Das deutsche Drama
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die Grundbedingungen seines staatlichen Daseins zur Geltung
zu bringen; im Innern zerrissen in sechsunddreißig sogenannte
Bundesstaaten, von denen einzelne nicht viel größer als eine
Nußschale, die aber alle nur von einem Bestreben erfüllt waren,
ihre geheiligte Sonderexistenz aufrecht zu erhalten. Unter der
gefirnißten Oberfläche dieses kläglichen, mit künstlichen Mitteln
zusammengeleimten und gehaltenen Baues das dumpfe Murren
eines großen Volkes, das die Unwürdigkeit zu empfinden be—
gann, in der es gehalten wurde, in dem sich stärker und stärker
das Bedürfnis zu regen begann, zu werden, was die Völker
rings umher sehon lange waren: ein einheitliches Volk; und
daraus wieder entspringend eine Verschwörung der Gewalthaber,
die sich durch solche Volksstimmungen bedroht fühlten und nun
mit der Grausamkeit der Feigheit gegen alle Kundgebungen
dieses tiefberechtigten und gerechten Unwillens einschritten.
Nichtdeutschen Menschen wird es schwer fallen, sich den
jammervollen Zustand vorzustellen, in dem ein großes, kraft seiner
Begabung zu allen höchsten Aufgaben der Menschheit befähigtes
und berufenes Volk jahrzehntelang hinzuschmachten verdammt
war. Nichtdeutsche Menschen müssen sich aber bemühen, diese
Vorstellung in sich zu erwecken, wenn sie die ungeheure Wirkung
begreifen wollen, die es in Deutschland hervorrufen mußte, als
endlich ein Staatsmann erschien, der diese murrende Stimme
seiner Nation verstand, der einsichtig genug war, zu erkennen,
daß dieses Grollen nicht die Zerstörung, sondern das Leben
verkündete, und der den Mut besaß, statt wie bisher gegen
diese Macht, mit ihr vereint zu gehen und Deutschland durch
eine „Revolution von oben“ zu retten.
Zu der Zeit aber, als die Dichterschule des „jungen Deutsch-
land“ schrieb, war dieser Wille, wenn auch schon geboren, doch
noch nicht am Werk, und nichts deutete sein Kommen an. Für
sie gab es daher als treibende Macht nur ein Gefühl, das der
Sehnsucht, der Sehnsucht, aus den Verhältnissen herauszuge—