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Emil Kubinke war beglückt und las die Karte ganz
heimlich immer wieder, sowie in der Arbeit eine Pause
eintrat. Und wenn er nicht verlobt gewesen wäre, so wäre
ihm vielleicht aufgefallen, daß Anfang und Nachschrift in
Rechtschreibung und Inhalt sich merkwürdig von dem
Mittelteil der Karte unterschieden, der keinerlei Schreib⸗
fehler aufwies in seiner gehobenen und schon mehr leiden⸗
schaftlich-schwungvollen Ausdrucksweise. Und noch mehr
hätte es ihn befremden müssen, daß Pauline von „seiner‘
Abreise redete, da es doch ganz offensichtlich war, daß
Pauline abgereist war, sogar nach Heringsdorf, während
er doch nachweislich an Ort und Stelle geblieben war.
Gewiß, das hätte ja Emil Kubinke auffallen können. Aber
— wie schon bemerkt — Emil Kubinke war eben verlobt
und verliebt, und das ist ziemlich gleichbedeutend mit ver—
minderter Zurechnungsfähigkeit.
„Zeijen Sie doch mal her, Kollege, was Ihre Liebste
da jeschrieben hat,“ rief Herr Tesch.
Und wenn Emil Kubinke auch sonst sehr scheu und
verletzlich in seinen Gefühlen war, so reichte er doch diese
Karte seinem Kollegen, Herrn Tesch, nicht ungern hin, denn
warum sollte die Welt nicht wissen, wie hingebend er ge—
liebt wurde.
„Ach Jott — det kenn ick!“ sagte Herr Tesch lachend,
„jenau desselbe haben sie mir ooch schon jeschrieben. Des
ist aus 'n vollständijen Liebesbriefsteller. Det kann ick
Ihnen jedruckt — schwarz auf weiß kann ick Ihnen det
zeijen. Aber da hat sie sich noch versehen, da hat sie den
falschen Brief jenommen, den nach der Abreise des Je—
liebten. Ick sage Ihnen, det is jar nich so einfach, da
immer das Richtije rauszufinden.“
Emil Kubinke war sehr niedergeschlagen.