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Am Matthäikirchplatz
loch. Durch den dunklen Eingangsflur schwebte er dahin, durch
die ganze, etwas altmodische Wohnung, bis daß er endlich durch
ein letztes Schlüsselloch hindurch in das Zimmer „nach hinten,
nach den Gärten hinaus“ gelangte. Unsichtbar blieb er mitten
im Zimmer stehen. Ein viereckiger, stiller, schöner, behaglicher
Raum umgab ihn. Bücher ringsum, an den Wänden Stiche
und Photographien, und die Nymphe von Böcklin, die schla—
fende, von zwei Faunen bewacht.
Der Genius von Berlin sah sich um. Er war ja in
früheren Zeiten manchmal schon in diesem Zimmer gewesen,
unsichtbar wie heute. Welcher Geist hatte damals aus wechsel⸗
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hier plaudernd gestanden, zuhörend gesessen! Julian Schmidt,
an dem der Kopf immer zu groß für das Untergestell des
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aussah, rauhborstig nach außen, wohlwollend da, wo niemand
hineinsah, im Kern seines Wesens. Wilhelm Scherer, mit den
großen, runden, in Unternehmungslust strahlenden Augen, immer
einem jener Götterlieblinge gleich, die die Götter der Mensch—
heit und der Erde nicht lange gönnen. Neben ihnen andere,
viele, bedeutende. Und von ihnen allen nur einer noch übrig,
der da am Schreibtisch nachdenkende, einsame Mann, der Herr
dieses Zimmers, Herman Grimm.
Und wie er so dasaß, zurückdenkend über die zweiundsiebzig
Jahre, die ihm heute, wie eine Schar ehemaliger Gefährten,
den letzten Blick zuwandten, war es ihm, als beugte sich etwas
zu seinem Ohre, etwas Ansichtbares, und als flüsterte es ihm zu:
„Du bist einsam, Herman Grimm, wie alle es sind, die nicht
auf der Heerstraße einhergehen, im großen Haufen, sondern quer⸗
feldein ihren eigenen Weg verfolgen. Aber die Wege, auf
denen dein Instinkt dich führt, gehen nicht in die tote Wüste
hinaus, sondern dahin, wo die Brunnen sind, in denen das
ewig belebende Wasser verwahrt wird. Ein Brunnenfinder bist