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Das tote Haus am Bodensee
Stockwerken übereinander aufbauen. Ein Haus, das in dem
sammetgrünen, von Milchduft, Kuhgeruch, Gesundheitsbrodem
überwölbten Lande so seltsam, beinah fremdartig dasteht, als
wäre es wie ein Sternkristall aus einer höheren Luftschicht, aus
dem Äther der Kunst herabgeflockt und hier zur Erde gekommen.
Eine Künstlerseele — das fühlt man — muß diese Stätte zum
Wohnort erkoren, eine Künstlerhand dieses Haus ersonnen und
ausgebaut haben. Und ein solcher Mensch ist es denn auch
gewesen, der hier gehaust hat, ein Schmetterling aus dem Lande,
wo die geheimnisvollen Blumen der Kunst blühen, der, nachdem
er lange unschlüssig wählend über der Erde umhergeflattert war,
an diesem Erdenfleck sich niedergelassen und angesogen hat, um
hier zu bleiben bis zu seinem letzten Tage, Heinrich von
Herzogenberg.
Indem ich den Namen niederschreibe, ist mir, als erschiene
mir ein Gesicht; tiefe, große, leidvolle Augen, von länglich ge—
zogenen, hageren Zügen umrahmt, ein Gesicht, das sich zu mir
wendet, als hätte mein stummer Gedanke es gerufen und ge—
weckt, mit so langsamer, mühevoller Wendung, wie Menschen
es tun, die den Kopf nicht mehr frei auf dem Halse bewegen
können, sondern, wenn sie sich zu uns wenden wollen, den ganzen
Oberleib herumzudrehen gezwungen sind. Das ist seine Er—
scheinung, wie ich ihn zuletzt gesehen, das Bild seines Zustandes,
in den ihn die furchtbare nervenzerschneidende Overation versetzt
hatte, die vom Arzte an ihm vorgenommen worden war; und
indem dieses Gesicht, dieses Bild langsam vor mir aufdämmert,
ist mir, als stände ein Wort darunter geschrieben, eine Be—
zeichnung, ein Titel, und indem ich es entziffere, lese ich das
Wort „Tragödie“.
Denn was bedeutet Tragödie anderes, als Kampf von
etwas Edlem gegen übermächtige Gewalten? Als ein UAnter—
liegen, in dem wir, die Zuschauer, uns mit unterliegen fühlen,
gehoben und gestärkt durch das Bewußtsein, daß der Held der