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Über Reisen

Full text: Sehnsucht / Hermann, Georg (Public Domain)

mich bis zu Tränen. Noch vor wenigen Ta— 
gen, als ich vormittags in der hellen und fast 
menschenleeren Bibliothek saß und statt zu 
lesen Gedanken nachhing, überkam mich diese 
Empfindung fast wie ein plötzlicher physischer 
Schmerz, wie ein Zahnreißen, bohrend, häm— 
mernd, peinigend. Und doch bietet uns das 
Reisen nie das, was wir davon erwarten. 
Ich rede nicht von Mißhelligkeiten, Strapazen, 
von schlechtem Wetter, ungewohntem Essen, 
feuchten Betten oder gesalzenen Preisen — 
das sind Dinge von geringer Bedeutung, die 
uns auf Minuten oder Stunden die Laune 
verschlagen können. Nein, es ist eine andere 
tiefere Enttäuschung, die das Reisen mit sich 
bringt, das Reisen, wie ich es verstehe. Denn 
ich mag nicht reisen, um mich irgendwo zu er— 
holen, mich ruhig hinzusetzen, auszuspannen, 
neue Kräfte zu sammeln. Ich suche alte 
Städte oder modernes Leben auf, um dort zu 
sehen, zu lernen, mich anzuregen, zu bewun— 
dern. Ich habe meine Freude an alten Bau— 
werken und schönen Bildern, an Landschaften, 
Wäldern, malerischen Straßen kleiner Städt— 
chen. Ich bin nicht stumpf den Eindrücken 
gegenüber; und doch das freie, entlastende 
Aufatmen, das ich durch sie mir erhoffe, es 
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