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Das tote Haus am Bodensee. Eine Reiseerinnerung

Full text: Blätter vom Lebensbaum / Wildenbruch, Ernst von (Public Domain)

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Das tote Haus am Bodensee 
Stockwerken übereinander aufbauen. Ein Haus, das in dem 
sammetgrünen, von Milchduft, Kuhgeruch, Gesundheitsbrodem 
überwölbten Lande so seltsam, beinah fremdartig dasteht, als 
wäre es wie ein Sternkristall aus einer höheren Luftschicht, aus 
dem Äther der Kunst herabgeflockt und hier zur Erde gekommen. 
Eine Künstlerseele — das fühlt man — muß diese Stätte zum 
Wohnort erkoren, eine Künstlerhand dieses Haus ersonnen und 
ausgebaut haben. Und ein solcher Mensch ist es denn auch 
gewesen, der hier gehaust hat, ein Schmetterling aus dem Lande, 
wo die geheimnisvollen Blumen der Kunst blühen, der, nachdem 
er lange unschlüssig wählend über der Erde umhergeflattert war, 
an diesem Erdenfleck sich niedergelassen und angesogen hat, um 
hier zu bleiben bis zu seinem letzten Tage, Heinrich von 
Herzogenberg. 
Indem ich den Namen niederschreibe, ist mir, als erschiene 
mir ein Gesicht; tiefe, große, leidvolle Augen, von länglich ge— 
zogenen, hageren Zügen umrahmt, ein Gesicht, das sich zu mir 
wendet, als hätte mein stummer Gedanke es gerufen und ge— 
weckt, mit so langsamer, mühevoller Wendung, wie Menschen 
es tun, die den Kopf nicht mehr frei auf dem Halse bewegen 
können, sondern, wenn sie sich zu uns wenden wollen, den ganzen 
Oberleib herumzudrehen gezwungen sind. Das ist seine Er— 
scheinung, wie ich ihn zuletzt gesehen, das Bild seines Zustandes, 
in den ihn die furchtbare nervenzerschneidende Overation versetzt 
hatte, die vom Arzte an ihm vorgenommen worden war; und 
indem dieses Gesicht, dieses Bild langsam vor mir aufdämmert, 
ist mir, als stände ein Wort darunter geschrieben, eine Be— 
zeichnung, ein Titel, und indem ich es entziffere, lese ich das 
Wort „Tragödie“. 
Denn was bedeutet Tragödie anderes, als Kampf von 
etwas Edlem gegen übermächtige Gewalten? Als ein UAnter— 
liegen, in dem wir, die Zuschauer, uns mit unterliegen fühlen, 
gehoben und gestärkt durch das Bewußtsein, daß der Held der
	        
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