persönlichkeit, ein Individuum? Futte—⸗
rale, mit Preßfüllsel gestopft, das sind wir, und weiter nichts.
Und da gibt es nun einen Ort, wo dieses zehrende Fieber,
diese krankhafte Sucht nach Neuigkeiten und Begebenheiten und
Sensationen plötzlich von uns abläßt, von uns absinkt, wie eine
Last, wie ein Alb, wie etwas, das man für ein Nahrungs-
mittel gehalten hat, während es nur ein Narkotikum war. Man
hört auf, Zeitungen zu lesen; man hält es anfangs kaum für