Auf den Trümmern von Akragas
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eKonigsmumie, braun und müde“ — in einem
Freiligrathschen Gedichte habe ich das ge—
lesen, bald fünfzig Jahre sind es her, einem
farbenglühenden, das ich mit glühender
Knabenseele verschlang. Von einem Löwen
ist in dem Gedichte erzählt, der am „Nil—⸗
strom in der Wüstenei“ steht und brüllt —
„sein Brüllen tönt so hohl und wild“ — es erschüttert Luft
und Länder ringsum, und „die Königsmumie, braun und müde,
erweckt's im Schoß der Pyramide“.
Unablässig ging meine Phantasie dem Bilde nach, in die
Pyramide kroch sie hinein und beobachtete, wie das da drinnen
aufwachte, das tote, braune Ding, wie es die Augenlider von
den verglasten Augen schob, den Oberleib aufrichtete, langsam
alles, langsam, und wie es lauschte: „Wer ruft da? Wer weckt
mich?“ Wie dann allmählich, indem die Stimme des Weckers
draußen verhallte, der Berg sich wieder niedersenkte, der lastende,
den man Todesschlaf nennt, wie die Augenlider herabfielen, die
Glieder wieder zurücksanken, und die Mumie wieder zur Mumie,
der Tote zum Leichnam wurde, um weiter zu schlafen in die
Jahrtausende hinaus, wie er Jahrtausende bereits verschlafen
hatte. Denn daß etwas, das dem Tode verfallen ist, nicht mehr
hinaus kann aus dem eisernen Bann, das sagte mir mein
Knabenverstand wohl; aber daß es für Augenblicke wieder auf -
wachen, noch einmal zurückdenken könne an das gelebte Leben —
o ja — das konnte ich mir vorstellen, das schien mir nicht un—
denkbar. Woher mir der Glauben kam? Kaum, daß ich es
zu sagen wüßte. Vielleicht, daß es eine Vorahnung war, daß
ich später, viel später einmal im Leben erfahren sollte, daß so
etwas wirklich geschehen, Totes, das einmal ganz lebendig ge—
wesen, für Augenblicke wiedererwachen, Gedanken, die es vor
Zeiten gedacht, noch einmal denken, aus der eisigen Erstarrung
noch einmal aufblühen kann zum warmen, duftenden Leben.