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Das deutsche Drama. Seine Entwicklung und sein gegenwärtiger Stand

Full text: Blätter vom Lebensbaum / Wildenbruch, Ernst von (Public Domain)

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Das deutsche Drama 
Das ist kein leichtes Stück Arbeit, denn in der Geschichte 
und der Seelenart des deutschen Volkes sind Elemente, die es 
beinahe unmöglich erscheinen lassen, daß ihm das große, echte 
Drama gelingen sollte. 
Es ist eine hergebrachte Sache, daß man das Drama mit 
dem Werke des Bildhauers vergleicht, und wie so manches 
Hergebrachte ist der Vergleich falsch. Die Wirkung der pla— 
stischen Kunst beruht auf der Einzelfigur — das Gesetz des 
Dramas ist, daß die Gestalt der Hauptfigur, des Helden, zu 
anderen Persönlichkeiten in ein Verhältnis, einen Konflikt tritt. 
Sein Gesetz ist die Gruppe. Die Gestalt des Bildhauers 
stellt einen Moment dar; in diesen Moment ist sie unbeweglich 
und für immer gebannt. Die Gestalt des Dramatikers muß 
von einem Moment zum anderen fortschreiten; Bewegung ist 
das Gesetz des Dramas, Entwicklung, von einem Anfang zu 
einem Ende, von einem Fundament zu einem Gipfel. Will 
man daher die dramatische Kunst mit einer anderen vergleichen, 
so gibt es nur eine, die sich zu solchem Vergleiche heranziehen 
läßt, die Architektur. Wie sich im Drama der Gedanke des 
Dichters von Akt zu Akt emporbaut, bis er am Schicksalsschluß 
des Helden angelangt ist, so steigt vor mir, indem ich ein Bau— 
werk ansehe, der Gedanke des Baumeisters in bewegter Linie 
empor, von Stockwerk, zu Stockwerk, bis daß das Dach darauf 
gesetzt ist, und nun das Ganze vor mir steht, als ein geschlossener 
Organismus, ruhevoll, aber nicht starr, gegliedert, aber über— 
sichtlich. Scheinbar ganz verschieden, in Wirklichkeit nahe ver— 
wandt, sind die Materialien, mit denen der Baumeister arbeitet 
und der dramatische Dichter, Steine und Tatsachen. Solange 
die Steine verstreut am Boden liegen, sind es tote Blöcke, 
die mir nichts sagen; sobald sie, von der Hand des Architekten 
zusammengefaßt, ein Gebäude geworden sind, werden sie leben— 
dig; sie sprechen zu mir und ich verstehe den großen Gedanken, 
den sie aussprechen. Solange die Tatsachen unverbunden, eine
	        
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