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„Geh doch nach Haus, du bist dünn angezogen,“
mahnte mitleidig Marie Ellers.
„Bei uns unten is es voch nich wärmer und
so naß. Ick schliddere hier noch so 'n bisken.
In den nächsten Dagen fängt ooch die Schlittschuh—
bahn uf 'n Kanal an, det seh' ick zu jerne, wenn sie
so schnell hinrutschen.“
Marie wurde das Auge feucht. Es war eine
unbeabsichtigte, grausige Ironie in dem jugend—
frohen Wollen des Kindes und dem siechen, alten
Körper.
„Da nimm, mein Kind!“ Sie zog den letzten
Thaler aus dem Portemonnaie und hielt ihn der
Kleinen hin, die ihn mit den Augen verschlang und
doch wieder mit in den Mund gestecktem Finger ihn
zu nehmen sich genierte. „Nimm, nimm!“ Marie
wandte sich schnell ab. Eine jener vagen Aehnlich—
keiten in Kindergesichtern erinnerte sie an ihr Stief⸗
töchterchen. Es war Wermut in den Todeskelch.
„Ich könnte sie nicht wiedersehen. — Eine solche
Mutter!“ Der Entschluß zu sterben ward ihr felsen⸗
fest. Der Graf kam ihr nachgeeilt, lachend.
„Ich habe dem Hunde und dem Jungen noch zu
einer Weihnachtsfreude verholfen. Hörst du?“ Eilig
ratterte das Hundefuhrwerk durch die Straße, der
Junge pfiff, der Hund bellte freudig, als ob er
gewußt hätte, daß auch für ihn eine Extraration