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mitteln überhaupt von „gestalten“ sprechen konnte, — war
immer wieder Lehmanns Ich selbst.
Nachdem er eine Weile geschrieben hatte und sein Gedan—
kenfaden abermals gerissen war, begann er seinen Roman von
Anfang an zu lesen.
Da beschlich ihn ein starkes Gefühl von Unbehagen. Es
war ihm selbst zu Mut, als ob er Papier kaute.
Die ersten Seiten hatte er offenbar in einer schwungvollen
Stimmung verfaßt.
Das war aber gerade der Gegensatz von der naturalisti—
schen Schreibart, deren er sich zuletzt befleißigen wollte. „O
die Gebrüder Goncourt!“ —
Hier war ein behäbiger Familienblattstil, der sich nur von
den „Gartenlaube- und Frauenzeitungsromanen durch seine
breitgetretenen Plattheiten unterschied. Hier war ein rednerisches
Pathos, mit dem er dem Publikum lederne Weisheiten und
Banalitäten zu versetzen suchte.
Wieder machte er unwillig einige Schritte im Zimmer.
Er war wütend. „Was die Muse, dieses Weibsbild, doch
manchmal für Launen hat! Wie ein sprödes Mädel. Und das
mir gegenüber! — Wenn mich jemals eine wirkliche Frau so
mit ihren Weiberlaunen behandelt hätte, ich hätte, weiß der
Teufel, ausgeholt und ihr mit der verkehrten Hand eine ins
Jesicht geschlagen!“
Lehmann hätte aber jetzt in diesem Moment aus reiner
Schadenfreude die bösesten Witze reißen können, über einen, „der
will und nicht kann,“ ohne zu bedenken, daß er ja selbst der
eine sei. Er hätte jetzt jeden prügeln mögen, der ihn verhöhnte!
In seinem Schädel wirbelten alle möglichen Gedankengänge
kraus durcheinander. Verärgert schmiß er das Manufkript in
die Schublade.
Da klopfte es zaghaft an der Türe.
„Ja, zum Donnerwetter!“ brüllte er.
Sydow wars.
„Ach Herr Do⸗doktor: i⸗ich memöchte jetzt lieber na-nach