252
Das tote Haus am Bodensee
vor dem Sterben mit dem Stempel zeichnete, der ihn als seine
Beute bezeichnete, daß er ihn als halbtoten Mann in das Haus
am Bodensee, in das Land des strotzenden, grünen Lebens ein⸗
ziehen ließ, war noch nicht das Schlimmste, was er an ihm
tat. Etwas Böseres verbrach er an ihm, etwas Grausameres,
indem er ihn einsam machte, ein Wesen von seiner Seite riß,
eine Frau, diesem Manne die Frau!) nahm, die neben ihm
hergegangen war, als seine Helferin in körperlichen Nöten,
seine Teilnehmerin an Gedanken und Entwürfen, seine Be—
gleiterin auf dem Klavier, seine zweite musikalische Seele, ein
Geschöpf von solcher Holdseligkeit der äußeren Erscheinung,
solcher Lieblichkeit und Liebenswürdigkeit an Seele und Gemüt,
daß ihr körperliches und geistiges Bild unvergessen und unver—
geßlich in der Erinnerung aller fortlebt, die sie jemals gesehen,
ihrem reizenden hannöverisch-deutschen Sprechen jemals gelauscht
haben.
Solch ein völlig ineinander verschlungenes Zusammenleben
von Mann und Frau, das sich mit Gedanken, Empfindungen,
Wünschen und Bedürfnissen wie ein edles Blütengewinde um
den Lebensbaum rankte, der gemeinsam zwischen beiden stand,
wer es mit angesehen hat, wie muß der den Kopf schütteln zu
dem heutigen, neurasthenischen Geschwätz, das in der Ehe nichts
weiter sehen will als eine Verkrüppelungsanstalt für die Frau;
das der Frau verbieten will, im Gatten aufzugehen, weil die
Frau sich nicht ausbeuten lassen dürfe vom Manne, ihm gegen—
über vielmehr ihre Individualität zu behaupten habe, als Gleiche
gegenüber dem Gleichen. Ganz aufgegangen in aufopfernder
Betätigung für den geliebten Mann ist die Frau, von der ich
spreche, die schöne, edle, ganz weibliche Frau, und nicht ein
Atom von ihrer Persoönlichkeit, nicht einen Funken ihres Geistes
) Elisabeth von Herzogenberg, geb. von Stockmar, starb in
den letzten Tagen des Jahres 1891.