Marie Seebach
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der Bühne entgegentrat, der hat sie nur halb gekannt, der
weiß nicht, was Marie Seebach eigentlich war. Der nur
erfuhr es, dem sie im Verkehr ihre Seele erschloß, dem sie
alles sagte, was sie im Herzen trug. Freilich, eine Bedingung
war dabei: von Alltagsdingen konnte sie nicht sprechen, sprach
sie fast nie; sie mußte gewiß sein, daß der, zu welchem sie
sprach, eines Geistess-Blutes war mit ihr, nur ein Interesse
hatte, dasselbe, das sie erfüllte, die dramatische Kunst. Derjenige
aber, der so geartet war und den das Schicksal mit ihr zu—
sammenführte, der genoß, der lernte, der wurde reich — und
so ist es mir gegangen.
Zwei Ströme sind es, die, aus verschiedenen Quellen ent⸗
springend, in einem Punkte, der Bühne, zusammenfließend das
dramatische Werk hervortreiben. Aus der Seele des Dichters
erhebt sich die Welle, die den dramatischen Gedanken und seine
Gebilde hinüberträgt in die Seele des darstellenden Künstlers,
des Schauspielers, und wenn dies ein echter Schauspieler, ein
wahrer Künstler ist, dann brausen die Tiefen seines Innern,
indem sie den dramatischen Gedanken empfangen, auf, dann
steigt aus ihnen, jener korrespondierend, eine selbsttätige Welle
empor, die den Gedanken des Dichters in den Armen hält,
ihn hinausträgt vor die Welt, auf die Bühne, dahin, wo im
Wechselverkehr, gleichsam in geistiger Ehe zwischen Dichter und
Schauspieler, das menschenbezwingende Werk entsteht, das
Drama.
Stelle sich jeder vor, was es für den dramatischen Dichter
bedeutet, wenn solche Empfänglichkeit sich ihm erschließt, wenn
ihm aus solchem Herzen sein Werk wieder entgegenkommt, das-
selbe das es war, und doch ein neues, weil es durch die selbst⸗
tätige Seele eines anderen hindurchgegangen ist. And ein solches
Herz war das von Marie Seebach, diese höchste Wonne, die
dem dramatischen Dichter beschieden ist, hat sie mir manchmal,
hat sie mir oft bereitet.