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Am Matthäikirchplatz. Eine Phantasie zum 6. Januar 1900

Full text: Blätter vom Lebensbaum / Wildenbruch, Ernst von (Public Domain)

Am Matthäikirchplatz 
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Masse aus sich heraus die Dinge vollbringt, sondern daß sie 
immer wartet und hofft, bis daß der nötige Eine kommt, der 
sie aus einem glotzenden Haufen in einen großen, einheitlichen 
und starken Körper verwandelt. 
„Und diese Gedanken, diese Empfindungen sind es, die 
den Mann da, Matthäikirchplatz Nummer 5, drei Treppen 
hoch, ein Leben lang begleitet haben, erfüllt und erwärmt. 
Das hat er ausgesprochen in dem Selbstbekenntnis über sein 
Leben, in der Einleitung zu seinen Fragmenten. Lesen Sie das 
Buch, Herr Feinohr, wenn wir Freunde bleiben sollen, lesen 
Sie, wie er es als seine Lebensaufgabe bezeichnet, den Män— 
nern nachzugehen, die von dem, was die Geschichte schuf, als 
das dauernd Wichtige übrig geblieben sind'. Und weil er so 
ist, und denkt und frei von der Leber weg das ausspricht, was 
er denkt, darum achte, ehre und liebe ich ihn. Und weil ...“ 
In diesem Augenblick aber verkündete die gelbe Henne von 
ihrem Turm herunter, daß der Mittag schon um ein Beträcht- 
liches überschriten war. Genius loci brach im Satze ab. 
„Jetzt muß ich zu ihm hinauf,“ sagte er, „ihm zum Ge— 
burtstage gratulieren. Stören tut man ihn ja immer, wenn 
man zu ihm kommt, aber wenn ich noch später komme, störe 
ich ihn noch mehr.“ 
„Und Sie?“ wandte er sich an Herrn Feinohr. 
„Ich,“ versetzte dieser, „stürze zum nächsten Buchhändler 
und bestelle mir alles was Herman Grimm geschrieben hat, 
illustriert und nicht illustriert.“ 
„Tun Sie das,“ sagte Genius loci, und mit diesen Worten 
trat er Matthäikirchplatz 5 ein. 
Indem er die drei Treppen emporstieg, überlegte er, daß, 
wenn er klingelte und in menschlicher Gestalt erschiene, er un— 
fehlbar abgewiesen werden würde. Darum machte er von seiner 
vierdimensionalen Kraft Gebrauch, verwandelte sich in einen un⸗ 
sichtbaren, gasförmigen Körper und schlüpfte durch das Schlüssel—
	        
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