Am Matthäikirchplatz
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Masse aus sich heraus die Dinge vollbringt, sondern daß sie
immer wartet und hofft, bis daß der nötige Eine kommt, der
sie aus einem glotzenden Haufen in einen großen, einheitlichen
und starken Körper verwandelt.
„Und diese Gedanken, diese Empfindungen sind es, die
den Mann da, Matthäikirchplatz Nummer 5, drei Treppen
hoch, ein Leben lang begleitet haben, erfüllt und erwärmt.
Das hat er ausgesprochen in dem Selbstbekenntnis über sein
Leben, in der Einleitung zu seinen Fragmenten. Lesen Sie das
Buch, Herr Feinohr, wenn wir Freunde bleiben sollen, lesen
Sie, wie er es als seine Lebensaufgabe bezeichnet, den Män—
nern nachzugehen, die von dem, was die Geschichte schuf, als
das dauernd Wichtige übrig geblieben sind'. Und weil er so
ist, und denkt und frei von der Leber weg das ausspricht, was
er denkt, darum achte, ehre und liebe ich ihn. Und weil ...“
In diesem Augenblick aber verkündete die gelbe Henne von
ihrem Turm herunter, daß der Mittag schon um ein Beträcht-
liches überschriten war. Genius loci brach im Satze ab.
„Jetzt muß ich zu ihm hinauf,“ sagte er, „ihm zum Ge—
burtstage gratulieren. Stören tut man ihn ja immer, wenn
man zu ihm kommt, aber wenn ich noch später komme, störe
ich ihn noch mehr.“
„Und Sie?“ wandte er sich an Herrn Feinohr.
„Ich,“ versetzte dieser, „stürze zum nächsten Buchhändler
und bestelle mir alles was Herman Grimm geschrieben hat,
illustriert und nicht illustriert.“
„Tun Sie das,“ sagte Genius loci, und mit diesen Worten
trat er Matthäikirchplatz 5 ein.
Indem er die drei Treppen emporstieg, überlegte er, daß,
wenn er klingelte und in menschlicher Gestalt erschiene, er un—
fehlbar abgewiesen werden würde. Darum machte er von seiner
vierdimensionalen Kraft Gebrauch, verwandelte sich in einen un⸗
sichtbaren, gasförmigen Körper und schlüpfte durch das Schlüssel—