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Am Matthäikirchplatz
Daß dieser Sonntag-Nachmittags-Prediger, nämlich die
Matthäi-Kirche, besonders stattlich oder schön wäre, habe ich
noch von niemandem behaupten hören; eher das Gegenteil.
Und ich muß mich diesem allgemeinen Arteil anschließen. Wenn
ich meines Herzens Meinung unverhohlen aussprechen darf, so
möchte ich sagen, daß sie mir in ihrem gelben Bachksteinkleide
wie eine alte, gelbe Henne vorkommt, die mit aufgeplustertem
Gefieder über ihren Eiern liegt.
Und wenn es noch ein Rassehuhn wäre — aber nichts
davon. Eine ganz gewöhnliche, norddeutsche Haus- und Hof-
henne. Vor der Kirche liegt ein grüner Rasenfleck, hübsch
elliptisch, wie alles auf dem Platz, und auf dem Rasenfleck
steht eine Sandsteinfigur, wahrscheinlich den Apostel Matthäus
darstellend, vor der ich auch noch niemals bewundernde Beschauer
erblickt habe.
Nach diesem allen scheint also an dem Platze eigentlich
nichts Besonderes zu sein? Und der Wahrheit die Ehre — es
ist auch nichts Besonderes daran. And trotz alledem habe ich
den Platz gern, ja geradezu lieb.
Woher kommt das? Vielleicht daher, daß ich in allen
Städten diejenigen Ortlichkeiten am liebsten habe, in denen sich
der Charakter und Geist der Stadt am deutlichsten ausspricht.
Und eine solche Ortlichkeit bedeutet für Berlin der Mat—
thäikirchplatz. Er ist ein charakteristisches Stück des Berlin,
wie es vor zwanzig, dreißig Jahren noch ziemlich allgemein war,
und aus dem das jetzige, sich so anders gebärdende Berlin doch
schließlich hervorgegangen ist, das Geheimrats- und Professoren⸗
Berlin.
Ja, das ist sein Geheimnis. Und wenn man, mit diesem
Bewußtsein gerüstet, den Platz wieder betritt, wird man sich
dessen inne werden, daß die Annahme, als sei hier eine Blut⸗
stockung im großen Kreislaufe des Berliner Lebens, eine irrige
ist. Die Adern sind hier ganz ebenso mit lebendig fließendem