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Am Matthäikirchplatz. Eine Phantasie zum 6. Januar 1900

Full text: Blätter vom Lebensbaum / Wildenbruch, Ernst von (Public Domain)

Am Matthäikirchplatz 
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hören ja, die Herren sind an der Arbeit. Und ich will es 
wohl mit dem Polizeipräsidenten, auch mit dem Oberverwal— 
tungsgericht und unter Umständen sogar mit einem Minister 
aufnehmen — aber mit einem Professor, den ich in der Arbeit 
störe — das nicht! Nein, das nicht!“ 
Unterdessen war Genius loci mit dem Fremdling bis an 
die Ecke gelangt, wo die Margaretenstraße in den Maͤtthäi— 
kirchvlatz mündet. 
„Sie haben Glück,“ sagte er plötzlich, „da kommt er.“ 
„Wer?“ fragte Herr Feinohr. 
„Von all den merkwürdigen Männern dort am Platze 
der merkwürdigste,“ entgegnete der Genius, und er zeigte die 
Matthäikirchstraße hinunter nach dem Tiergarten zu, von wo 
ein Mann die Straße herauf kam. 
Dieser Mann war alt, lang und hager. Er hatte einen 
weißen Vollbart, scharfe und bedeutende Züge, eine ziemlich 
große, gebogene Nase und sinnende, gedankenvolle Augen, die 
aber etwas düster blickten. Er trug den Oberleib etwas vornüber 
gebeugt und bewegte sich mit lässigem, beinah etwas schleppen⸗ 
dem Gang. 
„Wer ist das?“ fragte Herr Feinohr mit kleinstädtischem 
Eifer, als er bemerkte, daß der Genius von Berlin eine tiefe, 
respektvolle Verbeugung vor dem vorüberschreitenden Manne 
machte, eine Verbeugung, die dieser nicht erwiderte, weil er sie, 
mit seinen Gedanken beschäftigt, gar nicht bemerkt zu haben 
schien. „So ist er nun,“ sagte der Genius von Berlin mißmutig, 
„man bringt ihm Verehrung dar und er bemerkt es gar nicht.“ 
„Aber wer ist es denn?“ wiederholte Herr Feinobr beinahe 
zudringlich seine Frage. 
enius loeci sah ihn von oben herunter an. 
„Mein werter Fremdling,“ sagte er, „Sie sind aber beinah 
unerlaubt fremd in Berlin; kennen Sie Herman Grimm 
nicht?“
	        
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