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Marie Seebach
Glieder, das Gerädertwerden? Alles nur ein Spuk und ein
Traum?“ And nun ist das Anglaubliche dennoch wahr, das
Unmögliche dennoch Tatsache geworden: Marie Seebach wird
nie mehr auf der Bühne stehen.
Wieder einmal hat der plump brutale Vorgang, den man
„das Sterben“ nennt, einen seelenvoll plaudernden Mund zum
Schweigen gebracht; wieder stehen wir vor der Frage, vor
welcher der erste Mensch stand, als er zum erstenmal einen
Nebenmenschen sterben sah: „Wie ist es möglich, daß das große
Wunder der Welt, der menschliche Geist, aufgehoben und ver—
nichtet wird durch das mechanische Ineinandergreifen unter—
geordneter Mächte?“
Zum zweiten Male setze ich in dieser Zeitung das schwarze
Kreuz hinter den Namen einer Frau, die mir teuer war, die
mir gehört hat und nicht mehr gehört, und indem ich es tue,
lausche ich auf und höre, wie es anfängt, stiller um mich zu
werden, wie sie verstummen und verschwinden, die Großen, die
Bedeutenden, die Menschen, die noch aus der ersten Hälfte un—
seres Jahrhunderts stammten, in deren Seelen noch der große
Hunger nach neuen Zielen, der große Glaube an deren Er—⸗
reichung war, die uns erhungert und erarbeitet und geschaffen
haben das, was wir jetzt genießen, wir, das satte, übersättigte
Geschlecht der zweiten Hälfte des fin de sieclo.
Denn so wie jene erste, von der ich hier gesprochen, Frau
von Olfers!), so hat auch diese zweite mir gehört, und daß ich
sagen darf, wir waren gute Freunde, das ist mir in dieser
Stunde ein wehmutsvoller Stolz.
Nicht eine Abhandlung über das, was Marie Seebach als
Schauspielerin war, will ich darum schreiben. Denn obschon
ich sie noch oft, sogar in Gestalten meiner eigenen Stücke auf
der Bühne gesehen, war doch der Ruhm ihrer jungen Taten
) Vgl. oben S. 53ff.