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Vier Dramen
einmal folgerichtig durchgeführt. Nicht durch ihre Leistung als
dramatische Künstlerin zwingt sie den Mann zu sich zurück,
sondern nur durch das hervorbrechende Gefühl ihrer tiefen Liebe.
Dazu aber brauchte sie nicht zur Bühne zurückzukehren. Der
Schluß kann ihren Gatten gar nicht entwaffnen, denn er liefert
ihm nicht den Beweis, daß die Kunst wirklich die höher be—
rechtigte Macht in ihrem Herzen war. And sie war es auch
nicht; denn nicht das Künstlerblut, sondern das Komödiantenblut
ist der Dämon, der sie regiert.
Lindaus „Johannistrieb“ läßt schon durch die Idee, die
ihm zugrunde liegt, nicht den Gedanken aufkommen, daß es
im Laufe des Stückes zu großen dramatischen Konflikten kommen
könnte.
Ein gereifter Mann kehrt in die Stadt zurück, wo die
einst Geliebte gewohnt hat. Er findet sie nicht mehr am Leben,
aber dafür ihre erblühte Tochter. Diese gewinnt er lieb und,
da das Möädchen nichts dawider hat, heiratet er. Ein Stoff,
wie man sieht, in dem nur zu einer einzigen dramatischen
Frage Anlaß geboten ist. Wird der Vater des Mädchens,
wenn er erfährt, daß der Mann, der um seine Tochter wirbt,
der einst Geliebte seiner eigenen Frau gewesen, ihm die Hand
der Tochter zugestehen? Lindau läßt dem Vater diese Erfahrung
erst ganz zu Ende des Stückes kommen, und sobald er dahinter
gekommen ist, löst sich der etwa mögliche Konflikt in einer Um—
armung mit dem zukünftigen Schwiegersohne, der sein Freund
aus alten Jahren ist, sanft und selig auf.
Leute, die ins Theater gehen, um ein Drama zu sehen,
könnten sich beklagen, daß dem Drama auf solche Weise ein Bein
gestellt wird. Sie könnten sagen, daß die Frage, ob das junge
Mädchen den älteren Mann heiraten wird, nicht ausreichend
sei für vier Akte und daß drei Viertel der Personen des
Stückes überflüssig und darum störend sind.
Aber solche unbescheidenen Leute mögen sich nur bei dem