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Am Matthäikirchplatz. Eine Phantasie zum 6. Januar 1900

Full text: Blätter vom Lebensbaum / Wildenbruch, Ernst von (Public Domain)

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Am Matthäikirchplatz 
setzen zuwege gebrachte Kunst aufstellen, daß dies eben Menschen 
sind, die nicht fühlen und wissen, daß derjenige der größte 
Künstler ist, der das ewige Kunstgesetz am tiefsten in sich emp⸗ 
findet, und gar nicht anders kann, als ihm zu folgen.“ 
Nachdem Herr Feinohr diese Rede über sich hatte dahin— 
gehen lassen, machte er noch einmal einen schüchternen Versuch, 
davonzukommen. 
„Ich will wirklich,“ stammelte er, „sogleich zum Buch—- 
händler gehen.“ 
Aber der Inquisitor war unerbittlich. 
„Und seine Fragmente,“ fuhr er fort, „die er jetzt eben 
hat erscheinen lassen? Haben Sie die auch nicht gelesen? Hm?“ 
Ein abermaliges beredtes Schweigen trat von seiten Herrn 
Feinohrs ein. 
„O ihr Dickhäuter!“ sagte Genius loci ingrimmig. „Das 
Buch ist eine Weihnachtsgabe, die der Mann dem deutschen 
Volke auf den Weihnachtstisch gelegt hat, und ihr seid zu geistig 
träge, danach zu greifen! Wenn Ihre Skatabende Ihnen keine 
Zeit, und Ihr inneres Philistertum Ihnen keine Lust übrig 
läßt, das ganze, große, wertvolle Buch zu lesen, so lesen Sie 
wenigstens die Einleitung. Dazu haben Sie Zeit, dazu müssen 
Sie Zeit, müssen Sie Lust haben! Diese Einleitung enthält 
ein Selbstbekenntnis des ausgezeichneten Mannes, aus dem man 
ihn lieben und verehren lernt, wenn man es bis dahin nicht 
getan hat. Ein Bekenntnis über den Entstehungsgang seiner 
Schriften, über sein Lebenswerk; ein herrliches Bekenntnis, denn 
man erfährt daraus, daß alles, was uns früher in seinem 
Schaffen vielleicht sprunghaft erschien, nicht sprunghaft war in 
Wirklichkeit, daß es Wellen gewesen sind, die der volle, mächtige 
Strom hier und da über die Ufer warf, daß es aber stets der 
eine, selbe große Strom gewesen ist, aus dem sie entstanden, in 
den sie zurückgegangen sind, ein ununterbrochener Strom nie 
rastender großer und liebevoller Gedankentätigkeit.
	        
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