Der Erdbeerbaum
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Erde verstreut; indem ich der Dinge gedachte, die sich ereignet
hatten in der Zeit, da wir uns nicht gesehen, und indem ich
fühlte, wie ich älter geworden war, während er da vor mir
stand, frisch und grün und pausbäckig und jung, kam es mir
zum Bewußtsein, was für rasch durchwandernde Gäste wir
Menschen in dem großen Hause sind, in dem Büsche und
Bäume als altes, dauerndes Inventar stehen.
So hatte ich den alten Bekannten wiedergefunden, um
ihn bald darauf und auf längere Zeit wieder aus dem Gesicht
zu verlieren; denn unser Aufenthalt auf Capri war nur kurz.
Erst in diesem Herbst, 1897, und vor noch nicht vierzehn
Tagen, war mir ein Wiedersehen beschieden, freilich nicht auf
Capri, sondern in Siena, oder vielmehr in der Umgegend von
Siena. In der Umgebung von Siena nämlich, westlich der
Stadt, auf einem der zahlreichen Hügel, die aus dem welligen
Gelände aufsteigen, liegt eine alte, von noch älteren pracht—
oollen Steineichen umgürtete Villa.
Es ist ein ehemaliges Kastell, das seine Geschichte hat;
Cosimo der Medieäer soll alldort seinen Standort gehabt haben,
als er 1554 Siena belagerte; und man muß es ihm lassen,
daß sein Standort gut gewählt war. Der Anblick der Stadt,
welche da drüben auf ihrem Berg, von den alten Mauern
heut noch umschlossen, wie vor dreihundert und fünfhundert
Jahren, malerisch zusammengeschachtelt liegt und ihren gigan—
tischen Dom, ihre Glockentürme und Befestigungstürme zum
Himmel streckt, ist über alle Beschreibung schön. Sehenswürdig-
keiten allerart birgt die alte Villa: Kanonenkugeln, die von
den Sienesen auf Cosimo abgefeuert worden sind, ihn aber
nicht getroffen und nicht verhindert haben, der alten, freien
Stadt das rauschende Gewand der Freiheit auszuziehen und
sie zu seiner Dienerin zu machen, finden sich eingemauert im
Walle des Kastells. Fresken von der Hand Baldassaro Pe—
ruzzis schmücken die Plafonds im Innern des Hauses; eine
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