290 Auf den Trümmern von Akragas
jeglichem Tage lebte, als sei das Heute immer das ganze Leben,
wo man vergaß, was gestern gewesen war, und nicht danach
fragte, was morgen sein würde.
Und darum, weil man immer den blauen Himmel sich zu
Häupten, die fruchtbare Erde sich zu Füßen sah und nicht denken
konnte, daß der leuchtende Himmel sich jemals verdüstern, die
nährende Erde jemals des Fruchtspendens müde werden würde,
vergaß man Sorgen und Gefahren und vergaß, daß drüben in
Afrika, nur wenige Meilen entfernt, immer noch die Höhle
des Molochs, das schreckliche Karthago, stand und daß dieses
Karthago wie ein Raubtier auf der Lauer lag, über Sizilien her—
zufallen und über das Kleinod von Sizilien, Akragas die Stadt.
Also geschah es an einem Tage, daß das afrikanische
Meer aufschäumte unter unzähligen Schiffen, die von drüben
abstießen, mit blutdürstigen Männern gefüllt, von dem Schreck
lichsten der Schrecklichen, Himilko, dem Punier, geführt. Akragas
war sein Ziel, — und bevor noch die Bewohner der üppigen
Stadt zum Bewußtsein gekommen waren, was ihnen geschah,
war diese ihre Stadt, die jetzt wie ein großer, goldfarbiger, über⸗
mästeter Wurm mit weichem, schuppenlosem, unbeschütztem Leibe
in der braunen Ebene lag, schon eingeschlossen und umschanzt.
Da gab es nun keinen Theron mehr, der die Männer von
Akragas zu einem Heere zusammenzuraffen und das Heer zum
Siege zu führen verstanden hätte, auch keine Männer mehr,
die man hätte zusammenraffen können, die Lanze, Schwert und
Schild zu führen gewußt hätten, sondern ihre Glieder waren
so weich geworden, daß man Weib und Mann nicht mehr
unterschied; ihre Seelen so verschlammt, daß aller Stahl und
Mut darin geschmolzen war. Und weil man an jedem Tage
getafelt und getrunken hatte, als müßte man am nächsten sterben,
so geschah es, daß die fröhliche Stadt, an deren Tafeln einstmals
jeder Fremde ein geladener Gast gewesen war, bald nichts
mehr zu essen hatte für ihre eigenen Bewohner.