Theater und Zensur
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Geehrte Redaktion!)
wünschen meine Ansicht über das Ver—
hältnis von Theater und Theaterzensur zu
hören, indem Sie dabei an die jüngsthin vom
Berliner Polizeipräsidium ergangenen Ver—
bote dramatischer Werke anknüpfen. Ich ent⸗
spreche Ihrem Wunsche, nicht nur, weil
diese Verbote, deren Massenhaftigkeit geradezu
den Eindruck erweckt, als sollte die gesetzlich zu Grabe getragene
lex Heinze nachträglich im Verwaltungswege wieder lebendig
gemacht werden, das allgemeinste und unliebsamste Aufsehen
erregt haben, sondern weil es sich in der Angelegenheit um eine
Kapitalfrage handelt, eine Kapital- und Lebensfrage für den
schaffenden Dramatiker im einzelnen, eine Lebensfrage aber auch
für die Weiterentwicklung der dramatischen Kunst überhaupt.
Die verbotenen Stücke sind mir fremd; die Gründe, aus
denen die Verbote hervorgegangen sind, entziehen sich meiner
Prüfung, ich kann die Frage daher nur vom allgemeinen,
grundsätzlichen Standvunkt aus beleuchten. Gerade dies aber
scheint mir das Richtige, denn wichtige allgemeine Fragen sollten
immer nur vom allgemeinen Standpunkt aus, der allein der
höchste sein kann, besprochen werden.
Ist eine Theaterzensur nach Lage der Verhältnisse über—
haupt nötig und geboten? Diese Frage beantworte ich laut und
entschieden mit ja. Ich tue es, obschon ich an mir selbst das
bittere Leid erfahren habe, das es bereitet, wenn uns ein Stück
verboten, die schwere Arbeit eines Jahres, und manchmal dar—⸗
über, mit einem Schlage vernichtet wird. Ich tue es, nicht
weil ich die dramatische Kunst und ihre Erzeugnisse als einen
Zeitvertreib ansehe, bei dessen Behandlung der strenge Ernst
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9 Datiert von „Madonna di Campiglio, Südtirol“.