Path:
Das deutsche Drama. Seine Entwicklung und sein gegenwärtiger Stand

Full text: Blätter vom Lebensbaum / Wildenbruch, Ernst von (Public Domain)

Das deutsche Drama 
167 
gang von vornherein durch diejenigen vorherbestimmt ist, von 
denen sie die Krankheitstriebe geerbt haben. 
Diese Theorie, die, wie jetzt von allen medizinischen Autori— 
täten anerkannt ist, auf einer oberflächlichen Ausnützung halb 
oder ganz falsch verstandener wissenschaftlicher Forschungsergeb— 
nisse beruht, fand, wie in dem gesamten neurasthenisch gewor— 
denen Europa, auch in Deutschland fanatisches Entgegenkommen. 
Diese Theorie, die nichts weiter ist, als die Dramatisierung der 
seelentötenden materialistischen Weltanschauung, die das Drama 
mit einem Schlag aus dem Gebiete des geistigen Lebens in das 
des leiblichen verpflanzt, die an Stelle von Seelenkämpfen und 
Seelenentwicklung physisches Leiden und einen physiologischen 
Krankheitsprozeß stellt, kam diesem seelenschwach gewordenen 
Geschlechte gerade recht. All die großen geistigen Werkzeuge, 
mit denen die Menschheit an sich gearbeitet hatte, Wille, Über— 
zeugung, Glauben, wurden in die Rumpelkammer geworfen; 
die Seele des Menschen wurde abgesetzt und statt ihrer das 
Nervensystem als Beherrscher der Welt und der Menschheit 
proklamiert. Ein verwüstender Strom oberflächlicher Welt— 
anschauungen brach in die Gemüter ein; die Mittelmäßigkeit, 
der die Größe und Erhabenheit stets verhaßt ist, griff mit beiden 
Händen nach der neuen Lehre, und in Deutschland entstand 
eine Masse der fürchterlichsten Dramen nach Ibsens Muster. 
Nach seinem Muster, aber ohne seine Kraft. Denn die 
technische Kraft Ibsens ist außerordentlich. Er ist ein sehr ge— 
schickter, beinahe raffinierter Bühnenkünstler. Das dokumentiert 
sich sogar darin, daß er es verstanden hat, seine oben gekenn— 
zeichneten Epilogdramen so auszuarbeiten, daß sie vielfach den 
Eindruck ganzer, vollständiger Dramen erwecken; das dokumen⸗ 
tiert sich in der Fähigkeit, Gestalten zu schaffen, und in der 
Kunst, mit der er den Dialog in seinen Stücken handhabt. Be— 
schäftigt man sich aber eingehend mit diesen Werken, so findet 
man, daß sie nach der ersten lebhaften Lebendigkeit, mit der sie
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.